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Aus: Ausgabe vom 17.07.2025, Seite 12 / Thema
Potsdamer Konferenz

Feinjustierung und großer Knüppel

Am 17. Juli 1945 trafen sich Churchill, Stalin und Truman in Potsdam zu ihrer dritten Konferenz. Während sie den Umgang mit dem besetzten Deutschland festlegten, gab Truman den Befehl zum Einsatz der Atombombe: Der Kalte Krieg begann
Von Arnold Schölzel
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Der berühmte Konferenztisch in Potsdam, an dem die Verhandlungen stattfanden. Die UdSSR ist durch Josef Stalin und Wjatscheslaw Molotow vertreten (25.7.1945)

Die geschichtlich wichtigste Konferenz auf deutschem Boden war die »Dreimächtekonferenz von Berlin« im Potsdamer Schloss Cecilienhof vom 17. Juli bis zum 2. August 1945 wohl nicht. Global größere Auswirkungen hatte zum Beispiel nach Meinung des Historikers und Afrikawissenschaftlers Jürgen Zimmerer die Kongo- oder Afrikakonferenz von 1884 in Berlin (siehe jW vom 15. November 2024). Die dort festgelegten willkürlichen Grenzziehungen der europäischen Kolonialmächte sind bis heute Quelle für Spannungen und Kriege auf dem afrikanischen Kontinent. Die Ressourcenkriege allein in Kongo kulminierten nach 1990 im »Afrikanischen Weltkrieg«, der Millionen Menschenleben forderte, wahrscheinlich sogar im zweistelligen Millionenbereich. Die Konferenz von 1884 führte zur Entscheidung, Deutschland zur Kolonialmacht zu machen, und zum Genozid an den Herero und Nama Anfang des 20. Jahrhunderts. Was als deutsches Streben nach einem »Platz an der Sonne« neben den anderen imperialistischen Mächten damals begonnen hatte, führte – nachdem Deutschland im Ersten Weltkrieg seine überseeischen Kolonien verloren hatte – zum Versuch, in Osteuropa, insbesondere in der Sowjetunion, ein neues Kolonialreich zu erobern, an dem sich Deutschland »gesundstoßen« (Joseph Goebbels nach einer Staatssekretärsbesprechung im Mai 1941) sollte. Das schloss die von Wissenschaftlern und der deutschen Verwaltungsbürokratie detailliert ausgearbeiteten Pläne für Völkermord an der dortigen Bevölkerung ein.

Der so konzipierte deutsche Feldzug gegen die Sowjetunion, der am 22. Juni 1941 begann, war im Frühjahr 1945 an seinen Ausgangspunkt Berlin zurückgekehrt und endete am 8. Mai dort mit der bedingungslosen Kapitulation. Die Staatsgewalt ging an die Besatzungsmächte über. Der Krieg hatte Millionen Tote und in ganz Osteuropa »verbrannte Erde« hinterlassen, nicht zuletzt jenen »Schutthaufen bei Potsdam«, als den Bertolt Brecht die deutsche Hauptstadt bei seiner Rückkehr 1948 wahrnahm. Dort konnte oder sollte die Konferenz mit dem britischen Premierminister Winston Churchill, dem Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare der UdSSR, Josef Stalin, und US-Präsident Harry S. Truman, der im April 1945 auf den verstorbenen Franklin D. Roosevelt gefolgt war, nicht stattfinden.

Kriegsplan gegen die UdSSR

Stalin, der am 15. Juli in Moskau mit der Bahn Richtung Westen gestartet war, betrat Berlin nicht. Von den Residenzen der »Großen drei« in Babelsberg wurde eine Pontonbrücke so zur Beratungsstätte geführt, dass die Fahrt durch die unübersichtlichen Trümmermassen im Potsdamer Stadtzentrum vermieden wurde. Stalin soll zudem das Arbeitszimmer, das im Schloss Cecilienhof für die sowjetische Delegation eingerichtet worden war, nie betreten, sondern stets sofort den Verhandlungsraum mit dem berühmten runden Tisch von der Seeseite aus aufgesucht haben.

