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Aus: Ausgabe vom 25.07.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Brasilien

Zwischen Justiz und Geopolitik

Brasilien: Der Fall Bolsonaro als Testfall für rechtsstaatliche Resilienz in Lateinamerika
Von Holger Elias
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Hat immer noch Fans: Brasiliens rechter Expräsident Jair Bolsonaro, der wegen Putschversuchs unter Anklage steht

Die juristische Eskalation um Brasiliens Expräsident Jair Bolsonaro hat sich in ein ausgewachsenes geopolitisches Zerwürfnis verwandelt. Was mit der richterlichen Anordnung gegen den rechtspopulistischen Exstaatschef begann, ist nun zu einem diplomatischen ­Eklat zwischen Brasília und Washington eskaliert. Während Brasiliens Oberster Gerichtshof sich gegen die mutmaßliche Einflussnahme Donald Trumps behauptet, verhängen die USA unter Trump Visasperren – jedoch nicht gegen Bolsonaro, sondern gegen fast das gesamte brasilianische Verfassungsgericht. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva reagiert empört und spricht von einem Angriff auf die Souveränität des Landes. Die Auseinandersetzung offenbart eine gefährliche Entgrenzung zwischen Rechtsprechung, Diplomatie und geopolitischem Druck.

Außenpolitischer Dammbruch

Bolsonaro wird derzeit vorgeworfen, einen Staatsstreich geplant und aktiv vorbereitet zu haben, um seine Wahlniederlage gegen Lula im Jahr 2022 rückgängig zu machen. Das Verfahren vor dem Supremo Tribunal Federal (STF) ist für die brasilianische Demokratie ein Lackmustest: Wird das Land in der Lage sein, einen autoritär agierenden Expräsidenten mit rechtsstaatlichen Mitteln zur Verantwortung zu ziehen – oder zerbricht es unter dem politischen Druck von außen? Das Vorgehen von Richter Alexandre de Moraes, der die Einschränkungen gegen Bolsonaro verhängte, ist in der brasilianischen Öffentlichkeit nicht unumstritten, genießt aber juristische Legitimität. Die jüngsten US-Sanktionen verschieben nun die Debatte von innenpolitischer Verantwortung zu internationaler Machtdemonstration.

Der außenpolitische Dammbruch kam mit Ansage: US-Außenminister Marco Rubio bezeichnete die brasilianische Justiz am vergangenen Freitag als »politisch instrumentalisiertes System« und verfügte Einreiseverbote für Richter Alexandre de Moraes, dessen Familie und »andere Verbündete im Gericht«. Mit der Ausweitung dieser Sanktionen auf sieben weitere Verfassungsrichter – darunter auch STF-Präsident Luis Roberto Barroso – wurde erstmals in der Geschichte eine demokratisch legitimierte Justizinstitution nahezu vollständig durch eine befreundete Großmacht sanktioniert. Dass auch Generalstaatsanwalt Paulo Gonet betroffen ist, wie Generalanwalt Jorge Messias bestätigte, verschärft die Lage weiter. Lula nennt das Vorgehen »willkürlich und haltlos« – ein diplomatischer Eklat historischen Ausmaßes.

Unerwünschter Imperator

Die enge ideologische und strategische Verbindung zwischen Jair Bolsonaro und Donald Trump tritt nun offen zutage: Trumps Intervention zugunsten seines brasilianischen Pendants umfasst sowohl eine massive außenpolitische Attacke auf Brasiliens Justiz als auch ökonomische Erpressung in Form einer 50-Prozent-Strafzollerhöhung auf brasilianische Waren ab August. Bolsonaro wiederum inszeniert sich als Anti-China-Krieger und Bewahrer westlicher Werte – eine Selbststilisierung, die durch Trumps Rückhalt in Washington Auftrieb bekommt. Gleichzeitig wird Bolsonaro zur Belastung für die brasilianische Außenbeziehung: Sein Verhalten wird von Lulas Regierung nicht nur als innenpolitischer Angriff, sondern als externer Destabilisierungsversuch gewertet.

Die Eskalation erfolgt vor dem Hintergrund wachsender Spannungen zwischen dem globalen Süden – insbesondere den BRICS-Staaten – und den westlichen Führungsmächten. Bolsonaro bezeichnete BRICS jüngst als »Bruderschaft von Diktatoren und Kriegsverbrechern«, während Lula die US-Außenpolitik mit einem »imperialen Übergriff« vergleicht. Beim BRICS-Gipfel in Rio hatte Lula Trump als »unerwünschten Imperator« verspottet – ein rhetorischer Affront, der offenbar als Trigger für Trumps wirtschaftliche Sanktionen diente. Das neue geopolitische Muster: Während linke Regierungen des Südens ihre Unabhängigkeit betonen, stützen sich rechte Gegenpole wie Bolsonaro auf offene Einflussnahme aus Washington.

Die Unabhängigkeit der Justiz ist zum Kristallisationspunkt eines globalen Systemkonflikts geworden. Lula und Generalanwalt Messias stellen klar, dass Brasiliens Gerichte »nicht durch Drohungen oder Verschwörungen eingeschüchtert« würden. Doch die Dimension des Angriffs ist beispiellos: Acht der elf Richter des STF stehen auf US-Sanktionslisten – nicht wegen Korruption oder Völkerrechtsverstößen, sondern weil sie ihre verfassungsrechtlichen Aufgaben erfüllen. Damit stellt sich die Frage, ob demokratische Institutionen im globalen Süden künftig noch unabhängig agieren können, wenn sie in Konflikt mit geopolitischen Interessen des Nordens geraten.

Fall mit Signalwirkung

Der brasilianische Fall könnte Signalwirkung für andere Demokratien im globalen Süden entfalten: Wird Washington bereit sein, eigenständige Judikative auch in anderen Ländern offen zu sanktionieren, wenn diese mit US-Außenpolitik nicht konform gehen? Brasiliens Regierung stellt sich demonstrativ hinter das Gericht – ein strategisch wichtiger Schritt zur Verteidigung der Gewaltenteilung. Sollte jedoch der Eindruck entstehen, dass Justiz und Regierung in Brasília nun zum Spielball geopolitischer Interessen werden, droht ein nachhaltiger Vertrauensverlust – intern wie international.

Der Fall Bolsonaro ist längst kein rein juristisches Verfahren mehr. Er zeigt wie durch ein Brennglas das fragile Gleichgewicht zwischen nationaler Souveränität und globaler Einflussnahme, zwischen unabhängiger Justiz und geopolitischem Machtkalkül. Der Versuch Trumps, das brasilianische Verfahren durch ökonomischen und diplomatischen Druck zu sabotieren, wird in Brasília nicht nur als Eingriff, sondern als Souveränitätsverletzung wahrgenommen – mit allen Konsequenzen für die Beziehungen zu den USA. Wie Brasilien diese Krise meistert, könnte richtungsweisend für den globalen Süden im 21. Jahrhundert werden.

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