Mehr als 100 Frauen befreit
Von Carmela Negrete
Für die spanische Nationalpolizei ist es ein großer Schlag gegen die organisierte Zwangsprostitution: Gemeinsam mit der Guardia Civil und der Zollfahndung seien 162 Frauen, vor allem aus Lateinamerika, aus den Fängen einer kriminellen Organisation befreit worden, wurde am Dienstag mitgeteilt. Die Betroffenen hätten in verschiedenen Städten meist eingesperrt und unter katastrophalen Bedingungen als Zwangsprostituierte arbeiten müssen. Laut der Polizei soll es sich um Frauen aus »prekären Lebenssituationen« handeln, die meisten ohne Aufenthaltsgenehmigung und Arbeitserlaubnis. Sie seien, teils in Spanien, teils in ihren Heimatländern, mit falschen Versprechen angeworben worden. Offenbar hatten drei der Betroffenen an verschiedenen Orten Anzeige erstattet.
Von 37 festgenommenen Verdächtigen befinden sich neun in Untersuchungshaft, Razzien fanden in 39 in »Massagesalons« umfunktionierten Wohnungen und Geschäftsräumen statt. Dort hätten die Betroffenen in Etagenbetten »oder direkt in dem Bett« geschlafen, »in dem sie ihre Kunden bedienten«, schreibt die Polizei. Die Wohn- und Arbeitsorte wären oft schlecht belüftet gewesen und hätten allgemein entsetzliche Lebensbedingungen aufgewiesen. So seien die Frauen rund um die Uhr bewacht worden und hätten nur vormittags die Möglichkeit gehabt, für zwei Stunden nach draußen zu gehen. Den Rest der Zeit hätten sie verfügbar sein müssen. Ein Wachdienst kontrollierte die Häuser und organisierte die Kunden, die sich auf die Onlineanzeigen meldeten. Die Hälfte der Einnahmen wurde den Frauen vorenthalten. Allerdings bekamen sie oft noch weniger, da sie angebliche »Strafen« zahlen sollten. Eine Steuerprüfung soll jetzt feststellen, inwieweit das kriminelle Netzwerk Abgaben hinterzogen hat und wieviel Geld gewaschen wurde. In dem Zusammenhang wurden 60 Bankkonten gesperrt.
In Spanien ist Werbung für Prostitution seit Einführung des Gesetzes »Nur ja heißt ja« 2022 verboten. Das von der linken Podemos-Ministerin Irene Montero angeführte Gleichheitsministerium hatte damals auch Pläne, Sexarbeit zu verbieten, weil die Partei der Meinung war, dass die allermeisten Frauen, die sich prostituieren, es nicht aus freien Stücken täten und die Arbeit für die Frauen erniedrigend sei. Diese Position teilten auch die Sozialdemokraten vom PSOE. Doch dazu kam es nicht, denn es gab in dieser Frage große Proteste, was zu einer Spaltung innerhalb der feministischen Bewegung führte. Sexarbeiterinnen demonstrierten ebenfalls, da sie sich durch ein drohendes Verbot benachteiligt sahen und eine Legalisierung forderten. Dies könnte vor allem jenen helfen, die aufgrund ihres unklärten Status keinen Anspruch auf Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherung haben. Ausländern ohne Dokumente wird in Spanien nur eine kostenlose Notversorgung gewährleistet.
Eine im vergangenen September vom nunmehr PSOE-geführten Gleichheitsministerium veröffentlichte Studie kam zu dem Ergebnis, dass knapp 15.000 Frauen in Spanien in der Prostitution arbeiteten. Die Studie legte nahe, dass die überwiegende Mehrheit dieser Frauen Betroffene von Menschenhandel sei. Ausgewertet wurden dafür 645.000 online geschaltete Anzeigen, die für Prostitution oder Datingdienste warben. Laut internationalen Organisationen könnten durch dieses Verfahren mindestens 75 Prozent der tatsächlich stattfindenden Sexarbeit aufgedeckt werden. Festgestellt wurde in der Studie, dass 28 Prozent der Frauen zwischen 18 und 24 Jahre alt waren und 32 Prozent zwischen 25 und 36. Mehr als die Hälfte der Betroffenen kam demnach aus Lateinamerika, lediglich 17 Prozent aus europäischen Ländern. Der touristische Hotspot Balearische Inseln ist laut der Studie »Spitzenreiter«: Hier kommen demnach 121 Prostituierte auf 10.000 Frauen.
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