Truman war am 15. Juli nachmittags von Antwerpen kommend in Berlin-Gatow gelandet und hatte sich zu den Ruinen der Reichskanzlei fahren lassen – eine derartige Zerstörung habe er »nie wieder gesehen«, notierte er in seinen Memoiren. Trotzdem erteilte er in Potsdam am 24. Juli den Befehl, Japan mit der am 16. Juli erstmals erfolgreich getesteten Atomwaffe zu bombardieren. In Hiroshima oder Nagasaki war er nach deren Zerstörung nicht. Allerdings war der Einsatz der US-Atombomben auch vor allem als Drohung gegen die Sowjetunion und später gegen die Volksrepublik China gedacht. Das prägte zwar – nach der Unterrichtung Stalins über die Atomwaffe – bereits die Atmosphäre auf der Konferenz, aber Truman rückte erst mal nur Schritt für Schritt vom Bündnis mit der Sowjetunion ab.

Das sah bei Churchill anders aus. Er war am 16. Juli sogar bis in die unterste Etage des Führerbunkers geklettert und hatte sich die Stelle im Garten der Reichskanzlei zeigen lassen, an der die Leiche Hitlers verbrannt worden war. In seinen Erinnerungen behauptete er, sein Hass auf Deutschland sei verflogen. Der auf die Sowjetunion und den Kommunismus war allerdings durch das Ergebnis des Weltkrieges in Europa neu belebt. Er, der das britische Empire retten wollte, sah die Vorherrschaft Großbritanniens im Nachkriegseuropa in Gefahr, angesichts des Vordringens der Roten Armee an Elbe und Oder sowie mit Wien und Berlin in sowjetischen Händen. Unter dem Codewort »Operation Unthinkable« hatte er noch im Mai 1945 seine Stabschefs einen erst 53 Jahre später veröffentlichten Geheimplan für einen kurzfristig – vor Potsdam – zu beginnenden Krieg gegen die Sowjetunion ausarbeiten lassen. Seine Militärs spielten auf der Basis von 47 britischen und US-Divisionen, zehn polnischen und zehn reaktivierten deutschen Divisionen den Waffengang durch, rieten Churchill aber schließlich ab: Das Risiko war zu groß – siehe das Ende des faschistischen Deutschlands.

Aufteilung Deutschlands

Nach außen herrschte Routine, das heißt Vertragstreue. So waren vor dem Beginn der Potsdamer Konferenz einige im Februar 1945 während der Dreimächtekonferenz von Jalta (4. bis 11. Februar 1945) vereinbarte Maßnahmen verwirklicht worden, was vertrauensbildend wirkte: Die alliierten Besatzungstruppen in Deutschland hatten zwischen dem 1. und 3. Juli die jeweils für sie vorgesehenen Gebiete bezogen. Das bedeutete vor allem, dass die US-Armee Thüringen und Teile Sachsens und Sachsen-Anhalts räumte und sowjetische Einheiten einrückten, die dort Verwaltungsdienststellen einrichteten. Gleichzeitig zogen britische und US-amerikanische Einheiten in Berlin ein und übernahmen ihre »Sektoren«. Die Rote Armee zog sich auf die acht Ostberliner Stadtbezirke zurück. Am 11. Juli 1945 fand schließlich in der sowjetischen Zentralkommandantur in der Luisenstraße die konstituierende Sitzung der Interalliierten Militärkommandantur für Groß-Berlin statt. Daran nahm auch ein Vertreter Frankreichs teil, obwohl der Französische Sektor erst am 30. Juli auf der ersten Sitzung des Alliierten Kontrollrates festgelegt wurde. Frankreich war in Potsdam nicht vertreten, akzeptierte aber das Abkommen noch im August 1945.

Vor allem gab es unter den Beteiligten in Potsdam noch gemeinsame Kriegsziele – so wie sie auf den Konferenzen in Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943) und in Jalta bestimmt worden waren. Zudem war der Weltkrieg im Pazifik noch nicht beendet, herrschte zwischen Japan und der UdSSR formal noch Frieden. Nun ging es um Feinjustierung. An oberster Stelle stand in Cecilienhof noch die Absicht, Deutschland unfähig zu machen, Kriege anzuzetteln. Das schloss sogar die Dezentralisierung der Industrie ein. Einig war man sich auch, dass das Land und die deutsche Bevölkerung einen Preis für das zahlen müssten, was sie in Europa und darüber hinaus angerichtet hatten.

Noch nicht einig geworden waren sich die drei über eine mögliche Aufteilung Deutschlands in selbständige Teilstaaten. Keine Seite hatte einem solchen Vorschlag seit Teheran widersprochen. Offenbar schuf Stalins Position, die er in seiner Siegesrede am 9. Mai 1945 in Moskau darlegte, eine neue Grundlage, der sich die Westmächte einigermaßen erleichtert anschlossen: »Die Sowjetunion feiert den Sieg, auch wenn sie sich nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten.« Stalin hatte kein Interesse an einem ständigen Unruheherd vor den Westgrenzen der UdSSR, der bei einer Teilung Deutschlands unweigerlich entstehen würde.

