Feindbild Arbeitereinheit
Von Leo Schwarz
Zu den interessantesten, in der politischen und historischen Publizistik in Deutschland aber noch immer so gut wie gar nicht erörterten Dimensionen des Kalten Krieges gehört die offene oder verdeckte Aktivierung von Personen, Parteien und anderen Organisationen, die dem äußeren Anschein nach der breiteren politischen Linken bzw. der Arbeiterbewegung zuzurechnen sind, für die antikommunistische und imperialistische Agenda des »Westens«. In den USA erscheinen seit einigen Jahrzehnten kritische (vereinzelt auch apologetische) Veröffentlichungen zu diesem komplexen und, was die Vielzahl der Schauplätze angeht, in der Tat globalen Thema. Sie beschäftigen sich vor allem mit der – für den Gegenstand fraglos zentralen – Rolle der US-amerikanischen Gewerkschaften (oder präziser: der führenden Funktionäre dieser Gewerkschaften) und deren Einbindung in die Aktivitäten des US-Außenministeriums und der Geheimdienste in ganz unterschiedlichen Ländern.
Nun ist eine sehr lesenswerte neue, viele verstreute Erkenntnisse zusammenführende Arbeit des Historikers Jeff Schuhrke über den »globalen antikommunistischen Kreuzzug« des US-Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO und einzelner seiner Mitgliedsgewerkschaften erschienen. Wer dieses Buch gelesen hat, wird nicht mehr daran zweifeln, dass die gängige Verballhornung von AFL-CIO zu »AFL-CIA« die Realität ganz gut zusammenfasst.
Bündnis mit dem Staat
Schuhrke zeigt überzeugend, in welchem Ausmaß sich die US-amerikanischen Gewerkschaftsfunktionäre in Europa, Lateinamerika, Afrika und Asien ins Zeug legten, um kommunistische, linkssozialdemokratische oder auch nur allgemein klassenkämpferische Tendenzen vor allem in der Gewerkschaftsbewegung zu blockieren und nach Möglichkeit auszuschalten. Anstatt der Macht der Konzerne entgegenzutreten, »sich gegen Militarismus und Krieg zu organisieren und eine echte Gewerkschaftsdemokratie im In- und Ausland zu fördern«, so das Fazit des Autors, pflegten »hochrangige Gewerkschaftsfunktionäre« ein Bündnis »mit dem außenpolitischen Apparat Washingtons – und gelegentlich auch mit den amerikanischen Konzernen –, um klassenbewusste, militante Arbeiterbewegungen weltweit zu untergraben«.
Schuhrke versteht dieses Buch auch als Beitrag zu der Debatte über die Ursachen für den »Niedergang der US-Arbeiterbewegung im späten 20. Jahrhundert«: Resultat des von den Gewerkschaftsfunktionären unterstützten bzw. geführten Kampfes gegen tatsächliche und vermeintliche Kommunisten sei eine Welt gewesen, in der die Arbeiterklasse immer weniger Einfluss hat und eine »zunehmend rücksichtslose Kapitalistenklasse« den Ton angibt.
Das Buch ist auch deshalb wertvoll, weil es nicht den Fehler macht, diese Verstrickung ausschließlich auf das Konto der zum Teil direkt mit der CIA kooperierenden »konservativen« Gewerkschaftsführer aus der AFL-Tradition wie George Meany (in dessen Umfeld der für die Konzeption und Umsetzung des antikommunistischen Kurses weithin verantwortliche Jay Lovestone operierte) zu buchen, sondern auch die Rolle ihrer »linken«, aus der CIO-Tradition kommenden Kritiker (AFL und CIO hatten sich 1955 zusammengeschlossen) wie Walter Reuther in den Blick nimmt.
Die Grundlagen für die Einbindung der US-Gewerkschaften in die Außenpolitik Washingtons wurden bereits in der Schlussphase des Zweiten Weltkriegs gelegt. Die meisten Gewerkschaftsführer hatten seit den 1930er Jahren in den eigenen Organisationen Erfahrungen in Auseinandersetzungen mit Kommunisten und anderen linken Gewerkschaftern gesammelt. Als der Krieg zu Ende ging, waren die »Säuberungen« vielfach längst abgeschlossen. 1944/45 nahm Washington sehr rasch Kontakt zunächst zu den AFL-Funktionären auf (der CIO war wegen des in den 1930er Jahren starken kommunistischen Einflusses vorläufig noch verdächtig), um deren Expertise für den Kampf gegen den stark gewachsenen Einfluss der kommunistischen Parteien in der Arbeiterbewegung zunächst vor allem in Europa fruchtbar zu machen. Überzeugungsarbeit geleistet werden musste bei diesen Leuten nicht: Funktionäre wie Meany, schreibt Schuhrke, »dämonisierten unerbittlich Kommunisten und versuchten, eine Konfrontation mit den Sowjets zu provozieren, noch bevor der Zweite Weltkrieg vorbei war«.
Die Hauptachse dieser Politik der verdeckten Einflussnahme war die Losung einer »freien« Gewerkschaftsbewegung (»free unions«), wobei unter »frei« schlicht die Abwesenheit von Kommunisten verstanden wurde. Die Schaltzentrale für Personal und Geld – mehrere hundert Millionen US-Dollar kamen über die Jahrzehnte von der US-Regierung, mit denen in anderen Ländern unter Gewerkschaftsflagge Einfluss »gekauft« wurde – war zunächst das von dem rabiaten Antikommunisten Lovestone, der 1929 aus der KP der USA ausgeschlossen worden war, geleitete Free Trade Union Committee.
