Zum Pflegen zuwenig …
Von Oliver Rast
Es bleibt dabei: Wenn nichts dazwischenkommt, werden wir alle mal alt – und pflegebedürftig. Nur, die Aussichten für den Lebensabend sind düster. Jedenfalls für die meisten von uns. Warum? Weil »die Pflegebedürftigkeit das größte Armutsrisiko im Alter ist«, sagte die pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Die Linke, Evelyn Schötz, am Mittwoch jW.
Ein Risiko, das weiter steigen dürfte. Ein Indiz: Erstmals hat die monatliche Eigenbeteiligung in der stationären Pflege die Marke von 3.000 Euro durchbrochen. Das ist das Ergebnis einer Datenauswertung mit Stichtag 1. Juli 2025, das der Verband der Ersatzkassen (Vdek) bereits am Dienstag vorlegte. Demnach ist die Eigenbeteiligung Pflegebedürftiger und ihrer Angehörigen im ersten Aufenthaltsjahr im Bundesdurchschnitt von 2.871 Euro auf 3.108 Euro im Monat gestiegen..
Aber es gibt regionale Unterschiede: Im Ländervergleich am teuersten war die Heimpflege im ersten Jahr in Bremen mit durchschnittlich 3.449 Euro im Monat, berichtete der NDR am Mittwoch. Bundesweit am niedrigsten in Sachsen-Anhalt mit 2.595 Euro. Eine Gegenüberstellung, die in die Irre führt. Denn im Osten sind Renten vergleichsweise mickrig. Ferner fehlen oft Alterseinkünfte aus Vermögen oder Betriebsrenten.
Davon unabhängig: Offen ist, wie die soziale Pflegeversicherung (SPV) künftig finanziert werden kann. Darum soll es in der jüngst eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe »Pflegereform« unter Leitung von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) gehen. Die SPV ist bislang nur eine Teilkaskoversicherung. Das soll laut Ressortchefin auch so bleiben, neue Leistungen schloss sie aus. Etwa mit Verweis auf eine Prognose des Bundesrechnungshofs. Die Finanzkontrolleure erwarten bis 2029 ein Defizit in den SPV-Kassen von zwölf Milliarden Euro. Thorsten Frei sekundierte seiner Parteikollegin Warken. Der Staat könne nicht für alles aufkommen, meinte der Kanzleramtsminister am Dienstag via Redaktionsnetzwerk Deutschland. Mehr noch, es sei nach wie vor notwendig, »auch privat für den Pflegefall vorzusorgen«.
Ein schlechter Scherz, findet Linke-Politikerin Schötz. Zumal die aktuellen Pflegeeigenanteile hiesige Durchschnittsrenten überstiegen. »Bei weitem«. Nur, was statt dessen? »Eine solidarisch finanzierte Pflegevollversicherung«. Mit einer Versicherung, in die alle steuerpflichtigen Einkommen und Privatversicherte einzahlten, »könnten pflegebedingte Heimkosten vollständig übernommen und Eigenanteile auf unter 1.000 Euro pro Monat gesenkt werden – ohne zusätzliche Steuermittel«, betonte Schötz.
Joachim Rock unterstützt das. Denn die steigenden SPV-Ausgaben zeigten, »dass die Vermarktlichung der Pflege und die Entsolidarisierung ihrer Finanzierung Fehler waren«, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes am Mittwoch gegenüber jW. Und auch die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschlands, Michaela Engelmeier, positioniert sich auf Anfrage dieser Zeitung: Mittels Vollversicherung müsse das Pflegerisiko komplett abgesichert und müssten alle notwendigen Kosten übernommen werden. Bis dahin seien »die Eigenanteile spürbar zu deckeln«.