Stalins Skepsis gegenüber der Gründung einer eigenständigen ostdeutschen Republik hielt bis nach der Spaltung Deutschlands durch die Westmächte mit Hilfe der Währungsreform 1948 und der Gründung der BRD als eines antisowjetischen Revanchestaates 1949 an. Zudem sahen Stalin und die KPD unter Führung von Wilhelm Pieck voraus, dass eine Bildung mehrerer deutscher Staaten es den Westmächten erleichtern würde, sich aus den gemeinsamen Verpflichtungen zu stehlen, seien es die Reparationen für die UdSSR, seien es die Vernichtung der gesellschaftlichen Grundlagen des Faschismus und der Überwindung der faschistischen Ideologie in der deutschen Bevölkerung. Ihre Skepsis war in jedem Punkt berechtigt.

Zahltag der Geschichte

Am 1. August 1945 unterzeichneten jedenfalls der Nachfolger des abgewählten Churchill, Clement Attlee, Stalin und Truman das »Protokoll der Berliner Konferenz der drei Mächte«, das sogenannte Potsdamer Abkommen. Unmittelbar nach der Konferenz wurde ein um acht Abschnitte gekürzter Teil daraus als »Mitteilung über die Berliner Konferenz der drei Mächte« veröffentlicht, das gesamte Protokoll erstmals 1947 in den USA. Im Teil III, dem mit »Deutschland« überschriebenen Abschnitt, heißt es dort zunächst unzweideutig: »Die alliierten Armeen führen die Besetzung von ganz Deutschland durch, und das deutsche Volk fängt an, Sühne zu leisten für die furchtbaren Verbrechen, die unter der Leitung derer, welche es zur Zeit ihrer Erfolge offen gebilligt und denen es blind gehorcht hat, begangen wurden.« Der Historiker Kurt Pätzold schrieb dazu vor 20 Jahren an dieser Stelle: »Es bestätigte sich, dass die Geschichte ihre Zahltage kennt.«

Aber wie von der sowjetischen Führung verlangt, ging es nicht um Untergang, sondern um eine grundlegende Veränderung. Im Text heißt es: »Es ist nicht die Absicht der Alliierten, das deutsche Volk zu vernichten oder zu versklaven. Die Alliierten wollen dem deutschen Volk die Möglichkeit geben, sich darauf vorzubereiten, sein Leben im weiteren auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage wiederaufzubauen.« Das Ziel der Übereinkunft sei die »Durchführung der Krim-Deklaration über Deutschland«. Darin hatten Churchill, Roosevelt und Stalin am 11. Februar erklärt: »Es ist unser unbeugsamer Wille, den deutschen Militarismus und Nazismus zu vernichten und dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland nie wieder in der Lage ist, den Weltfrieden zu stören.« In Potsdam lautete die Formulierung: »Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet, und die Alliierten werden in Übereinstimmung miteinander in der Gegenwart und in der Zukunft Maßnahmen treffen, die notwendig sind, damit Deutschland niemals mehr seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen kann.«

Es versteht sich, dass solche Formulierungen zu keinem Zeitpunkt nach Gründung der BRD dort breit bekanntgemacht wurden. Die Bundesrepublik wurde schließlich gegründet, um solche Bestimmungen nicht nur zu ignorieren, sondern ins Gegenteil zu verkehren: Um eine Armee aufzustellen, die alle östlichen Nachbarn bedrohen sollte. Der Artikel 139 des Grundgesetzes, der formal dem Potsdamer Abkommen Verfassungsgewicht verleiht, war daher nie mehr als ein Feigenblatt: »Die zur ›Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus‹ erlassenen Rechtsvorschriften werden von den Bestimmungen dieses Grundgesetzes nicht berührt.« Das Gebot des Potsdamer Abkommens, »jeder nazistischen und militaristischen Betätigung und Propaganda vorzubeugen«, hat jedenfalls in der BRD Polizei, Geheimdienste, Justiz oder gar das Bildungswesen nie interessiert. Zumal der Artikel 131 des Grundgesetzes dafür sorgte, dass Anfang der 50er Jahre mehr ehemalige NSDAP-Mitglieder in den bundesdeutschen Ämtern saßen als 1945.

