Sand im Getriebe
Von Barbara Eder
Es gibt Momente, an denen sich die Welt aufhellt – selbst wenn es in Strömen regnet. Der Nachmittag des 8. Juli in der Liebknechtgasse, Wien-Ottakring, war einer davon. Dort hatten sich rund 15 Personen unter tropfenden Kapuzen eingefunden. Organisiert von der überparteilichen Initiative »Rassismusfreies Transdanubien«, führte Rudi Burda, Autor des Romans »Sandige Leiten, rote Saat«, durch das Gelände rund um den Sandleitenhof.
Der Sandleitenhof in Wien-Ottakring war ein gebautes Versprechen: leistbare Wohnungen mit Licht, Küchen und Sanitäranlagen – eine Stadt in der Stadt, mit Arbeiterbücherei und Kommunalkino. 1924 wurde der Gebäudekomplex als Teil des »Roten Wiens« errichtet, ab 1928 war er mit über 1.500 Wohnungen und bis zu 6.000 Bewohnern eine der größten Gemeindebauanlagen der Stadt. Die Wiener tauften ihn liebevoll »Sandleitn«. Ein paar Häuser weiter wuchs Rudi Burda in der Liebknechtgasse auf. Direkt an der Grenze zwischen den Bezirken Hernals und Ottakring liegt der Josef-Wiedenhofer-Hof, umgangssprachlich »Paprikakiste« genannt. Seine Fassade war einst so rot wie frisch gemahlene Schoten, heute sind die geweißten Wände angegraut.
Hier wurde im Februar 1934 Widerstand geleistet. Kommunistinnen und revolutionäre Sozialisten arbeiteten eng zusammen, am Matteottiplatz befand sich ihre Waffenabgabestelle. Im gegenüberliegenden Kongresspark stand eine Milchtrinkhalle: ein sozialer Treffpunkt für Kinder, Schwangere und Arbeiterinnen. Von dort aus zog am Abend des 12. Februar 1934 die Exekutive unter Verstärkung des Bundesheeres mit Maschinengewehren und Granatwerfern auf, um die umliegenden Gemeindebauten zu beschießen. Aus der »Paprikakiste« regnete es Blei. Das Angriffsziel war jedoch zu weit entfernt. Die Schutzbündler zogen sich, um keine Opfer zu riskieren, in Richtung Wienerwald zurück, Frauen und Kinder blieben. Burda schilderte ohne falsche Dramatik. Mit der Hand streifte er über das Kellerfenster des ehemaligen Schutzbundlokals im Erdgeschoss der Liebknechtgasse 2–6: »Als Wohnung war das später niemandem zumutbar.«
Rudi Burdas Mutter, Friedl Burda, wurde 1944 verhaftet und in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert. Sie hatte heimlich Geld für die »Rote Hilfe« gesammelt, im Vorbeifahren mit dem Fahrrad unauffällig nach Tüten aus geöffneten Erdgeschossfenstern gegriffen und die Spenden unter ihrer Jacke versteckt. Rudi Burda, 1951 in Wien-Hernals geboren, erzählt davon nicht als Zeitzeuge, sondern, wie er sagt, als »Zweitzeuge«: einer, der Erfahrungen aus dem antifaschistischen Widerstand vermittelt, ohne sie zu verklären. In seinem Roman »Sandige Leiten, rote Saat« hat er Geschichten literarisiert, die ihm als Kind erzählt wurden von den Eltern, von Genossinnen und Genossen, von alten Leuten, die zu viel gesehen hatten und nie aufgehört haben, zu erzählen. Geschichten vom Widerstand gegen den Austrofaschismus, die sich nicht ins Geschichtsbuch zurückziehen: Auf einer Stiege des Josef-Wiedenhofer-Hofes befand sich eine Druckerei, die auch über kyrillische Lettern verfügte und bereits in den 1930er Jahren illegalisiertes Material vervielfältigte. Bis in die 1960er Jahre verteilten Burda und seine Mutter dort die Wochenendausgabe der KPÖ-Tageszeitung Volksstimme. Zahlreiche ehemalige Unterstützerinnen der »Roten Hilfe« wohnten nebenan.
Dass der Regen weiter prasselte, störte niemanden. Man blieb stehen, lauschte, fragte. Die Leute in der »Sandleitn«, so Burda, haben die Idee einer sozialistischen Gesellschaft mit ihrem Leben verteidigt. Niemals hätten sie sich untergeordnet. Sie arbeiteten gemeinsam, lebten gemeinsam, kämpften gemeinsam – aus Überzeugung und aus Notwendigkeit, aus dem Gefühl heraus, dass man der politischen Reaktion nicht nachgeben darf. Nicht damals. Nicht heute. Zum Abschluss zitierte Burda eine Stelle aus seinem Album »Liederstand«, eine Passage, in der es heißt: »Sie hätten sich auch mit der Gemeinheit arrangieren können. Aber sie waren Sand im Getriebe.« Der Sand ist noch da. Und auch das Getriebe.
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