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Aus: Ausgabe vom 18.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Staatsschutzfall des Tages: BSW

Von Nico Popp
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Beobachtung bestellt: Sahra Wagenknecht bei der Vorstellung der BSW-Kampagne zur Bundestagswahl (Berlin, 18.12.2024)

Zur Herstellung von Kriegstüchtigkeit gehört die frühzeitige Formierung des Hinterlandes. Der 2022 entfesselte liberale Staatsschutzrausch, von dem sich nicht sicher sagen lässt, ob die relevanten staatlichen Apparate, die regierenden Parteien oder doch dienstbeflissene Journalisten die Taktgeber sind, hat aber auch heitere Seiten.

Stets zur Stelle, wenn Feindbegünstigung entlarvt werden muss, ist der Spiegel. Auch im Fall der nun verbreiteten Kunde, dass zwei Hinterbänkler des Europaparlaments und der Generalsekretär der Brandenburger CDU eine Verfassungsschutz-Beobachtung des BSW empfehlen, lässt sich nicht sicher sagen, was zuerst da war: Der Wunsch, dass es diese Nachricht gibt, oder der Inhalt der Nachricht. Vorabmeldung und Bericht jedenfalls werden eingeleitet mit »Erste Politiker fordern« – plumper kann man die Bestellung eines Nachschlags nicht kaschieren. Also: »Die Aktivitäten des BSW sind gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet«, sagt ein FDP-Mann. Eine Grüne will »Statements und Handlungen des BSW genau beobachten«.

Nun hat bislang kein Mensch der Wagenknecht-Partei die Vorbereitung eines Staatsumsturzes vorgeworfen. Den »Hintergrund« (!) dieser Wortmeldungen bildet laut Spiegel eine inzwischen wieder gelöschte »Solidaritätsadresse vom offiziellen X-Account des BSW für die prorussische Propagandistin Alina Lipp«. Außerdem soll es »in Brandenburg« »BSW-Zuspruch für den Verein Friedensbrücke« gegeben haben, der aktuell wegen seiner Verbindungen in die Ostukraine von der Staatsanwaltschaft betreut wird.

Ein gelöschter Post und »Zuspruch« für Dritte sichern also den Aufstieg in die Liga der »Aktivitäten gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung«. Klingt ein bisschen irre. Das Irresein ergibt sich aber vielleicht gar nicht aus der Angst vor einer fünften Kolonne: Es reichen schon die fünf Prozent, auf die das BSW in Umfragen immer noch kommt.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (19. Juli 2025 um 13:22 Uhr)
    Ob jemand Terrorist oder Freiheitskämpfer ist, dafür gibt es leider keine 100prozentig klaren Kriterien. Und so wird diese Frage eben oft nach politischer Opportunität entschieden. Das gilt für die UCK im Kosovo 1999 genauso wie für die Aufständischen in Libyen 2011 oder eben für die Donbassrepubliken Donezk und Lugansk, die 2014 den verfassungswidrigen Putsch in Kiew nicht akzeptiert hatten. Laut ARD-Monitor zählte die OSZE im März 1999 vor dem Angriff der NATO-Staaten 39 Todesopfer im Kosovo. Das ist eine Zahl, die von den Massakern rund um den Maidan, in Odessa und Mariupol 2014 deutlich übertroffen wurde. Dass die Sezession der DVR und LVR dennoch anders gewertet wird als die Sezession des Kosovo, riecht sehr nach Doppelmoral. DVR und LVR sind in Deutschland getreu der Kiewer Putschistendiktion als Terrororganisationen klassifiziert. Das muss man beachten und darf DVR und LVR nicht unterstützen. Auf die Windigkeit der Bewertung aufmerksam zu machen, ist aber ethische Pflicht. Denn Völkerrecht gilt in Deutschland wie Bundesrecht, und das Messen mit zweierlei Maß ist nun mal ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes. Zwischen dem Ideal des Grundgesetzes und dessen Verzerrung durch die politische Praxis sauber durchzulavieren, ist auch mit den Fähigkeiten eines Odysseus kaum zu bewerkstelligen, der bekanntlich keinen rundum schadensfreien Weg zwischen Skylla und Charybdis fand. Solidaritätsadressen an rundum gewaltfreie Aktivisten wie Alina Lipp und die Friedensbrücke sind für mich da eher lässliche Sünden, und eine Unterstützung für das gewaltsame Vorgehen Kiews gegen den Donbass ist für mich als einem Freund der Gewaltfreiheit deutlich problematischer. Warum konnte man die Menschen im Donbass nicht einfach selbst über ihre Zukunft entscheiden lassen? BSW bzw. Wagenknecht fordert das. Und das hat unverändert meine volle Unterstützung.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (18. Juli 2025 um 09:46 Uhr)
    Inkompetenz und Autoritarismus. Quer durch die Lager der Parteien des Systems. Eine gefährliche Mische. Ein Teil des hiesigen Establishments wünscht sich Demokratie a la Ukraine. Also eine höchst autoritäre Schmalspurdemokratie - letztlich einen Autoritarismus, mit dünnem, demokratiefarbenen Anstrich. Eine Demokratie, in der die sich selbst auswählenden Schmalspurdemokraten unter sich sind. In Medien und Politik. Natürlich ist es richtig und für Demokraten selbstverständlich, Postion für die verfassungswidrig ihrer Rechte beraubte Alina Lipp zu beziehen. Und für etliche andere…
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (18. Juli 2025 um 07:12 Uhr)
    Nun treibt man diese Sau durchs Dorf. Aber es ist »gute« Tradition in dieser BRD, missliebige Meinungen mit der Staatsschutzkeule niederhalten zu wollen. Das fing schon 1954 mit dem FDJ-Verbot an, ging 1956 mit dem KPD-Verbot weiter und steigerte sich über den Radikalenerlass, die Berufsverbote immer weiter bis jetzt. Die herangezogenen »Begründungen« sind lächerlich. Das Eintreten für Meinungsfreiheit, für die Freiheit der Berufsausübung usw. gilt den hier fordernden Politikern offensichtlich nur für ihre Klientel. Andere Meinungen werden erst polemisch in den Dreck gestampft, dann wird durch Nichttätigwerden der Wahleinspruch des BSW auf die sehr lange Bank geschoben und nun diese Forderungen, das BSW durch den VS beobachten zu lassen. Wenn man politisch keine Argumente mehr hat, dann holt man eben diese Keule hervor. Es gibt aber eben Beispiele, die zeigen, das so ein Gebaren Parteien auch groß machen kann. Und dass sich hier der Generalsekretär der brandenburgischen CDU mit in den Vordergrund drängt, zeigt, wie die CDU in Brandenburg dasteht – mit runtergelassener Hose. Die Polemik der CDU in den Landtagssitzungen in Brandenburg ist oft so inhaltslos und nähert sich immer mehr den Tiraden der rechts von ihr sitzenden Partei an. Wenn Inhalte fehlen, dann müssen eben die Behörden ran. Nicht um Inhalte zu liefern, sondern um diejenigen zu schurigeln, die vernünftige Politik für die Bürger machen und nicht nur für das eigene Gefolge. Die über 200.000 Wähler des BSW in Brandenburg zur Landtagswahl werden dann einfach mal ausgeblendet, ebenso wie die 2,5 Millionen Wähler des BSW zur Bundestagswahl in ganz Deutschland. In einem ist man aber konsequent - im weiteren Benutzen dieses Irrweges der antidemokratischen Repression.

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