Die Gringos von Mexiko-Stadt
Von Volker Hermsdorf
Drei Wochen nach Demonstrationen in 15 europäischen Städten protestierten Anfang Juli auch Einwohner in Mexiko-Stadt gegen Wohnraumspekulation, soziale Verdrängung und den Ausverkauf ihrer Stadt. Hunderte zogen mit Transparenten wie »¡Gringo, deja de robar nuestro hogar!« (Gringo, hör auf, unser Zuhause zu stehlen!) durch die von Touristen und ausländischen »digitalen Nomaden« dominierten Stadtteile Roma Norte und La Condesa. Diese einst von Arbeitern geprägten Viertel sind heute Paradebeispiele für die Verdrängung der angestammten Bevölkerung zugunsten einer zahlungskräftigen, meist aus Europa oder Nordamerika stammenden Klientel. Anlass der Proteste waren drastisch steigende Mieten, Leerstand infolge von Airbnb-Kurzzeitvermietung und die Untätigkeit der Regierung angesichts dieser Entwicklungen. Die Demonstrationen richteten sich gegen eine Politik, die die Kapitalinteressen der Vermieter, der Tourismusbranche und der digitalen Mittelschicht aus dem Ausland bedient – und die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung ignoriert. Wie in vielen Metropolen der Welt wird der Wohnraum in Mexiko-Stadt zunehmend zur Handelsware – während einfache Beschäftigte und Familien an den Rand gedrängt werden.
Die Kritik der Protestierenden an der Regierung fand bei Fachleuten Anklang. Sie sehen in der wachsenden Gentrifizierung sowohl eine Folge des Fehlens von bezahlbarem Wohnraums als auch des langjährigen Regierungsversagens bei der Regulierung des Immobilienmarkts. Die Kontrollen, die es gebe, würden kaum durchgesetzt, wovon Spekulanten und Unternehmen wie Airbnb profitierten, zitierte der Fernsehsender Euronews den mexikanischen Soziologen Antonio Azuela. Laut »Inside Airbnb«, einer Organisation, die die Auswirkungen des Geschäftsmodells der Plattform auf Wohnviertel dokumentiert, sind in Barcelona, wo sich Bewohner ebenfalls gegen Verdrängung wehren, rund 19.000 Unterkünfte bei Airbnb gelistet. In Mexiko-Stadt sind es über 26.000. Als Folge explodieren dort die Miet- und Immobilienpreise, in einigen Vierteln hört man auf den Straßen mehr Englisch als Spanisch. Kritiker sehen darin bereits eine neue Form des »Neokolonialismus«.
Als Reaktion auf den wachsenden Unmut kündigte Bürgermeisterin Clara Brugada von der in Mexiko regierenden Morena-Partei erste Maßnahmen an. Demnach sollen Mietpreissteigerungen künftig nicht mehr über der Inflationsrate liegen dürfen. Zudem kündigte sie eine Liste mit »angemessenen Mieten« an, um Wohnungssuchenden Orientierung zu bieten. Skeptiker betrachten die Ankündigungen jedoch als bloße kosmetische Korrekturen und fürchten, dass der angebliche Kurswechsel keine strukturellen Änderungen einleitet, sondern lediglich der Beschwichtigung dient, um den sozialen Druck zu senken. Sie verweisen darauf, dass Brugadas Vorgängerin, die heutige Staatschefin Claudia Sheinbaum, 2022 ein Abkommen mit Airbnb und der UNESCO zur Förderung des »digitalen Tourismus« unterzeichnet und damit den Weg für die derzeitige Eskalation bereitet hatte. Gegner werfen der Stadtregierung vor, ein neoliberales Stadtentwicklungsmodell zu fördern, das Investoren schützt und soziale Anliegen marginalisiert.
Die Kritiker machen klar: Solange Wohnraum als Ware behandelt werde, würden soziale Verdrängung und Widerstand nicht enden. Antigentrifizierungsgruppen rufen bereits zu neuen Protesten auf. Sie fordern nicht nur Preisdeckel, sondern eine grundsätzliche Umkehr: Schluss mit Kurzzeitvermietung, Rückführung der Immobilien in gemeinnützige Trägerschaft und die Aufgabe der einseitigen Ausrichtung der Stadtentwicklung auf zahlungskräftige Touristen.
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