Bis zur Neige
Von Frank Schäfer
John Michael Osbourne leidet an ADS und Dyslexie; um seine Minderwertigkeitskomplexe zu überspielen, macht er sich zum Affen. Aus John Michael wird Ozzy – die Rolle des unberechenbaren, aber unterhaltsamen Clowns spielt er schon früh ziemlich gut. Bei seiner proletarischen Herkunft kann er sich leicht seine Chancen ausrechnen in der heruntergekommenen, noch in den 1960ern ziemlich kriegsversehrten Industriemetropole Birmingham. Aber die Beatles, Arbeiterkinder wie er, lösen seine Sinnkrise. Weil er kein Instrument spielt, will er singen und auch schon mal aussehen wie ein Rockstar. Er lässt sich Tattoos stechen, läuft barfuß herum und trägt einen Wasserhahn um den Hals. Sein Vater sieht offenbar, dass er es ernst meint, vielleicht will er ihn auch nur aus dem Haus haben, jedenfalls streckt er ihm das Geld für eine Gesangsanlage vor.
Der talentierte Mr. Iommi stellt mal wieder eine neue Band zusammen, sie jammen ein bisschen und kommen ganz gut zurecht. Auch weil sie wissen, welche Musik sie nicht spielen wollen: »Alle diese Wichser von den Oberschulen in ihren Polohemden liefen in die Läden und kauften Songs wie ›San Francisco (Be Sure to Wear Some Flowers In Your Hair)‹. Blumen im Haar?! Das durfte doch nicht wahr sein«, lässt Ozzy später verlauten, »wen kümmerte es überhaupt, was die Leute in San Francisco trieben? Die einzigen Blumen, die man in Aston (seinem Stadtteil, F. S.) zu Gesicht bekam, waren die, die sie einem ins Loch runterwarfen, wenn man mit 53 Jahren abgekratzt war, weil man sich kaputtgeschuftet hatte.«
Man einigt sich auf harten, schweren Blues Rock, zähflüssig wie geschmolzenes Erz aus dem nahegelegenen Stahlwerk. Sie nennen sich Polka Tulk Blues Band, Earth und schließlich Black Sabbath. Ein Imagewechsel von strategischer Weitsicht. Als Reaktion auf die beginnende Desillusionierung der Hippies in den ausgehenden 1960er Jahren bricht sich gerade eine Okkultismusmode bahn, die sie mit Teufelsakkorden und umgedrehten Kreuzen bereichern. Schon bald mutieren sie zu Spielmännern des Hypes. Am 17. November 1969 poltern Ozzy und Co. ihr Debütalbum ins Mischpult, das von den Kritikern fast einhellig in der Luft zerrissen wird. Die unberatenen Plebejerkinder sind wieder mal klüger und vergolden ihre Alben, weil sie die musikhistorische Innovationsleistung der Band intuitiv erspüren. Mit ihrem Debüt und den folgenden drei Alben »Paranoid« (1970), »Masters of Reality« (1971) und »Vol. 4« (1972) erschaffen Black Sabbath gleich eine Handvoll neuer (Sub-)Genres – Heavy Metal, Doom Metal, Stoner Rock, Gothic.
Ozzy durchläuft nun die notorischen Stationen einer großen Rockstarkarriere. Tour folgt auf Album, Album auf Tour, die zermürbende, alle kreative Vitalität auspressende Vereinnahmung durch die Plattenfirma ist nur noch unter Drogen zu ertragen, die Egos der Musiker wachsen in Rekordzeit auf Überlebensgröße heran, der enorme Erfolgsdruck verlangt nach mehr Drogen, die immer öfter zu Zusammenbrüchen führen. Am Ende stehen »musikalische Differenzen«.
