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Aus: Ausgabe vom 24.07.2025, Seite 12 / Thema
Landwirtschaft

Der verstaatlichte Bauer

Die konventionelle Landwirtschaft folgt dem Prinzip »Je billiger, desto besser«. Die ökologischen Folgekosten sind enorm, die Arbeitsbedingungen schlecht, besonders für die zahlreichen Saisonarbeiter. Ein Plädoyer für die Kollektivierung
Von Meinhard Creydt
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Die Vergesellschaftung der Landwirtschaft böte die Chance, endlich ökologisch und gesundheitsbewusst zu produzieren

Wer sich an »Kostenehrlichkeit« orientiert, wird feststellen: Zwar vermag die gegenwärtige Landwirtschaft Agrarprodukte billig zu produzieren, zugleich verursacht sie genau dadurch aber auch hohe Folgekosten. Ein Beispiel: Betriebe mit einer großen Konzentration von Vieh auf wenig Raum belasten das Grundwasser. Den Einsparungen durch den Massenbetrieb für das jeweilige Agrarunternehmen stehen höhere Kosten für die Wiederaufbereitung des Wassers gegenüber. Wenke Dargel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Linksfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt, führt aus: »Hält man Kühe auf der Weide und diese fressen Gras und düngen den Boden mit ihren Ausscheidungen, hat man einen Kreislauf und produziert nachhaltig Milch. Füttert man Kühe hingegen im Stall und baut hierfür vermehrt Mais an, ist das anders. Mais ist ein für das Kapital optimales Getreide, weil er sehr energiereich ist und eine große Biomasse pro Hektar hat. Aber zugleich muss Mais gespritzt und gedüngt werden, reduziert den Humusgehalt der Böden und setzt so CO2 in die Atmosphäre frei.« (ND, 24.5.2024)

Zukunftsblindes Wirtschaften

Monokultureller Anbau senkt zwar die Kosten – es sind weniger Arbeitskräfte erforderlich –, so dass ein Agrarunternehmen produktiver arbeiten kann als ein ökologisch ausgerichteter Betrieb. Der Preis ist aber eine Verringerung der Bodenqualität und damit der zukünftigen Bodenproduktivität. Konventionell gehaltene und gefütterte Kühe geben zwar mehr Milch als Kühe in artgerechter Tierhaltung, werden aber mit einem Kraftfutter gefüttert, das eine schlechte Klimabilanz aufweist. »Bezogen auf die bewirtschaftete Fläche verbrauchen Ökobetriebe etwa nur die Hälfte an Energie, und Energie ist nun mal Klimakiller Nummer eins«, so Dargel.

Der Imperativ, die Agrarprodukte bzw. Lebensmittel möglichst billig zu produzieren, steht sehr oft im Gegensatz zu einer für die Menschen gesunden Landwirtschaft sowie zu gesunden Lebensmitteln. Wer wie Biobauern auf chemisch-synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel verzichtet, muss, wie das Informationsportal ­Oekolandbau.de 2023 erklärte, die »Pflanzen zum Beispiel durch mechanische Maßnahmen oder eine weite Fruchtfolge frei von Unkraut und Schädlingen halten. Die Düngung erfolgt mit Wirtschaftsdüngern, und Stickstoff wird über den Anbau von Leguminosen in die Fruchtfolge gebracht. Diese umweltschonenden Methoden bedeuten einen weitaus höheren Arbeitsaufwand. Die Erntemengen sind jedoch geringer als im konventionellen Landbau.« Als Leguminosen werden sowohl Hülsenfrüchte (zum Beispiel Erbsen und Ackerbohnen) als auch kleeartige Futterpflanzen (Luzerne, Rotklee) bezeichnet. Leguminosen enthalten viel Eiweiß und reichern den Boden mit Stickstoff an.

Wer Tierhaltung nach ökologischen Gesichtspunkten betreibt, ernährt die Tiere artgerecht. Damit ist das Kriterium für die Auswahl des Futters ein anderes, als wenn – wie in der konventionellen Landwirtschaft üblich – die Tiere auf Höchstleistung getrimmt und ihr Wachstum künstlich beschleunigt wird. Ein Bauer, der darauf verzichtet, muss mit verlängerten Mastzeiten der Tiere rechnen und kann daher weniger Fleisch, Milch oder Eier anbieten.

