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Aus: Ausgabe vom 17.07.2025, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Friedenskampf

Die Krise ist längst da

Militarisierung ist in Betrieben und Bildungseinrichtungen angekommen. Gewerkschaften dürfen Positionierung nicht anderen überlassen
Von Susanne Knütter
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Militärübung am Standort Garching der TU München im Oktober 2024

Die Aufrüstung wird enorme Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme haben. Linke wissen das. Tatsächlich ist die Krise sogar längst da. Auf der Gewerkschaftskonferenz für den Frieden in Salzgitter am Wochenende machte unter anderem Verdi-Sekretär Nonni Morisse deutlich: Die Aufrüstung kommt in einer Situation, da in Sachen öffentlicher Finanzen »alles eskaliert«. Was das bedeutet, erläuterte der Gewerkschafter am Beispiel von Bremen. Der Stadtstaat ist nach wie vor der ärmste und zugleich eine Rüstungshochburg. Hier regiert ein »progressiv-linker Senat« unter Beteiligung der Linkspartei, der künftig 254 Millionen Euro im Haushalt einsparen will. Darunter 13 Millionen in der Jugendhilfe für Geflüchtete, 95 Millionen beim öffentlichen Nahverkehr und bei den öffentlichen Kliniken.

Begründet werden die Kürzungen mit den Vorgaben des Stabilitätsrats von Bund und Ländern, der die öffentlichen Haushalte überwacht. Konkret bedeutet das z. B. eine Verlängerung der Arbeitszeit für Beamte auf 41 Stunden und die Herabsenkung der Qualitätsstandards an Bremer Kitas. An den Häfen stehe die Umstellung auf Automatisierung an, erklärte Morisse, der bei Verdi für Hafen und Kommune Bremerhaven zuständig ist. Weil das so viel kostet, seien Landespolitik und Häfen interessiert an guten Deals mit den großen Reedereien (siehe Hamburger Hafen oder die Maersk-Beteiligung in Bremerhaven). Die bedeuteten zwar Finanzmittel, aber auch Arbeitsplatzabbau, und letztlich entledige sich das Land eines zusätzlichen Standbeins von dem, was ein Gesamtsozialstaat sein könnte, erläuterte Morisse.

»In diese Situation knallt die sogenannte Zeitenwende rein.« Die Landespolitik hoffe auf das im März beschlossene Infrastrukturpaket. Aber für Bremerhaven würden allenfalls 15 Millionen abfallen, die auf ein jährliches Defizit von 50 Millionen träfen, rechnete Morisse vor. Ein Tropfen auf den heißen Stein.

Lena Fuhrmann, Betriebsrätin und Aufsichtsratsmitglied der Salzgitter Flachstahl GmbH, ging auf die Zulassung für die Stahlgüte »Secure 500« ein, die die Salzgitter AG kürzlich erhalten hatte. Sie betrifft die Tochterfirma Ilsenburger Grobblech, die bisher Stahl für u. a. Windkraftanlagen hergestellt hat. Künftig kann sie Stahl für Panzer bereitstellen. Vor dem Hintergrund der Stahlkrise und der nötigen Förderungen, die der Konzern zusätzlich für den Umbau der Stahlproduktion brauche, wolle sich die Salzgitter AG mit diesem Schritt unersetzlich machen. Denn neben SSAB sei die Salzgitter AG jetzt der einzige innereuropäische Lieferant für Panzerstahl.

Die Militarisierung der Produktion und der kommunalen Haushalte muss staatlicherseits ideologisch unterfüttert werden. Wie das aussieht, berichtete Marc Ellmann von der GEW in Bayern. Seit August 2024 gilt in Bayern ein Bundeswehr-Gesetz, das Universitäten und Schulen die Kooperation mit der Bundeswehr vorschreibt. Die intensive Wehrstrategie an den Schulen, die es in Bayern schon vorher gab, werde nun umgemünzt zur Pflichtvorgabe. Die Auswirkungen seien bereits zu erkennen. Mittlerweile sei fast jeder zehnte Rekrut unter 18 Jahre alt. Ein Viertel von diesen unter 18jährigen komme aus Bayern, so Ellmann. Im Rahmen der Verbändeanhörung sei die GEW die einzige von elf Organisationen gewesen, die sich kritisch zu dem Gesetz geäußert habe. Auch daran könne man die Auswirkungen der Militarisierung sehen. Ellmanns Fazit: Die Gewerkschaften können die allgemeinpolitische Debatte nicht anderen Verbänden überlassen, und sie müssen sich klar friedenspolitisch äußern.

Denn die Militarisierung ist in Bildungseinrichtungen und Betrieben längst Thema. Die Bundeswehr wirbt mit LKWs vor Werken, wo kurz vorher Stellenstreichungen verkündet wurden. Auf Straßenbahnen wird täglich für die Bundeswehr geworben. Dagegen wehren sich Münchner Tramfahrer. Die Bundesvorsitzende der SDAJ, Andrea Hornung, berichtete auf dem Jugendpodium von 50 Störaktionen gegen die Bundeswehr, die der kommunistische Jugendverband vergangenes Jahr durchgeführt habe. Ein Konferenzteilnehmer forderte eine politischere Bildungsarbeit der Gewerkschaften, die man auch selbst organisieren könne. Andere forderten eine positive Alternativerzählung: wofür es sich zu kämpfen lohne. Denn immer nur die Krise zu erklären, nütze letztlich auch dem Kapital. Auch der Austausch auf den gewerkschaftlichen Friedenskonferenzen ist wichtig. Die dritte Konferenz war mit mehr als 200 Teilnehmern gut besucht. Allerdings – ein Großteil kennt sich. Eine Gefahr der Ritualisierung besteht.

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