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Aus: Ausgabe vom 18.07.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Standort Deutschland

Klagelied des Chemiekapitals

Industrieller Branchenverband jammert über Kosten und Absatzschwäche – und hofft auf Merz-Kabinett
Von Gudrun Giese
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Stichwortgeber und Aushängeschild der Branche: Der Pillendreher aus Leverkusen, der in Berlin einst Schering schluckte

Das Klagelied des Kapitals ist vielstimmig, kommt aber doch reichlich monoton rüber: Eine Industriebranche nach der nächsten jammert über hohe Kosten, Unwirtschaftlichkeit und Absatzschwäche. Nun auch die chemisch-pharmazeutische Industrie, die am Donnerstag die Präsentation der Halbjahreszahlen mit Generalkritik und Forderungen verband.

Zwar sei der starke Umsatzrückgang der zurückliegenden Jahre zwischen Januar und Juni 2025 gestoppt worden. Doch bleibe die wirtschaftliche Lage herausfordernd, hieß es bei der Pressekonferenz des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) in Frankfurt am Main. Immerhin rechneten die rund 2.300 hier zusammengeschlossenen Unternehmen für kommendes Jahr mit einem Aufschwung, zumindest im Fall von »Standortverbesserungen«. Die Industrie sei bereit, nun müsse die Politik liefern, befand VCI-Präsident Markus Steilemann. Es müsse jedenfalls eine Kehrtwende her, denn die gesamte Branche habe im Vorjahresvergleich wieder etwas weniger produziert. Dabei verzeichne der Pharmabereich zwar ein Umsatzplus von fünf Prozent, der Chemiesektor aber ein Minus von zwei Prozent. Immerhin seien die Beschäftigtenzahlen bisher konstant, doch hätten viele Unternehmen die Schließung von Anlagen sowie Personalabbau angekündigt. Auch die Zahl der Insolvenzen in der Branche sei gestiegen. »Die Lage bleibt angespannt«, resümierte Steilemann. Gegenüber dem ersten Halbjahr 2018 sei im diesjährigen Vergleichszeitraum etwa 15 Prozent weniger an chemisch-pharmazeutischen Produkten hergestellt worden. Auch für die zweite Jahreshälfte rechne er mit keiner Trendwende.

Der Verbandschef beklagte wie so viele seinesgleichen die angeblich zu hohen Kosten am Standort Deutschland. Die führten bei gut vierzig Prozent der VCI-Mitgliedsunternehmen zu weniger Aufträgen, so dass die Produktionsanlagen bereits im dritten Jahr in Folge insgesamt nur zu achtzig Prozent ausgelastet seien, was unter der Rentabilitätsschwelle liege. Die Quote der Chemieexporte sinke, während die Importe gegenüber dem Vorjahr um zwei Prozent gestiegen seien. Zunehmende Bürokratie sowie zu hohe Aufwendungen für Steuern, Energie, Arbeit und Rohstoffe seien verantwortlich für die Abwärtsspirale, meinte VCI-Chef Steilemann. Managementfehler und mangelnde Innovationsbereitschaft in der eigenen Branche nannte er hingegen nicht als möglicherweise mitursächlich für den Abwärtstrend.

Allerdings hätten zwei von drei Unternehmen aus der chemisch-pharmazeutischen Industrie ihre Bereitschaft zu Investitionen erklärt, sofern die Standortbedingungen in Deutschland und Europa sich besserten. Und da bestehe Hoffnung, denn in Berlin und Brüssel sei ein Umdenken zu spüren. »Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Bürokratieabbau stehen wieder oben auf der politischen Agenda«, betonte der VCI-Präsident. Die Bundesregierung habe bereits erste Signale für den Abbau von Konjunkturhemmnissen gegeben und sich dazu bekannt, die Bundesrepublik zum führenden Standort für Chemie, Pharma und Biotechnologie zu entwickeln. In fünf Bereichen müsse der Staat aktiv werden, wünscht sich der Verband: konsequenter Bürokratieabbau, Modernisierung der Schuldenbremse zugunsten eines Vorranges von Zukunftsinvestitionen gegenüber Gegenwartskonsum, Senkung der Stromkosten, industriepolitische Förderung von Zukunftstechnologien im globalen Wettbewerb sowie eine wirtschaftliche Bündelung der Europäischen Union durch Schaffung einer Kapitalmarkt- und Bankenunion. Damit aus dem Klagelied ein Freudenchor werde!

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