Diese Beispiele zeigen: Eine anstrebenswerte Landwirtschaft orientiert sich nicht daran, mit möglichst wenig Kosten möglichst viel Einnahmen und einen maximalen Ertrag zu erzielen. Diese Zweckbestimmung stellt noch in einer zusätzlichen Hinsicht eine Verengung dar. Sie klammert die gemeinnützigen Leistungen wie Landschaftspflege und Naturschutz aus. Viele der dort anfallenden Aufgaben erfordern eine besonders intensive Arbeit und lassen sich in geringerem Maße maschinell durchführen. Das betrifft zum Beispiel die Pflege von Hochstammobstbäumen, wertvollen Wiesen an Hanglagen und Hecken.

Traumhafte Renditen

Eine verbreitete und kurzschlüssige Interpretation der Preise von Lebensmitteln in Deutschland lautet: »Die Verbraucher wollen niedrige Preise.« Zunächst einmal sind es aber die großen Konzerne im Lebensmittelhandel, die die Preise festlegen. Edeka, Rewe, die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) und Aldi hatten 2024 zusammen einen Anteil von 76,3 Prozent am Umsatz.

Weit verbreitet ist auch die Vorstellung: »Die Verbraucher wollen wenig für Lebensmittel zahlen, also geht es den Bauern schlecht.« In Wirklichkeit hat der Preisanteil landwirtschaftlicher Produkte, der bei den landwirtschaftlichen Betrieben ankommt, kontinuierlich abgenommen. In Deutschland gelangten 1950 noch zwei Drittel der auf landwirtschaftliche Produkte bezogenen Verbraucherausgaben zu den Bauern. Zwischen 1965 und 1975 betrug dieser Anteil die Hälfte, heute liegt er bei einem Viertel.¹ Der größte Anteil der Verbraucherausgaben für Lebensmittel wandert in die Taschen von Lebensmittelindustrie und -handel.

Im Jahr 2019 betrug die Eigenkapitalrendite in den Regionalgesellschaften von Aldi Süd 19,7 Prozent, bei Aldi Nord 18,1 Prozent, bei den selbständigen Rewe-Händlern 18,5 Prozent und bei Edeka 17,3 Prozent.² Die Rendite liegt damit deutlich höher als in anderen Wirtschaftszweigen.

Bei den Protesten von Bauernverbänden Anfang 2024 war häufig die Parole zu hören: »Wir (Bauern) ernähren das Land!« Tatsache ist: Die deutsche Landwirtschaft orientiert sich zu einem erheblichen Teil gerade nicht daran, die einheimische Bevölkerung zu versorgen. Sie hat 2023 vielmehr Agrarprodukte im Wert von 98,66 Milliarden US-Dollar (84,62 Milliarden Euro) exportiert. Bei 83,6 Millionen Einwohnern in Deutschland 2024 macht das pro Kopf 1.179,40 US-Dollar (1.011,57 Euro). Deutschland stand 2023 unter den führenden Exportländern für Agrarprodukte weltweit auf Platz vier nach den USA, Brasilien und den Niederlanden.

Bereits die Weltmarktorientierung der Landwirtschaft bildet eine starke Ursache für den Preisdruck auf die Agrarprodukte. In einer vernünftigen Gesellschaft müsste sich die Produktion – auch – von Lebensmitteln daran orientieren, den Bedarf innerhalb des jeweiligen Landes zu befriedigen, und nicht daran, in der Konkurrenz auf dem Weltmarkt möglichst viel profitabel zu exportieren. Zumal der Agrarexport zu Dumpingpreisen zum Beispiel nach Afrika auch den dortigen Bauern schadet.

Die Hauptursache für den Drang, am Preis der Lebensmittel – koste es, was es wolle – zu sparen, resultiert aus dem Imperativ, die Aufwendungen für die Reproduktion der Arbeitskraft niedrig zu halten. In diese Kosten gehen die Lebensmittel ein. Der Anteil der Ausgaben für Lebensmittel an den Lebenshaltungskosten hat in den vergangenen 75 Jahren stark abgenommen. Die Ursachen dafür liegen sowohl in der Steigerung der Realeinkommen als auch in der in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Industrialisierung der Landwirtschaft. Die indirekten Folgekosten bilden die Preise jedoch nicht ab. Denn was der Konsument durch billige Produkte der konventionellen Landwirtschaft einspart, muss er als Steuerzahler mehr bezahlen – für die teure nachträgliche Reparatur bzw. Kompensation der Schäden, soweit dies überhaupt möglich ist.

