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Aus: Ausgabe vom 18.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Tiefer ins Dickicht

Berlin lehnt EU-Finanzplan ab
Von Arnold Schölzel
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Die Bundesregierung lehnt die Finanzvorschläge der EU-Kommission brüsk ab: Zwei Billionen Euro plus 400 Millionen Euro als Krisenfonds für die Zeit von 2028 bis Ende 2034 sind ihr zuviel. Die Begründung für solche Expansion ist seit Jahrzehnten konstant: Die Welt wird komplizierter und die militärische Drohung größer. Die gegenwärtig Lebenden kennen EU-Brüssel nur aus dieser Zeitschleife, aus Wiederholungsmümmelei.

Wahr ist an der Argumentation: Seit der Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008 bis 2010 stagniert die EU bei der Entwicklung technischer Produktivkräfte, d. h. USA und insbesondere China enteilen bei dem, was im Jargon »Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit« heißt. Vom imperialistischen Konstrukt EU, das polittechnisch gesehen stets ein Krisenmechanismus war, ist mehr als der Lack ab – es fällt als »Pol« in der Multipolarität weitgehend aus. Insbesondere Ursula von der Leyen glänzt durch einen Zickzackkurs gegenüber Washington und Beijing, der die Torkeleien Donald Trumps überbietet. Ihre Triumphe über die angeblich wankende, in Fetzen liegende oder völlig gescheiterte Wirtschaft Russlands gehören in die Rubrik Fehlwahrnehmung kombiniert mit Unfähigkeit, also Realsatire. Aber wie stets bei insbesondere deutsch-imperialistischer Realitätsverleugnung kommt auch bei ihr die antisoziale Flucht nach vorn in Aufrüstung hinzu, mit allem, was das Budget nicht hergibt. Das ist – auch wie immer – nur gefährlich.

Das Grundproblem ist aber nicht ihre Person, sondern EU-systembedingt. Die deutschen Regierungen konnten als größte Beitragszahler bis etwa zu Helmut Kohls Kanzlerschaft, die 1998 endete, alle Risse im EU-Gebäude mit satten Geldbeträgen verschmieren. Seit 2000, als mit der »Lissabon-Strategie« die innovativste und wettbewerbsfähigste Region auf dem Globus geschaffen werden sollte, hat sich das geändert. Das Vorhaben ist gescheitert, und dementsprechend kommen die jetzt vorgestellten Finanzpläne aus einem Dickicht der globalen ökonomischen und politischen Kräfteverhältnisse, in dem sich Kommission und Mitgliedstaaten verheddert haben. Da ist nichts entschieden, fest steht allein: Diese Verhältnisse ändern sich rasant, und die EU droht abgehängt zu werden.

Da ist die Ablehnung der EU-Finanzvorschläge durch Lars Klingbeil und Co. nur ein Treppenwitz. Ausgerechnet die Schlachter der heiligen Kuh »Schuldenbremse«, die hemmungslos Aufrüstungs- und Kriegs»booster« auflegen, meckern über zu starke Expansion des EU-Haushalts. Klar, die deutsche »Führung« muss gewahrt bleiben, und das verlangt, die EU-Kommission an die Kandare zu nehmen. Das besagt: Die EU wird tiefer ins Gestrüpp der Widersprüche gejagt. Und das fast zwangsläufig: »Was sind schon Städte, gebaut ohne die Weisheit des Volkes?« (Brecht) Erst recht Konstruktionen, die gegen die vielfältige Weisheit ihrer Bewohner errichtet wurden?

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