Der Auftrag des Potsdamer Abkommens zur Vorbeugung hätte bedeuten können, zum Beispiel in Schulbüchern und im Unterricht an Schulen und Berufsschulen über den deutschen Faschismus aufzuklären. Das fand in der BRD nie systematisch statt, im Vordergrund stand dort stets die Umsiedlung von Millionen Deutschen aus Osteuropa, wurden die Zustände 1945 eher Churchill, dem britischen Luftmarschall Harris und ihren Bomberflotten oder der Roten Armee angelastet. Der 8. und 9. Mai 2025 schließlich wurden von Bundesregierung und Parlament als Hochamt des Geschichtsrevisionismus und der Diffamierung ehemaliger sowjetischer Befreier zelebriert. Faktisch diktierte die AfD das offizielle Geschichtsbild. In einem Antrag ihrer Fraktion im Brandenburger Landtag war Ende März zu lesen: »Von einem achtzigjährigen Jubiläum der ›Befreiung‹ zu sprechen«, sei »gerade im Hinblick auf die unmittelbar vor und auch nach der Niederlage begangenen Kriegsverbrechen der Roten Armee unangemessen und geschichtsvergessen«. Der Geschichtslehrer aus Bayern, der dies eingebracht hatte, nannte einen BSW-Antrag, in dem der Roten Armee und den Alliierten für die Befreiung vom Faschismus gedankt wurde, »stalinistische Geschichtsverdrehung«. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vollzog das nach und sprach vor dem Bundestag am 8. Mai von »Geschichtslügen« und »Geschichtsmanipulationen des Kreml«.

»Potsdamer Diktatoren«

Das ist westdeutsche Tradition. Otto Köhler hat in dieser Zeitung im November 2023 zum 100. Geburtstag des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein geschildert, was der ehemalige Wehrmachtsleutnant im ersten Heft der Zeitschrift Diese Woche, aus der rasch der Spiegel wurde, Ende 1946 über die »Potsdamer Diktatoren« schrieb. Augstein bediente sich eines Leserbriefs des britischen Verlegers Victor Gollancz an News Chronicle. Gollancz hatte darin den Besatzungsmächten »die Beraubung und wirtschaftliche Versklavung Deutschlands« vorgeworfen. Augstein machte daraus den Aufmacher »Hunger an der Ruhr – Chaos über Deutschland«.

In der Besprechung eines Buches von Gollancz schrieb er: »Gegen die Nürnberger Anklagen setzt er drei Einwände: Nur die Sieger klagen Besiegte an. Während wir sie anklagen, tun wir selbst Dinge, für die wir sie vor Gericht bringen. Die Teilnahme an einer Verschwörung zur Führung von Angriffskriegen ist überhaupt kein Verbrechen.« Wohl aber sei die »Ausweisung Millionen Deutscher aus den Ostgebieten« eine »unauslöschliche Schande«. Köhler abschließend: »Augstein bedauerte, dass das Buch wohl beachtet, seine Botschaft jedoch ignoriert werde. ›Vielen war es unbegreiflich, wie ein Jude, der ständig das Weltgewissen gegen Nazideutschland aufzurütteln versuchte, heute dasselbe Weltgewissen an seine Pflicht gegenüber dem geschlagenen deutschen Volk erinnert.‹« Augstein 1946, das war ungefähr Steinmeier 2025.

In Potsdam wurde jedenfalls den Deutschen Antifaschismus verordnet. Das machte das Abkommen in den Augen der westdeutschen Staatsführer von Anfang an zur Urkunde einer Großmachtpolitik, die ihren Bestrebungen zuwiderlief. Kein Zufall, dass die Redewendung vom »verordneten Antifaschismus« ab 1989 zur Diffamierung der DDR und zur Beschleunigung ihres Untergangs aufgebracht wurde. Das entsprach bereits der Perspektive Konrad Adenauers zum Wiederaufbau des 1945 geschlagenen deutschen Imperialismus. Er sagte in einem Interview 1953: »Bismarck hat von seinem Alptraum der Koalitionen gegen Deutschland gesprochen. Ich habe auch meinen Alptraum. Er heißt Potsdam.« In seiner Autobiographie steigerte er sich später nachträglich in die bis heute herrschende Furcht des politischen Personals der BRD vor dem Potsdamer Abkommen hinein: »Wären diese Beschlüsse wirklich durchgeführt worden, (…) wären auch die drei westlichen Zonen, also ganz Deutschland, kommunistisch geworden.«