Die »Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft« (AbL) ist diejenige Bauernorganisation, die sich eindeutig an einer für die Natur und die Gesundheit pfleglichen Landwirtschaft orientiert. Das ist sehr anerkennenswert. Zugleich geht es dieser Organisation um die Sicherung der Zukunft für jeden Hof. Dafür sei es erforderlich, die Verhandlungsmacht der Bauern gegenüber der Lebensmittelindustrie und dem Handel zu stärken sowie die Subventionspolitik umzustellen. Gegenwärtig entfällt der überwiegende Teil der staatlichen Subventionen auf pauschale Flächenprämien und ist nicht verknüpft mit qualitativen Vorgaben für die Bewirtschaftungsweise.

Der eigene Hof

Aber: Wer für die Existenz vieler einzelner eigenständiger Agrarbetriebe eintritt, kommt nicht umhin, die Konkurrenz zwischen ihnen zu bejahen. Selbst wenn die Ziele der AbL erreicht würden und kleinere sowie mittlere Betriebe zunächst in der Landwirtschaft dominieren, wäre dies nicht von Dauer. Schließlich ist Konkurrenz ohne Sieger und Verlierer nicht zu haben. Und mit der Konkurrenz würde erneut ein Konzentrationsprozess in der Landwirtschaft anfangen.

Zwar ist beispielsweise in Bergdörfern, in denen die Bauernhöfe klein sind, ein gewisses Mindestmaß an Kooperation üblich. Verschiedene Bauern wechseln sich dabei ab, die Kühe gemeinsam morgens auf eine Wiese zu treiben und abends wieder in den Stall zu bringen. Zudem gibt es unter Bauern Maschinengemeinschaften. Zugleich aber weisen Kleinbauern in geradezu sprichwörtlich besonders starkem Ausmaße die Mentalität von Privateigentümern auf: Man gönnt sich gegenseitig nicht das Schwarze unter dem Fingernagel. Neid sowie Rivalität herrschen, und das Leitbild des kleineren Bauern ist der größere Hof. Auf dem kleinen Bauernhof hat nur der Privateigentümer den Hut auf. Gleichberechtigte Arbeitskollegen kennt ein solcher Landwirt nicht. Einzelkämpfer zu sein – das bleibt nicht ohne negative Folgen. Ein solcher Hofherr hat zudem häufig nichts neben dem Hof. Der ist sein »ein und alles«, sein Lebenswerk. Die hohe Arbeitsbelastung des Bauern, der für die Bewältigung der Aufgaben nicht selten auch seine Familienangehörigen einbezieht, koexistiert mit dem eigensinnigen Stolz, auf seinem Hof sich als eigener Boss betätigen zu können. Zwar weist die Eigenständigkeit angesichts der ökonomischen Abhängigkeiten des Bauern ­objektiv enge Grenzen auf. Um so überkompensatorischer und schrulliger wird die Eigenständigkeit dann aber häufig inszeniert.

Die Glaubensüberzeugung »Jeder strengt sich nur für den Betrieb an, dessen Privateigentümer er ist« passt zu Selbständigen, die solo ihr eigenes Gewerbe betreiben. Diese Auffassung passt nicht zu Betrieben und Organisationen, in denen die Arbeit arbeitsteilig und als Zusammenarbeit vieler Arbeitender stattfindet. Die Anhänger der AbL wollen etwas produzieren, das der Umwelt nicht schadet und der Gesundheit der Kunden nicht abträglich ist. Dieses Problembewusstsein steht im Kontrast zu Horizont des Privateigentümers (»Jeden Hof erhalten«): Dem Warenproduzenten ist es so lange egal, ob seine Produkte indirekte negative »Neben«-Wirkungen aufweisen, wie diese unbekannt bleiben oder wie die Nachfrage nach seinen Angeboten nicht abnimmt, selbst wenn diese problematischen Effekte bekannt werden.

