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Aus: Ausgabe vom 12.07.2025, Seite 10 / Feuilleton
Rolf Dieter Brinkmann

Lonesome Cowboys: Ohne Wasser und Strom

Von Frank Schäfer
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Und ohne Pop: Rolf Dieter Brinkmann

Vor fast zwanzig Jahren traf ich Wolf Wondratschek im Hotel Adlon. Bei Zweitausendeins waren anlässlich seines Sechzigsten die Songbooks neu aufgelegt worden, und er hatte am nächsten Tag einen Rundfunktermin, um noch einmal zu erzählen, wie das damals war, als er mit Lyrikbänden, »Chuck‘s Zimmer« etc., Bestseller landete. Ich sollte ihn für den Rolling Stone interviewen, und wir hatten vorher verabredet, wir sprechen nur über die Bücher, mit denen ich etwas anfangen konnte, das waren vor allem die Lyrik der Siebziger und seine Reportagen. Irgendwann kamen wir zu seinen Einflüssen, und ich bezeichnete ihn ganz selbstverständlich als Brinkmann-Adept, und da erhob er Einspruch und skizzierte sein Verhältnis zu dem älteren Kollegen.

»Ich war völlig unbekannt, da war der Brinkmann ein Star. Und was für einer! Der kam mit seiner Factory auf die Buchmesse, der kam da an mit seiner Gang, und die gingen da durch wie die Cowboys, wie Outlaws, Lonesome Cowboys, das waren die. Mir hat das gefallen. Mehr nicht. Die waren böse, die waren radikal und sie haben Gedichte geschrieben. Wenn man heute böse und radikal ist, dann macht man was anderes. Ich habe das beobachtet, damals, und es gefiel mir. Hey, gut, das sind meine Leute … Aber wenn man genau hinschaut, haben meine Gedichte damit nichts zu tun. Da war ich immer viel wortgewaltiger, ich war viel unrealistischer, ich war viel phantastischer. Surrealistische Bilder haben mir immer gut gefallen. ›Colorado im Winter 1978, das letzte Tier seiner Rasse zieht / eine Blutspur über die Schneedecke‹. Das hätte der Brinkmann nie geschrieben. Der Wondratschek wollte, wenn er Gedichte schrieb, etwas anderes, als der Brinkmann wollte. Beides war okay.«

Damit hatte er die poetologischen Differenzen treffsicher auf den Punkt gebracht. Man hätte vielleicht ein paar Assonanzen und Parallelen finden können, aber Wondratschek wollte über sich sprechen und nicht über Brinkmann. Kollegen sind immer auch Konkurrenten in der Aufmerksamkeit des Publikums. Wondratschek hat schon früh eine Rimbaudsche Poète-maudit-Inszenierung gewählt, die ihm die Beachtung eines jungen, studentenbewegten Publikums sicherte – und die Brinkmann ziemlich anödete. Vielleicht, weil sie ihm so bekannt vorkam.

Im Winter 1972 in Rom, also während seiner Flucht vor dem Pop und ein wenig auch der Welt, als ihm die zeitgenössische Literatur, vielleicht auch seine eigene, nur mehr »Kulissenschieberei« zu sein schien, polemisiert er in einem Brief an Henning John von Freyend gegen die »gehäuften Kopien, diese Schnittmuster-Bogen des zeitgenössischen Geschmacks, diese Kulissenwelt aus falschen Ansprüchen« – und nennt die Protagonisten dann beim Namen. »Deswegen sagt mir Wondratschek auch nichts, diese Gymnasiastenmentalität, diese Renommiersucht, diese erbärmliche Angeberei (ich war ja mal bei ihm, um es mir konkret anzusehen: von Studio keine Spur, Bildchen an der Wand, und ich musste unter einem Fetzen von Vorhang schlafen, Matratzen auf dem Boden und jämmerlich wenig Musik – das wars dann.)«

Wondratschek konnte kaum etwas wissen von diesen Zeilen, aber in seinem schönen Nachruf-Gedicht »Er war too much für euch, Leute« formuliert er zumindest eine Ahnung, dass er bei dem Älteren keinen so vorteilhaften Eindruck hinterlassen haben dürfte, weil der längst auf einem anderen Trip zu sein schien: »die RAF-Leute waren für ihn Scheißer, / die ACID-Freaks waren für ihn Scheißer, / es gab soviele Scheißer, / er brauchte offenbar wieder eine Orientierung / und die suchte er in der Provinz der einfachen Leute, / die einen Stuhl zimmern und ein Bier trinken und nach einem / guten ruhigen Schlaf wieder an ihre nützliche Arbeit zurückkehren.«

Es ist die Zeit des Longkamp-Aufenthalts, als Brinkmann für drei Wochen aussteigt und, ohne Wasser und Strom in einer Mühle zu schreiben versucht. Ihn packt das kalte Grausen in der ländlichen Einsamkeit und er überredet den Künstlerfreund Henning John von Freyend, zu ihm zu kommen und hier zu malen.

Weil es ihr letztes Treffen ist, macht Wondratschek ein bisschen zu viel daraus, er überschätzt diese Thoreau-Phase. Schließlich findet Brinkmann ja auch wieder zurück in die Welt und sieht womöglich gerade noch so, dass seine Poetik des Momentanen, der gesteigerten Gegenwartswahrnehmung plötzlich wieder im Schwange ist. Auch ohne Pop.

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