Ähnlich sah das Kurt Schumacher. Der SPD-Vorsitzende schrieb am 1. November 1947 in der Berliner Neuen Welt: »Der Kommunismus als Prinzip der Neuordnung der Klassenbeziehung existiert ja gar nicht mehr; der Kommunismus ist ja heute das Prinzip des Expansionsdranges eines Nationalstaates. (…) Und heute ist die Frage ›Kommunist oder Sozialdemokrat?‹ die Frage ›Russe oder Deutscher?‹ – und wir sind die Deutschen!« Schumacher war – wie sich der damalige Vorsitzende der Falken, der spätere KPD- und DKP-Politiker und Theoretiker Robert Steigerwald erinnerte – dabei bewusst, dass er einen dritten Weltkrieg gegen die Sowjetunion mit Atomwaffen proklamierte.

Grenzziehung im Osten

Aus der Sicht westdeutscher Politiker und ihrer medialen Sturmgeschütze wie dem Spiegel war und ist das Potsdamer Abkommen jedenfalls ein »zweites Versailles«. Sie stellten daher in den Mittelpunkt ihrer Kritik an den Vereinbarungen die dort getroffene Entscheidung über die deutsche Ostgrenze. Sie wurde bis zum 3. Oktober 1990 bereits in der Präambel des Grundgesetzes, das Anspruch auf Deutschland in den Grenzen von 1937 erhob, als vorläufig bezeichnet. Das diente zunächst der Wahlpropaganda und dem Schüren von Illusionen unter den Geflohenen und Vertriebenen, wurde aber auch von den USA im Kalten Krieg unterstützt. Bereits im September 1946 hatte US-Außenminister James F. Byrnes in einer Rede in Stuttgart den Eindruck erweckt, bei der Grenzziehung handele es sich um ein Provisorium.

In Wirklichkeit war im Abschnitt »IX Polen« (also nicht Deutschland) des Potsdamer Abkommens festgelegt worden: »In Übereinstimmung mit dem auf der Krimkonferenz erzielten Abkommen haben die Chefs der drei Regierungen die Meinung der Polnischen Provisorischen Regierung der Nationalen Einheit hinsichtlich des Territoriums im Norden und Westen geprüft, das Polen erhalten soll. (…) Die Chefs der drei Regierungen bekräftigen ihre Auffassung, dass die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt werden soll. Die Chefs der drei Regierungen stimmen darin überein, dass bis zur endgültigen Festlegung der Westgrenze Polens die früheren deutschen Gebiete östlich der Linie, die von der Ostsee ein klein wenig westlich von Swinemünde und von dort die Oder entlang bis zur Einmündung der Westlichen Neiße und die Westliche Neiße entlang bis zur tschechoslowakischen Grenze verläuft, einschließlich des Teiles Ostpreußens, der in Übereinstimmung mit der auf der Berliner Konferenz erzielten Vereinbarung nicht unter die Verwaltung der UdSSR gestellt wird, und einschließlich des Gebiets der früheren Freien Stadt Danzig unter die Verwaltung des polnischen Staates und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen.«

Die Formulierung »frühere deutsche Gebiete« ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig, hinzu kam das in Abschnitt »XIII Geregelte Umsiedlung deutscher Bevölkerung« Vereinbarte: Die drei Regierungen erkennen darin an, »dass die Umsiedlung deutscher Bevölkerung oder Bestandteile derselben, die in Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zurückgeblieben sind, nach Deutschland durchgeführt werden muss«. Das solle »in ordnungsgemäßer und humaner Weise erfolgen«. Das war unmissverständlich, wird aber hierzulande bis heute interessiert missverstanden. Es bedurfte noch 1990 enormen Drucks, bis sich die Regierung Kohl der rechtlichen und faktischen Realität beugte und die Ostgrenze der DDR als die des zusammengenagelten Deutschland anerkannte. Erst das machte den Zwei-plus-Vier-Vertrag, der das Potsdamer Abkommen ablöste, möglich. Die Allianz mit Polen gegen Russland dämpft gegenwärtig revanchistische Gelüste auf ehemals deutsche Territorien, verschwunden sind sie allerdings nicht. Die sogenannten Vertriebenenverbände werden nach wie vor staatlich gefördert. Das Spektakel, das deutsche Medien rund um den 80. Jahrestag des »Todesmarsches von Brünn« Ende Mai in diesem Jahr veranstalteten, spricht Bände. Sie haben nichts vergessen und nichts gelernt.