Eine vernünftige Gesellschaft wird ihre Ökonomie so einrichten, dass der Gegensatz zwischen dem betriebswirtschaftlichen Nutzen und dem gesamtgesellschaftlichen Nutzen überwunden bzw. deutlich verringert wird. Die wirtschaftliche Rechnungsweise verabschiedet dann die gegenwärtig vorherrschenden Maximen »Gewinne privatisieren und Verluste der Gesellschaft aufbürden« sowie »Möglichst billig produzieren, dafür Natur, Umwelt und Gesundheit schädigen«. Wer diese Orientierung überwinden will, wird an der Vergesellschaftung von Betrieben bzw. an der Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln nicht vorbeikommen. In bezug auf die Landwirtschaft betrifft das auch Unternehmen, die Profit mit der Verarbeitung der Agrarerzeugnisse machen (etwa die Großschlachtereien und -molkereien), ebenso die Betriebe, deren Geschäfte aus dem Verkauf von Saatgut oder Maschinen für die konventionelle Landwirtschaft bestehen. All diese Kapitale agieren als Treiber und Verstärker einer durch und durch problematischen konventionellen Landwirtschaft.

Besser gemeinsam

Die Verfechter des bäuerlichen Privateigentums folgen der Glaubensüberzeugung: »Nur zu meinem Eigentum bzw. zu meinem Stück Grund und Boden habe ich ein intensives und sorgfältiges Verhältnis.« Gewiss entsteht durch einen bloßen Eigentümerwechsel (Nationalisierung von Grund und Boden) noch nicht notwendigerweise eine Mentalität, aus der heraus Arbeitende in öffentlichen Einrichtungen motiviert, qualifiziert und mit Einsatz »für die Sache« arbeiten. Dafür bedarf es objektiv einer anderen Organisation der Arbeit. Aber es bedarf eben auch subjektiv einer Wertschätzung sinnvoller Arbeit, damit es nicht bei einem desinteressierten und unengagierten Verhältnis eines Verwalters zu einer ihm fremden Materie (hier: zum öffentlichen Eigentum) bleibt. Dass viele Lehrer in öffentlichen Schulen oder viele Beschäftigte in öffentlichen Krankenhäusern gute und empathische Arbeit leisten, zeigt: Dafür ist es keineswegs zwingend notwendig, dass jemand nur die eigenen Kinder unterrichtet, Arzt in der eigenen Privatpraxis ist oder ausschließlich seine eigenen Angehörigen pflegt.

Die Vergesellschaftung stellt »nur« die objektive Bedingung einer anstrebenswerten Wirtschaft dar, in der es den Anbietern auch subjektiv darum geht, für die Kunden sinnvolle Produkte in guter Qualität zu produzieren. »Sinnvoll« heißt auch: Der Anbieter begnügt sich nicht damit, dass er mit seinem Produkt oder seiner Dienstleistung irgendein Bedürfnis erfüllt. Bei Prostitution und Drogen ist der Unterschied zwischen problematischen und unproblematischen Bedürfnissen evident. Ein landwirtschaftliches Produkt ist dann sinnvoll, wenn seine Produktion nicht die natürlichen Lebensbedingungen der Bevölkerung schädigt und wenn sein Genuss der Gesundheit zuträglich ist.³ Es existiert inzwischen eine Menge Wissen über die gesundheitlichen Vor- und Nachteile bestimmter Lebensmittel. Vielen ist zudem bewusst, dass beispielsweise das Bedürfnis nach Fast food häufig im Kontext von Zeitdruck und Zeitknappheit steht, aber nicht etwas darstellt, mit dem jemand sich auf Dauer etwas Gutes gut.

Insgesamt geht es also darum, dass Arbeitende es nicht dabei bewenden lassen, sich ausschließlich für ihr Arbeitseinkommen und ihre Arbeitsbedingungen zu interessieren. Diejenigen, die ihre Arbeit nicht nur als Job auffassen, haben Vorbehalte dagegen, dass die Gebrauchswertinhalte der Produkte und Dienstleistungen davon abhängen, was profitabel und verkaufbar ist. Das Problem lässt sich nicht individuell lösen. Wer sich Gewissensbisse über seine Arbeit bzw. deren Produkte macht, kommt nur weiter, wenn er ein Bewusstsein von den für sie maßgeblichen gesellschaftlichen Strukturen herausbildet.