Spaltungen forciert
Die Vorgehensweise war je nach Land unterschiedlich. Während die AFL-Abgesandten etwa in Frankreich und Italien oder auf der Ebene des Weltgewerkschaftsbundes eine Spaltungspolitik entlang politischer und konfessioneller Grenzen forcierten, setzten sie in Westdeutschland, wo angesichts der Durchgriffsmöglichkeiten der Militärregierungen ein gewisses »Risiko« in Kauf genommen wurde, auf perspektivisch »gesäuberte«, von zuverlässigen Funktionären geführte Einheitsgewerkschaften.
Das war eine Ausnahme, denn das Feindbild der US-Gewerkschafter (und natürlich, da lag die Priorität, der Taktgeber bei den Geheimdiensten und im Außenministerium) war ohne jeden Zweifel die gewerkschaftliche Einheit aller politischen Richtungen der Arbeiterbewegung. Angefangen beim Weltgewerkschaftsbund, wurden in den 40er und 50er Jahren »die Arbeiterbewegungen in Westeuropa, Lateinamerika und Asien in enger Zusammenarbeit mit dem Außenministerium und der CIA entlang der neuen Frontlinien des Kalten Krieges gezielt gespalten«. Wenn es auch eine Verzerrung wäre, jede dieser Spaltungen allein auf Aktivitäten von Einflussagenten aus den USA zurückzuführen, so steht doch für Schuhrke fest, dass die AFL und ihre staatlichen »Partner« »kleine und unbedeutende Splitterorganisationen« wie die französische Force Ouvrière (FO) stabilisierten und so dafür sorgten, dass »die Spaltungen anhielten und sich verschärften«.
Schuhrke zeigt, wie die antikommunistische Einflussnahme immer wieder modifiziert und modernisiert wurde, in den 60er Jahren etwa durch das in Kooperation mit USAID ins Leben gerufene American Institute for Free Labor Development (AIFLD), das vor allem in Lateinamerika eine verhängnisvolle Rolle spielte: einerseits, indem es lateinamerikanische Gewerkschafter auf einen konservativen »Business Unionism« festlegte, und andererseits, indem es mit seinem Personal dabei half, dass tatsächlich »progressive, demokratische Führer wie Cheddi Jagan in Guyana, João Goulart in Brasilien und Juan Bosch in der Dominikanischen Republik« gekippt bzw. von der Macht ferngehalten wurden.
Zuschuss für Solidarność
Die AFL-CIO-Führung unterstützte in aller Form den Krieg in Vietnam. Und trotz der wachsenden Opposition einer jüngeren Generation von Gewerkschaftern hielt sie auch dann noch den antikommunistischen und neokonservativen Scharfmachern in Washington die Treue, als die US-Unternehmen in den 70er Jahren damit begannen, im großen Stil Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern: Im Gleichschritt mit Ronald Reagan »eskalierte der Verband in den 1980er Jahren seinen antikommunistischen Feldzug« und wurde erstmals im großen Stil direkt im sozialistischen Lager aktiv, indem er die polnische Solidarność finanziell unterstützte. Die parallele Unterstützung für »Reagans gewaltsame Aufstandsbekämpfung in Mittelamerika« führte schließlich zu lauten Protesten von Tausenden Mitgliedern und Funktionären.
Auch wenn Schuhrke betont, dass sich die US-Gewerkschaftsführer bewusst für »ihren« Staat in die Bresche warfen – neben ihrem authentischen Antikommunismus nennt er als Hauptmotiv, dass sie den Erfolg einer »von den USA gelenkten internationalen kapitalistischen Ordnung« wollten, »weil sie glaubten, dass dies ihren Mitgliedern wirtschaftliche Vorteile bringen würde« –, so lässt er doch keinen Zweifel daran, wer Koch und wer Kellner war: Letztlich machten diese Funktionäre die Arbeiterbewegung »zu einem Anhängsel des außenpolitischen Apparats Washingtons«.
Das Buch ist auch jenseits des unmittelbar verhandelten Stoffes von Bedeutung: Lernen kann eine sich neu politisierende junge Generation anhand dieses Materials zum Beispiel, dass es sehr ratsam ist, einen Blick dafür zu entwickeln, was die konkrete Agenda von Akteuren ist, die auf den ersten Blick unverdächtig oder sogar als Bündnispartner erscheinen. Es gibt nämlich in einer Zeit, in der zwar nicht mehr die Gewerkschaften, aber doch allerlei NGOs blühen, keinerlei Grund zu der Annahme, dass der »außenpolitische Apparat« in den USA (oder in anderen Ländern) vergessen hat, wie nützlich es gewesen ist, gewisse Aufgaben von Dritten bzw. unter falscher Flagge erledigen zu lassen. Schon aus diesem Grund wäre es zu begrüßen, wenn sich ein deutscher Verlag findet, der dieses Buch übersetzen lässt.
Jeff Schuhrke: Blue-Collar Empire. The Untold Story of US Labor’s Global Anticommunist Crusade. Verso, New York 2024, 352 Seiten, 29,95 US-Dollar
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