Ozzy steigt aus und hat das unverschämte Glück, mit Sharon Arden die Frau seines Lebens zu finden, die diesen Freak nicht nur liebt und heiratet, sondern ihm auch noch als Strippenzieherin hinter den Kulissen zu einer überaus erfolgreichen Solokarriere verhilft. Die verläuft zunächst noch einige Jahrzehnte in den klassischen Bahnen, als Sänger einer Metalband, die heißt wie er selbst. Sharons größter Coup ist allerdings der Reality-Sitcom-Dauerbrenner »The Osbournes« auf MTV, der Ozzy von 2002 bis 2005 in die Wohnzimmer der ganzen Welt bringt und ihn damit weit über die Grenzen der Musikszene hinaus bekannt, aber auch zu einer oft genug unfreiwilligen Lachnummer macht. Hier beginnt seine endgültige Auratisierung. Ozzy wird zu einem Star viel größeren Formats, zum »Prince of fucking Darkness«, der jede Droge ausprobiert, vieles gesehen und durchlitten hat, aber dennoch irgendwie davongekommen ist. Gingen zuvor nur seine mehr oder weniger kalkulierten Skandale durch die Medien, etwa wenn er wieder mal einer Fledermaus oder Taube den Kopf abgebissen hatte, wird er nun so richtig zum Gegenstand des öffentlichen Interesses.
Seine Interviews können noch so erratisch oder peinlich sein, jeder Fauxpas wird ihm verziehen, weil er nur ein weiterer Beweis dafür ist, dass er den Sündenkelch bis zur Neige geleert hat. Trotz seiner langen Drogen- und Alkoholsucht, die, wie man jetzt immer öfter merkt, psychisch wie physisch tiefe Spuren hinterlassen hat, trotz einiger Seitensprünge, abartiger Exzesse und sogar eines Mordversuchs im Delir hält Sharon Osbourne zu ihm – und die gemeinsame Firma am Laufen. Ozzy ist mindestens genauso ihr Produkt wie seins. Sie ist in der Rolle der bösen Fee unverzichtbar, um dieses Metalmärchen erfolgreich weiterzuspinnen.
Sogar mit seiner Stammband versöhnt er sich wieder – und es ist schön zu sehen, wie Ozzy und Iommi fast zum Ende ihre alte Bühnenliebe wiederentdecken. Wenn der Madman bei den ausgiebigen Instrumentalpassagen seine notorischen Clownerien abzieht oder wie ein Stummfilmmonster durch die Szenerie geistert, dann huscht den beiden immer wieder ein Lächeln übers Gesicht, wie man es von alten Ehepaaren kennt. Auch Ozzy scheint die wiedergefundene Harmonie gutzutun. Er muss zwar weiterhin jeden Morgen dem Herrgott danken, dass es einen Teleprompter gibt, und der Mikroständer scheint ihm zeitweise eine echte Stütze zu sein, aber so agil und stimmsicher wie auf der letzten Sabbath-Tour 2017 hatte man ihn länger nicht mehr erlebt.
Aber Ozzy gibt auch danach keine Ruhe, rekrutiert bewährte Kräfte und tourt als Solokünstler weiterhin unermüdlich durch die Welt, solange seine länger und länger werdende Krankenakte es zulässt. Als sich Zittern und Stottern nicht länger verheimlichen lassen, macht er seine Parkinson-Erkrankung öffentlich. 2020 kommt noch ein Lungenemphysem dazu. Die letzte Welttournee mit dem sprechenden Titel »No More Tours II« muss zunächst wegen Corona unterbrochen werden, aber die verschobenen Konzerte kann er wegen der fortschreitenden Verschlechterung seines Gesundheitszustands schon nicht mehr nachholen.
»Back to the Beginning«, dieses mit voller Kapelle und großer Unterstützung der Metalszene inszenierte Caritas-Festival in seiner alten Heimat Birmingham vor zweieinhalb Wochen, das immerhin 140 Millionen Pfund einspielte für ein lokales Kinderkrankenhaus, Kinderhospiz und die Cure-Parkinson‘s-Stiftung, sollte Ozzys Abschiedskonzert werden. Wirklich geglaubt hat man das nicht. Er ist einfach schon zu oft wiederauferstanden. Auch die anderen drei Sabbathianer schienen plötzlich Morgenluft zu wittern und raunten in die hingehaltenen Mikros schon von einem nun aber wirklich allerallerletzten Studioalbum. Aber daraus wird wohl nichts. Offensichtlich muss sich die Metalgemeinde nun wirklich damit abfinden, dass der Madman, der irgendwie immer da war, jetzt auf einmal nicht mehr da sein soll.
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Mehr aus: Feuilleton
-
Vorsorge
vom 24.07.2025 -
Fanta Vier plus eins
vom 24.07.2025 -
Jahr für Jahr
vom 24.07.2025 -
Vorschlag
vom 24.07.2025