Friedrich Engels plädierte 1894 dafür, gegenüber den kleineren Bauern für eine Landwirtschaft in Produktionsgenossenschaften auf freiwilliger Basis zu werben: »Unsere Aufgabe gegenüber dem Kleinbauer besteht zunächst darin, seinen Privatbetrieb und Privatbesitz in einen genossenschaftlichen überzuleiten, nicht mit Gewalt, sondern durch Beispiel und Darbietung von gesellschaftlicher Hilfe zu diesem Zweck. Und da haben wir allerdings Mittel genug, um dem Kleinbauer Vorteile in Aussicht zu stellen, die ihm schon jetzt einleuchten müssen.« Diese Vorteile betreffen nicht zuletzt, die Zusammenarbeit der Bauern im Unterschied zu ihrer gegenwärtigen Einzelkämpferexistenz.

Zur Zeit von Friedrich Engels gab es weder eine industrialisierte Landwirtschaft noch Subventionen. Deren gegenwärtiger Umfang zeigt: Selbst eine konventionelle Landwirtschaft ist unter Bedingungen einer normalen Marktwirtschaft wirtschaftlich kaum existenzfähig. Eine Umstellung der Landwirtschaft auf biologischen Landbau würde die Preise der Agrarprodukte deutlich erhöhen oder alternativ dazu weitere zusätzliche Subventionen nötig machen.

Ohnehin vom Staat gefördert

In der Landwirtschaft waren nach der Landwirtschaftszählung 2023 in Deutschland 876.000 Arbeitskräfte beschäftigt. Davon waren 398.000 als Familienarbeitskräfte tätig. Von den 478.000 familienfremden Arbeitskräften waren 243.000 Saisonarbeitskräfte, also 51 Prozent.⁴ Diese sind meist ausländischer Herkunft. Seit dem Jahr 2018 gibt die »Initiative Faire Landarbeit« regelmäßig den Jahresbericht zur Saisonarbeit in der Landwirtschaft heraus. Würden die Unternehmen nicht häufig horrende Abgaben für beengte Unterkünfte vom Lohn abziehen, würden sie Abgaben für die Sozialversicherung zahlen und wären die Arbeitsbedingungen nicht so schlecht, wie dieser Bericht es Jahr für Jahr dokumentiert, müsste die Landwirtschaft noch stärker subventioniert werden.

Die deutschen Bauern beziehen einen hohen Anteil ihres Arbeitsentgelts aus öffentlichen Kassen. Im Wirtschaftsjahr 2021/22 machte die staatliche Förderung durchschnittlich 45 Prozent des Betriebseinkommens aus.⁵Das Vorgehen der konventionellen Landwirtschaft ist geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie system(at)isch negative »Neben«-Wirkungen hervorgebracht und billigend in Kauf genommen werden. Sie erweisen sich ökologisch und gesundheitlich als sehr kostspielig. Falls überhaupt eine Beseitigung bzw. Kompensation dieser Schäden stattfindet, kommen finanziell nicht diejenigen dafür auf, die mit Agrarprodukten Profit machen. Angesichts des Umstands, dass die öffentlichen Kassen bereits die Kosten für die Beseitigung der Folgeschäden der konventionellen Landwirtschaft übernehmen, und in Anbetracht der Tatsache, dass sie diese Landwirtschaft stark subventionieren, muss man sich ehrlich machen.

Insofern die Landwirtschaft sich ohnehin nur unter Voraussetzung von Subventionen rechnen kann, ist ihr eine andere Eigentums- und Besitzform zu geben. Die landwirtschaftlichen Betriebe würden dann zu Anstalten des öffentlichen Rechts und die Bauern zu Angestellten im (erweitert verstandenen) öffentlichen Dienst. Gewiss sind in ihm Veränderungen erforderlich, um Bürokratismus und Dienst nach Vorschrift zu überwinden. Der Schimmel soll nur auf der Weide wiehern und nicht im Amt. Aber trotz aller Mängel des bestehenden öffentlichen Dienstes ist eine Mehrheit der Bevölkerung erfreulicherweise der Auffassung, die Politik solle eher öffentliche Kliniken und Schulen fördern als Privatkliniken und Privatschulen. Da fehlt »nur« noch das Votum dafür, die Landwirtschaft in den öffentlichen Dienst einzugliedern.

