Tödliche Verbannung
Von Thomas Berger
Es war der Biss einer giftigen Schlange, der Kamala Damai am vergangenen Wochenende das Leben kostete. Ein simpler Unglücksfall, wie sich annehmen ließe. Doch der tragische Tod der 28jährigen auf diese Weise wäre allemal vermeidbar gewesen. Denn die junge Nepalesin aus einem Dorf am Rande der Kleinstadt Krishnapur hielt sich zu diesem Zeitpunkt in einem sogenannten Chaugoth auf. Chaugoths sind außerhalb liegende Hütten, Verschläge oder ähnliche einfache Bauten, in die viele Frauen vor allem in ländlichen Regionen im westlichen Nepal während ihrer Periode geschickt werden. Diese Menstruationshütten sind mittlerweile zwar gesetzlich verboten, in Teilen des Himalajastaates hält sich die uralte Praxis aber fast ungebrochen. Vor allem in vielen kleinen Ortschaften im Westen des Landes dominiert der frauenfeindliche Aberglaube (Chaupadi), dass Frauen und Mädchen bei ihrer Monatsblutung die Hausgeister erzürnen würden, wenn sie in dieser »unreinen« Zeitspanne direkt bei ihren Familien wohnen. Neben nahrhaftem Essen wird ihnen in dieser Zeit auch der Zugang zu den örtlichen sauberen Wasserquellen verwehrt.
Die Verantwortlichen des Distriktes Kanchanpur, in dem das Dorf der Verstorbenen liegt, reagierten unmittelbar und starteten eine neue Kampagne, um Menstruationshütten aufzuspüren und niederzureißen. »Die Chaupadi-Praxis hält sich hartnäckig. Nun hat eine Frau deswegen ihr Leben verloren. Deswegen ist es unbedingt erforderlich, die Chaugoths zu entfernen«, wurde Chief District Officer Laxman Dahal von der Zeitung The Himalayan Times zitiert. Alle lokalen Stellen distriktweit hätten entsprechende Instruktionen erhalten. Während diese Order am Montag erfolgte, hatte die Stadtverwaltung von Krishnapur die Zerstörung aller Chaugoths binnen 15 Tagen schon am Unglückstag angeordnet.
Dass es sich um einen Kampf gegen Windmühlen handelt, ist den Beteiligten dabei bewusst. Bereits seit zwei Jahren sei man in dieser Weise aktiv, berichtete ein lokal Verantwortlicher den Reportern. Doch kaum seien die Hütten abgerissen und die Kontrolleure wieder verschwunden, würden die Dorfbewohner umgehend für Ersatz sorgen. In seinem Gebiet gebe es aktuell etwa 200 Chaugoths. Ob es hilft, dass die Stadtverwaltung Krishnapurs nun Strafen in Höhe von 10.000 Rupien verhängen will, umgerechnet etwa 70 Euro und damit in dieser Gegend für die meisten kein geringer Betrag, bleibt abzuwarten.
Die »Tradition«, durch die Nepalesinnen laut Bundesentwicklungsministerium im Laufe ihres Lebens durchschnittlich 2.400 Tage von sozialen Aktivitäten ausgeschlossen sind, ist zwar eine Straftat, deren Verfolgung im Alltag aber kaum Umsetzung erfährt. Unglücksfälle ähnlich dem jetzigen verleihen den lokalen Kampagnen zumindest kurzzeitig mehr Nachdruck. Im Januar 2019 hatten etwa Polizeieinheiten im Distrikt Bajura unzählige Menstruationshütten abgerissen, nachdem eine 35jährige Frau und ihre zwei Kinder in einem Chaugoth tot aufgefunden worden waren – offenbar am Rauch ihres Kochfeuers erstickt, wie die Kathmandu Post seinerzeit schrieb. Rajali, eine Siedlung im gleichen Distrikt, war im April 2018 sogar zur »chaugothfreien Zone« erklärt worden. Dort hatten sich selbst religiöse Autoritäten dem Kampf angeschlossen. Der Hindupriester Ram Bahadur Khadka etwa zerstörte laut einem Zeitungsbericht höchstpersönlich die Hütte, in die seine Frau sowie Töchter und Schwiegertöchter zuvor immer wieder geschickt worden waren.
In dieser frauenfeindlichen Verbannung sind Betroffene »routinemäßig der Kälte und einem erhöhten Risiko von sexualisierter Gewalt und Tierangriffen ausgesetzt«, schreibt UN-Women. In einigen Gebieten würden Frauen auch gezwungen, in der Hütte zu gebären und dort bis zu zwei Wochen lang unter den gleichen Einschränkungen zu bleiben. Schon 2005 hatte der Oberste Gerichtshof ein formelles Verbot von Chaupadi erlassen, zwölf Jahre später folgte die Aufnahme ins Strafgesetzbuch – wer andere zum Aufenthalt in einer solchen Hütte zwingt, kann nun mit Bußgeld oder bis zu drei Monaten Gefängnis bestraft werden. Eine wirksame Abschreckung sei das aber bisher nicht, konstatierte schon 2021 die Nepali Times.
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