Jahr für Jahr
Von Peter Wawerzinek
Kaum dass wir nach vierstündiger Anfahrt von Magdeburg aus in Bad Doberan angekommen sind, müssen wir auch schon auf dem Festivalgelände antanzen. Don Preston tritt auf. Also rasch vorfahren, Bändchen ums Handgelenk binden lassen, Programmheft einstecken, Auto abstellen und los. Er spielt solo, der alte Mann, 93jährig, alle Achtung. Spricht zwischen den Titeln mit dem Publikum, das sich über den Platz verteilt.
Der ist kleiner geworden. Notgedrungen. Der Reiterhof legt die Miete fest, und die ist zeitgemäß hoch. Vor etlichen Jahren hatte das Festival ungefähr diese Größe gehabt. Dann stiegen die Zuschauerzahlen kurzzeitig auf vielleicht zwei- bis zweieinhalbtausend. Mehr war nicht drin. Schließlich gehört es zur Zappanale (dieses Jahr vom 16. bis 20. Juli), dass sich die Fans mit all ihrem Sack und Pack nebenan einrichten, sprich lange vorher anreisen, sich ausbreiten, bis zum Abwinken da bleiben. Sie sind eine Familie. Treffen sich Jahr für Jahr hier. Es kommen, was der Veranstalter in seiner Begrüßungsrede ausdrücklich betont, keine neuen, jüngeren Leute hinzu. 40 Jahre will er durchhalten, so lange wie die DDR. Die 34 ist erreicht. Es verbleiben sechs ehrgeizige Zappanale-Veranstaltungen, ehe gefeiert werden kann.
Immer wieder ist das Festival bedroht. Innere Querelen. Ein Jahr, heißt es, haben die wichtigsten Vertreter des ausrichtenden Vereins nicht miteinander geredet. Es gab ein kleines Alternativfestival, das diejenigen loben, die es auf die Beine gestellt haben. Es brodelt, es geht um Finanzen und Ideen, Bandauswahl, Geschmäcker, Sturheit, Durchsetzungsvermögen und Verlässlichkeit. Diese unnütze Rivalität löst bei denen, die nur Zappamusik hören wollen, unverständiges Kopfschütteln aus. Selbst Insider blicken nicht mehr durch, wer welche Interessen verfolgt und wirklich das Sagen hat.
Zuerst leidet da die Qualität. Insgesamt aber will/kann/darf man sich das große Ding-an-sich nicht verderben lassen. Irgendwie wurde es wieder gestemmt. Eine gewisse Vielfalt der Interpretation bleibt gewahrt. Überraschungen werden geboten. Nicht allen Zappanisten gefällt das. Sie schwören auf »Echtheit« und genaues Nachspielen der einzelnen Titel und Alben. Wenn da plötzlich ein Countertenor Zappa interpretiert, löst das heftige Schnappatmung aus. Etwa bei meinem Kumpel Schote, der nicht einmal anerkennenden Beifall zu spenden bereit ist.
Ich habe die erste Zappanale miterlebt. In einer Kirchruine, auf einem Traktoranhänger für vielleicht vier-fünf Dutzend Fans. Unzählige Male bin ich dabei gewesen. Und immer wieder traf ich auf dem Festival viele beste alte Freunde. Bin schließlich hier zur Schule gegangen. Habe Wolfhard Kutz kennengelernt, der damals schon Frank Zappa als seinen persönlichen Großmeister ansah, und den verrückten Traum verfolgte, ihm zu Ehren ein Musikereignis in Bad Doberan stattfinden zu lassen. Das hat er geschafft. Das kann ihm keiner mehr nehmen.
Ich nutze die Tage, um ans Wasser zu fahren, den Strand abzulaufen, nach Steinen mit Löchern zu suchen, die meistens meine Geliebte findet. Aber dann ist wieder Zappanale angesagt. Ich höre zu, schau mich um, grüße Bekannte, gedenke der guten wie schlechteren Zeiten. Fühle mich eingehüllt und umfangen. Oder wie mein Kumpel Schote meint: Darüber kannst du ein ganzes Buch schreiben.
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