Offizier und Faschist
Von Henning von Stoltzenberg
Udo Voigt, in den 90er und Nullerjahren als Vorsitzender eines der Gesichter der faschistischen NPD, ist tot. Das teilte die Partei, die sich inzwischen Die Heimat nennt, in der vergangenen Woche mit. Demnach verstarb Voigt nach kurzer Krankheit. Er soll bis zuletzt in Berlin-Köpenick gelebt haben, wo sich seit 25 Jahren auch die Bundesgeschäftsstelle der Partei befindet. Das Haus in einem in der Nachwendezeit von Leerstand geprägten Arbeiterviertel in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte für die Opfer des als Köpenicker Blutwoche bekannten SA-Terrors im Juni 1933 hatte ein Rentner aus Baden-Württemberg gekauft und der Partei überlassen.
Aus Westdeutschland kam nicht nur das Geld für das Haus, sondern auch Voigt. Der Sohn eines SA-Angehörigen war seit 1968 Mitglied der NPD. Zwölf Jahre lang war Voigt Offizier auf Zeit bei der Luftwaffe der Bundeswehr, die ihn der gängigen Erzählung zufolge aber 1984 nach diversen Verwendungen im NATO-Ausland mit Verweis auf seine Aktivitäten in der NPD – die zuvor augenscheinlich gar kein Problem waren – nicht als Berufssoldat übernehmen wollte. Er schied als Hauptmann aus dem Dienst aus. Zu diesem Zeitpunkt war er NPD-Kreisvorsitzender in Freising.
Wiederum zwölf Jahre später übernahm Voigt, der sich damals in einer Kampfkandidatur gegen Günter Deckert durchsetzte, den Bundesvorsitz der Partei, den er bis 2011 behielt, als er – wiederum per Kampfabstimmung – von Holger Apfel abgelöst wurde. Ab 2019 war er stellvertretender Vorsitzender. Voigt verfügte über einen vergleichsweise stabilen Anhang in der von ständig wiederkehrenden Cliquenkämpfen geprägten Neonazipartei: 2014 setzte er sich mit seiner Kandidatur für den ersten Listenplatz bei der Europawahl gegen den amtierenden Parteichef Udo Pastörs durch. Bis 2019 saß er im EU-Parlament. Über seine Büros in Brüssel und Strasbourg vernetzte er faschistische Parteien verschiedener Länder. Für »die deutsche Stimme in Europa«, so sein Parteilabel, war das der zählbarste Parlamentserfolg. Marine Le Pens FN wollte mit Voigt indes nichts zu tun haben. Mit dem Vater Jean Marie Le Pen, ließ er verlauten, verstand er sich ganz gut, mit der Tochter nicht.
In Voigts Amtszeit fällt das Scheitern des ersten NPD-Verbotsverfahrens – es wurde eingestellt, weil die gesamte Führungsebene der Partei mit V-Leuten des Verfassungsschutzes durchsetzt und eine »Staatsferne« nicht mehr erkennbar war. Als Bundesvorsitzender versuchte Voigt, die NPD, die in der alten Bundesrepublik lange Zeit eine Partei für Altnazis gewesen war, einerseits für die intellektuelle »Neue Rechte« zu öffnen und gleichzeitig Kader der militanten Neonazikameradschaften zu integrieren. Das trug zu internen Konflikten bei, führte aber auch zu einer verstärkten Verankerung der NPD in der »aktivistischen« Neonaziszene. Inzwischen ist sie – bzw. Die Heimat – dort wieder weitgehend bedeutungslos.
Voigt musste sich mehrfach vor Gericht verantworten. Im Jahr 2005 wurde er beispielsweise wegen Volksverhetzung zunächst zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. In einer weiteren Instanz wurde das Verfahren später eingestellt.
Voigts Vorstellung von einer »nationalen Sammlungspartei« rechts von der Union hat sich inzwischen anderweitig realisiert: in der AfD, an die die NPD den größten Teil ihrer Wählerschaft, die in Voigts Amtszeit groß genug war, um in einige Landtage einzuziehen, verloren hat. Spätestens seit Ende der 2010er Jahre erschien die NPD kaum noch als aktionsfähig. Weder der neue Name Die Heimat noch die Fusion mit der Kleinpartei Die Rechte änderten daran etwas.
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