Anmerkungen:

1 Vgl. Jürgen Ehlers: Landwirtschaft: Das große Fressen, marx21.de/landwirtschaft-die-grossen-sollen-die-kleinen-fressen

2 Vgl. Norbert Lehmann: Marktmacht des Einzelhandels – Teure Lebensmittel, Agrar heute, 21.3.2023

3 Siehe zu den Problemen und Stärken des Begriffs »Sinn« bzw. »sinnvoll« in Bezug auf Arbeiten und Tätigkeiten: Meinhard ­Creydt: Sinnvolle Existenz als Maßstab des eigenen Lebens und der Gesellschaft, Telepolis 13.6.2021

4 bmel.de/DE/themen/landwirtschaft/agrarsozialpolitik/saisonarbeitskraefte-landwirtschaft.html

5 iwd.de/artikel/agrarpolitik-wie-stark-deutsche-bauern-subventioniert-werden-610263

Meinhard Creydt schrieb an dieser Stelle zuletzt am 28. November 2024 über Commons und »Communismus«: Keine Alternative.

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  • Leserbrief von Erhard Kiehnbaum aus Greifswald (24. Juli 2025 um 14:22 Uhr)
    Über Vergenossenschaftlichung landwirtschaftlicher Betriebe zu reden (bzw. zu schreiben), ist nicht nur unproduktiv, sondern geradezu sinnlos, wenn man die
    Erfahrungen mit den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der
    DDR nicht berücksichtigt, ja nicht einmal erwähnt. Dieser Beitrag verfehlt
    einfach das Thema. – Da nützt auch ein Engels-Zitat nichts. – Nach der
    »Zwangskollektivierung« wurde na« im Juni 1990 erfolglos versucht die Auflösung
    der LPG durchzusetzen.
    Entgegen den verbreiteten Erwartungen westdeutscher Politiker haben nach der
    »Wende« eben nicht scharenweise »Neueinrichter« die LPG verlassen, sondern sie
    sind im Rahmen eben dieses Gesetzes in Genossenschaften bürgerlichen Rechts
    umgewandelt worden – also faktisch als LPG erhalten und damit als bedeutender
    ökonomischer Faktor erhalten geblieben.
    Die Erfahrungen mit den unterschiedlichen Formen des Gemeineigentums, die in den
    verschiedenen LPG-Typen ihren Ausdruck fand, berücksichtigte u. a. das enge
    Verhältnis der Bauern zu ihrem Grund und Boden ebenso, wie ihr Verhältnis zu
    ihren Tieren (zum Beispiel zu »Liese« und »Lotte«). So war der Übergang vom Typ
    1 zu Typ 3 fast nahtlos, denn wenn ein LPG-Mitglied in Rente ging, wurden die
    Tiere von der LPG übernommen.
    Zur Rolle der Demokratie: Einige Bauern in unserem Dorf fragten die Agitatoren,
    die sie zum Eintritt in die LPG bewegen wollten: »Ist Max [das war mein Vater]
    schon dabei?«, als er »dabei« war, wählten sie ihn zum Vorsitzenden. Wenn heute
    über die dort herrschende Demokratie gehöhnt wird: »Die LPG wurden formal
    demokratisch geleitet«, so kann ich ein Lied davon singen, wie mein Vater
    versuchte, ein Förderband zu erwerben, um die schwere körperliche Arbeit zu
    verringern. Dafür war eine Stimmenmehrheit der Mitglieder erforderlich und die
    war manchmal schwer zu erreichen.
    Es wäre wünschenswert, über dieses Thema gelegentlich einen fundierteren Beitrag
    in der jW zu lesen.
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich Hopfmüller aus Stadum (24. Juli 2025 um 14:34 Uhr)
      Ich schließe mich dem Tenor des Leserbriefs von Erhard Kiehnbaum an. Ebenso dem Wunsch nach einem fundierten Beitrag zu den »Erfahrungen mit den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) der DDR«.

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