Grenzziehung und Umsiedlung waren die härteste völkerrechtliche Sanktion, die in Potsdam der deutschen Bevölkerung auferlegt wurde. Unabhängig von ihrer politischen Haltung – ob Nazi, Kommunist, Sozialdemokrat oder liberaler Bürger – wurden Deutsche bis auf wenige Ausnahmen aus den genannten Ländern in die Besatzungszonen gebracht und auf sie verteilt. Das war endgültig – im Gegensatz zu den Bestimmungen über Reparationen oder militärische Besatzung. Die Anerkennung der östlichen Staatsgrenze durch die DDR-Regierung geschah 1950 schweren Herzens (siehe jW vom 5. Juli 2025), die BRD benötigte noch 40 Jahre.

An den auf Papier festgehaltenen Bestimmungen des Potsdamer Abkommens war – trotz aller Bemühungen der Bonner Regierungen und ihrer Helfer in Washington – nicht zu rütteln, solange die Sowjetunion existierte. Den Zwei-plus-Vier-Vertrag, in dem deklariert wird, von deutschem Boden solle nie wieder Krieg ausgehen, behandelte die Kohl-Regierung bereits wenige Monate nach Unterzeichnung als Fetzen: Die Bonner unterstützten im Frühjahr 1991 den herbeigelogenen, völkerrechtswidrigen Krieg unter Führung der USA gegen den Irak mit einer zweistelligen Milliardensumme in D-Mark. Das Potsdamer Abkommen hatte 45 Jahre lang für Frieden in Europa gesorgt, das war vorbei.

Die Atombombe

Aber ein anderes, nicht protokolliertes Ereignis während der Konferenz bestimmte mindestens ebenso sehr wie das Abkommen die Nachkriegszeit – bis heute. Am 24. Juli 1945, acht Tage nach dem ersten Atombombentest in der Wüste von Nevada, teilte Truman in Anwesenheit Churchills Stalin mit, die USA hätten die Produktion einer »neuen Waffe spezieller zerstörerischer Stärke« aufgenommen. Der Historiker Manfred Müller hat die Behandlung dieses Themas in Potsdam durch Churchill, Stalin und Truman in einer 2020 erschienenen Schrift minutiös wiedergegeben (»Entscheidung in Potsdam. Ein dokumentarischer Bericht über den Einsatz der Atombombe«).

Demnach erhielt Truman am 21. Juli den ausführlichen Bericht von General Leslie Groves über den erfolgreichen Atomwaffentest, einen Tag später las ihn auch Churchill. Er und Truman berieten noch am selben Tag über die historische Bedeutung dieser Waffe mit völlig neuer Zerstörungskraft. Truman äußert schließlich: »Ich betrachte die Bombe als militärische Waffe und habe keinerlei Zweifel, dass sie eingesetzt werden sollte.« Dem stimmten seine militärischen Berater und auch Churchill zu. Sie waren überzeugt, dass Stalin nichts von dem Test wusste, doch viele Indizien sprechen dafür, dass sie sich irrten. Am 24. Juli kabelte jedenfalls Washington an Truman, dass eine Atombombe nach dem 1. August einsatzbereit sei. Am selben Tag gegen zehn Uhr europäischer Zeit erteilte Truman laut Müller den Befehl zum Einsatz: die »erste Spezialbombe, sobald die Wetterlage es zulässt, nach dem 3. August 1945 auf eines der folgenden Ziele abwerfen: Hiroshima, Kokura, Niigata und Nagasaki«.

Nach der Plenarsitzung der Potsdamer Konferenz unterrichtete Truman Stalin über die Bombe, der aber nach Trumans Eindruck kein besonderes Interesse zeigte. Nach Berichten aus der sowjetischen Delegation wusste Stalin Bescheid, vielleicht nicht nur über den Test, sondern auch über den Einsatzbefehl. Verschiedene Quellen, darunter Sowjetmarschall Georgi Schukow, berichteten, Stalin habe noch am selben Abend den Leiter des sowjetischen Atomwaffenprojekts, Igor Kurtschatow, beauftragt, die Arbeiten zu beschleunigen. Damit war der Kalte Krieg eröffnet. Am 6. und 9. August fielen US-Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki – auf den in Potsdam erteilten Befehl hin.

Arnold Schölzel schrieb an dieser Stelle zuletzt in der Ausgabe vom 5./6. April 2025 über die Außenpolitik der Ampelregierung und die deutsche Führungsrolle in der EU: »Freischwimmer im EU-Teich«

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