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Aus: Ausgabe vom 18.07.2025, Seite 15 / Feminismus
Femizid

Muslimin als Feindbild

Hannover: Mord an junger Algerierin bestätigt Gefahr durch wachsenden antimuslimischen Rassismus, von dem mehrheitlich Frauen betroffen sind
Von Yaro Allisat
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Trauer und Widerstand: Noch am Tag des Femizids gedenken Menschen der Getöteten in Hemmingen (4.7.2025)

Sie lebte erst seit zwei Jahren in Deutschland und war in der Ausbildung zur Krankenpflegerin: Vor zwei Wochen wurde die 26jährige Algerierin Rahma Ayat in Arnum bei Hannover im Treppenhaus des Mehrfamilienhauses, in dem sie wohnte, mutmaßlich von ihrem Nachbarn erstochen. Während es von Staatsanwaltschaft und Polizei heißt, man »führe umfangreiche Ermittlungen im Umfeld des Opfers und des Tatverdächtigen durch« und könne ein rassistisches Motiv nicht ausschließen, klagen politische Gruppen wie das »Netzwerk gegen Feminizide« an, dass es sich um ein muslim- und frauenfeindliches Motiv handeln könnte. Unterstrichen wird das durch mehrfach geäußerte Gewaltphantasien und frauenfeindliche Äußerungen, die der mutmaßliche Täter auf Social Media hinterlassen haben soll. In Ayats Wohnung soll er einmal versucht haben, einzudringen, sich ihr gegenüber jedoch nie diskriminierend geäußert haben. Der Verdächtige befindet sich in Untersuchungshaft.

Sowohl in Hannover als auch in anderen Städten finden seither Gedenk- und Solidaritätskundgebungen unter dem Motto »Justice for Rahma« statt. Vereine und politische Gruppen fordern umfassende Aufklärung und ein klares Bekenntnis gegen Gewalt an muslimischen Frauen.

Alarmierend ist dieser Fall insbesondere im Licht des Mitte Juni vorgestellten Lagebilds antimuslimischer Rassismus der Allianz »Claim«. Darin wurde für das vergangene Jahr ein neuer Höchststand antimuslimischer Übergriffe und Diskriminierungen verzeichnet. Über 3.000 Fälle, ein Anstieg um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und damit mehr als acht Fälle täglich führt die Untersuchung auf. Überproportional betroffen waren mit 71 Prozent muslimische Frauen. Die Autoren des Lagebilds gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus, da viele Fälle nicht als solche erkannt werden oder Betroffene sie aufgrund von Angst und Misstrauen gegenüber Behörden oder fehlendem Zugang zu Beratungsangeboten nicht meldeten. Es handele sich um »eine neue Eskalationsstufe antimuslimischer Gewalt, Diskriminierung und Ausgrenzung«, erläuterte »Claim« damals in einer Mitteilung. Mit tödlichen Folgen, wie im Fall der jungen Algerierin. Dieser in allen Bereichen verankerte antimuslimische Rassismus wird auch von weiteren Studien, wie beispielsweise dem Rassismusmontior »NaDiRa« bestätigt.

Laut »Claim« zeigen diese Daten auch, wie »mediale und politische Debatten um Sicherheit, in denen der Islam vor allem als Gefahr und Muslim*innen als Sicherheitsrisiko thematisiert und unter Generalverdacht gestellt wurden« konkrete Folgen für die Sicherheit von muslimischen beziehungsweise als solche wahrgenommenen Menschen haben. Die Allianz fordert unter anderem die Anerkennung von Femiziden als Straftatbestand und antimuslimische Tatmotive in die Strafgesetze zu Hasskriminalität aufzunehmen. Aus Sicht der Hannoveraner »Initiative für Internationalen Kulturaustausch« muss es zu dem Mord an Ayat »lückenlose Aufklärung und Konsequenzen« geben. Ihr Tod sei »kein Einzelfall, sondern Teil einer strukturellen, patriarchalen Gewalt, von der Frauen weltweit betroffen sind«.

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