Einfach wird das nicht. Denn Pflegeheime gehörten längst zum Geschäftsmodell internationaler Kapitalfonds, weiß Schötz. Die Folge: Kaputtsparen bei Personal, bei Ausstattung – alles für die Rendite. Bleibt es dabei, bleibt die (Todes-)Falle für die meisten von uns: alt, pflegebedürftig, arm.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in H.-J. R. aus Berlin (24. Juli 2025 um 11:02 Uhr)Pardon, aber mir wird schlecht, wenn ich das lese – und nicht nur das. Die Freiheit des Kapitals ist unter den Wolken grenzenlos. Da denke ich an die 80er in der DDR. Sicher, der Sozialismus, mit vielen Muttermalen der alten Gesellschaft behaftet – also sozial unterschiedlichen Schichten (Marx) und insofern auch Mangelgesellschaft – wies davon Schwächen auf. Und die alte Wahrheit bleibt, dass dort, wo soziales Recht betont wird, gleichfalls noch soziales Unrecht auch nicht ausgeräumt ist, sonst erübrigte sich überhaupt der Sozialbegriff. Dessen Überwindung galt aber alles gemeinsame Schaffen nach Plan unter gesellschaftswissenschaftlich begründeten Maßstäben. Welch ein konträrer Unterschied zu heute! Ich betreute um die Osterzeit auftragsgemäß vom Magistrat im Rahmen der »Liga für Völkerfreundschaft« zu Konsultationsaufenthalten auch alljährlich französische Pädagogen im Stadtbezirk Berlin-Weißensee. Dabei besuchte die kleine Gruppe auf Wunsch das Feierabendheim in der Buschallee. Beim begleiteten Rundgang erfuhren wir auf Nachfrage, dass im Bereich bei nicht Pflegebedürftigkeit 95 Mark der DDR und in der Etage mit Pflege der Platz 120 Mark der DDR betrug. Die 90jährig blinde Großmutter meiner Frau musste leider wegen Krankheitsverschlechterung in Anwesenheit unseres neugeborenen Sohnes damals ins Albert-Schweizer-Heim nach Blankenburg in ihrer letzten Lebensphase, wo sie starb, dort herrschte natürlich nicht der gewünschte Komfort, doch es war für die Sterbende medizinisch gesorgt. Gebrauchswert, nicht Ware und Tauschwert, galten dem Menschen. Im Land der Menschenware hier gilt, dass sich alles dem Profit untergeordnet findet. So ist zum Beispiel auch die »Gebührenordnung für Ärzte« – worin alle Organbehandlungen etc. aufgelistet nach Preis – ein Ausdruck von Unmenschlichkeit, eben Ware Mensch als Freiheit des Kapitals dargestellt wird. Krankenhausschließungen gehören auch dazu, doch das würde hier zu weit führen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (24. Juli 2025 um 08:14 Uhr)Manchmal weiß ich nicht, unter welchem Artikel ich meinen Kommentar schreiben soll. Das würde auch alles unter »Beschaffung für die Bundeswehr« passen. Aber als Erstes – genau wie bei der Rente ist das Geld in der SPV von den pflegebedürftigen Menschen erarbeitet worden. Das Geschrei des Herrn Frei nach privater Vorsorge ist demzufolge vollkommen hirnrissig. Jeder arbeitende, gesetzlich versicherte Mensch zahlt einen Teil seines Bruttoeinkommens in die Pflegeversicherung, spart also für den Fall der Pflegebedürftigkeit Geld an. Das die Herren und Damen »Spitzenverdiener« wie Herr Frei sich an dieser SPV nicht beteiligen müssen, ist der entscheidende Fehler im System. Alles in einen Topf, ohne mehr als 90 unterschiedliche Krankenkassen und die damit verbundenen Pflegekassen, sollte doch einen Großteil des Problems lösen. Und wenn man endlich damit aufhört, die Gesundheitsvorsorge und die Pflege renditeorientierten Unternehmen zu überlassen, löst den »gordischen Knoten« endgültig. Ich frage mich persönlich, wie ich in Brandenburg den durchschnittlichen Eigenanteil von 2875 Euro pro Monat aufbringen soll, wenn ich mit 1000 Euro Rente und 800 Euro Pflegegeld im Monat auskommen muss. Für mich und meine Familie wäre das absolut nicht leistbar. Und ich bin bundesweit bei weitem nicht der Einzige. Aber Hauptsache Geld für die Rüstung und deren Lobby, alles andere ist nur sozialer Ballast für Frei und Co. Christlich und demokratisch (oder wie bei der CSU sozial) sieht für mich vollkommen anders aus. Vielleicht sollten diese Damen und Herren aus der Regierung noch einmal den Religionsunterricht besuchen und sich die Grundlagen der christlichen Lehre beibringen lassen: »Du sollst nicht töten.« »Du sollst Vater und Mutter ehren.« »Du sollst nicht stehlen.« (Buch Exodus des Alten Testaments)
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (24. Juli 2025 um 13:58 Uhr)Lieber Andreas E., die Forderung nach privater Vorsorge wäre hirnrissig, wenn man vernünftige Maßstäbe anlegte. Herr Frei äußert sich pars pro toto (man könnte auch sagen, als Charaktermaske) für den Hegemon. Der entscheidende Fehler ist das System, deshalb ist ziemlich viel im System fehlerhaft. Das wagen nicht alle auszusprechen, die das erkannt haben. Allerdings haben nur relativ wenige Individuen das erkannt. Die anderen quasseln halt, was das Zeug hält. Und: Im Buch Exodus steht auch die Talionsformel. Die mögen Leute, die andere die Drecksarbeit machen lassen, besonders gern.
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