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Aus: Ausgabe vom 21.07.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Marxistische Debatte

Die praktische Befreiung

Die Wiedergewinnung des Menschen: Eine Studie über den inneren Zusammenhang der Marxschen Theorie
Von Jakob Schäfer
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Ständig reproduzierte Not: Obdachlose Familie am Wegesrand (Darstellung aus dem 19. Jahrhundert)

Vor wenigen Wochen erschien im Mangroven-Verlag ein kleines Buch von Friedrich Voßkühler, das es in sich hat. Der Titel: »Die Gewalt der Totalität. Über den inneren Zusammenhang der Marxschen Theorie«. Der Autor hat sich in dieser kleinen Schrift von 96 Seiten ziemlich viel vorgenommen.

Erstens geht es ihm – wie schon der Untertitel andeutet – um den Nachweis der Kohärenz des Marxschen Werks. Großen Wert legt er hier vor allem auf das Herausarbeiten der humanistischen Motivation von Marx. Voßkühler zieht dazu vor allem die »Ökonomisch-philosophischen Manuskripte« (1844) heran und belegt an einer Reihe von Zitaten aus späteren Werken, dass Marx dieses Engagement zu keinem Zeitpunkt aufgab.

Zweitens erläutert der Autor, wie Marx die konsequente Verwirklichung und gleichzeitig die Aufhebung der Philosophie betrieb. Nach Voßkühler hat der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus nicht etwa die Errungenschaften der klassischen deutschen Philosophie (vor allem Kants und Hegels) negiert, sondern ihre positiven Ansätze aufgegriffen, ihre Widersprüche zutage gefördert und sie überwunden. Von zentraler Bedeutung ist hierbei der Praxisbezug. Dazu zitiert Voßkühler Marx: »Die einzig praktisch mögliche Befreiung« sei »die Befreiung auf dem Standpunkt der Theorie, welche den Menschen für das höchste Wesen des Menschen erklärt«. Die Emanzipation »ist die Emanzipation des Menschen. Der Kopf dieser Emanzipation ist die Philosophie, ihr Herz das Proletariat. Die Philosophie kann sich nicht verwirklichen, ohne die Aufhebung des Proletariats, das Proletariat kann sich nicht aufheben ohne die Verwirklichung der Philosophie.«

Erwartungsgemäß geht Voßkühler anschließend auf die Feuerbachthesen ein und fragt dabei unter anderem: »Welchen Zweck erfüllt die kritische Wissenschaft, die sowohl die Darstellung der inneren Bewegungsgesetze der ›bürgerlichen Gesellschaft‹ als auch die Analyse ihrer Ideologie und die Kritik dieser Ideologie zu umfassen hat?« Ihr alleiniger Zweck müsse es sein, »die Menschen zu selbstbestimmtem Handeln zu befähigen«, also »ihnen das theoretische Werkzeug für eine ihre ›Entfremdung‹ durchbrechende ›revolutionäre Praxis‹ an die Hand zu geben«. Ihr müsse es also darum zu tun sein, »dass letztendlich das ›praktische Prinzip‹ (Kant) realisiert werde, dass zu keiner Zeit und nirgends dem Menschen der andere Mensch ›bloß als Mittel‹ gelten darf. Kurzum: Worauf die geforderte kritische Wissenschaft hinauslaufen muss, ist die ›völlige Wiedergewinnung des Menschen‹.«

Drittens erklärt Voßkühler die Marxsche Methodologie, also die widerspruchsfreie Analyse der Wirklichkeit durch Marx. Bekanntlich war Marx durch die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten motiviert worden, sich intensiver mit der sozialen Frage auseinanderzusetzen (leider geht Voßkühler nicht auf Engels ein, der in diesem Zusammenhang eine ganz wesentliche Rolle spielte). Als stringent arbeitender Philosoph (nicht zuletzt unter dem Einfluss des Materialisten Feuerbach, auch das hätte man ein wenig mehr herausstellen können, unabhängig davon, dass Marx mit seiner historischen Betrachtungsweise über Feuerbach hinausging) ging er alsbald der Frage nach, was denn die Ursachen für die an der Oberfläche des Kapitalismus zutage tretenden Erscheinungen sind. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie als kritischer Wissenschaft komme einem »Selbstverifikationsverfahren gleich«.

Worauf sollen wir – nach Voßkühler – hinauswollen? »Das Ziel ist bei alledem der ›reiche Mensch‹, der seinen Stoffwechsel mit der Natur rational und konsensuell regelt und die intersubjektiven Lebenszusammenhänge sittlich – angeleitet durch das genannte allgemein gültige ›praktische Prinzip‹ – gestaltet. Dieses Ziel prägt die Marxsche Theorie in ihrer Gänze.« Es erzeuge deren inneren Zusammenhang. Es mache, »um Feuerbach im Sinne Marxens zu zitieren, die ›im höchsten Sinne praktische Tendenz‹ dieser Theorie aus. Um das genannte Ziel realisieren zu können, bedarf es der wissenschaftlichen Durchdringung der die Menschen ›entfremdenden‹ Produktionsweise.« Allen, die sich mit den Marxschen Motiven und seiner Methodologie beschäftigen wollen, sei dieses schmale Buch wärmstens ans Herz gelegt.

Friedrich Voßkühler: Die Gewalt der Totalität. Über den inneren Zusammenhang der Marxschen Theorie. Mangroven, Kassel 2025, 96 Seiten, 17 Euro

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