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Aus: Ausgabe vom 11.07.2025, Seite 12 / Thema
Amerika

»America first!« im Hinterhof

Der US-Außenminister auf Besuch in Mittelamerika. Marco Rubio über die Prinzipien der US-Politik gegenüber »unserer Hemisphäre«
Von Theo Wentzke
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Nebenbei noch Geschäfte anbahnen: US-Außenminister Marco Rubio bespricht sich während seiner Mittelamerikareise mit Vertretern eines Energiekonzerns vor einem Flüssigerdgasterminal in Panama (2.2.2025)

Als Vorbereitung seiner Reise in einige Staaten Mittelamerikas im Februar 2025 veröffentlichte Außenminister Rubio im Wall Street Journal einen Artikel, in dem er die Notwendigkeit dieser Reise und die Prinzipien darlegte, von denen sich die Trump-Regierung gegenüber »unserer eigenen Nachbarschaft« künftig leiten lässt.

»Als Donald Trump im November seinen überwältigenden Sieg errang, erhielt er den Auftrag, die Vereinigten Staaten an die erste Stelle zu setzen. Für die Diplomatie bedeutet dies, dass wir unser Augenmerk stärker auf unsere eigene Nachbarschaft – die westliche Hemisphäre – richten müssen. Infolgedessen haben wir Probleme verschleppt, Chancen verpasst und Partner vernachlässigt. Damit ist jetzt Schluss.

Die außenpolitische Agenda von Präsident Trump beginnt in unserer eigenen Nachbarschaft. Eine seiner vorrangigen Prioritäten ist die Sicherung unserer Grenzen und die Umkehrung der katastrophalen Invasion, die von der vorherigen Regierung begünstigt wurde. Bei diesen Bemühungen spielt die Diplomatie eine Schlüsselrolle. Zur Beendigung und Abschreckung von Migration müssen wir mit den Herkunftsländern zusammenarbeiten, damit sie die Rückkehr ihrer Bürger akzeptieren, die sich illegal in den Vereinigten Staaten aufhalten. Einige Länder arbeiten bereitwillig mit uns zusammen, andere weniger. Ersteres wird belohnt werden. Was letzteres betrifft, so hat Präsident Trump bereits gezeigt, dass er mehr als bereit ist, den beträchtlichen Einfluss der Vereinigten Staaten zum Schutz unserer Interessen einzusetzen. Fragen Sie doch mal den kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro.

Doch selbst wenn die Umstände Härte erfordern, bleibt die Vision des Präsidenten für diese Hemisphäre positiv. (…) El Salvador, Guatemala, Costa Rica, Panama und die Dominikanische Republik – die Länder, die ich auf dieser Reise besuchen werde – werden alle immens von einer stärkeren Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten profitieren. Diese Länder wurden von früheren Regierungen vernachlässigt, die dem Globalen den Vorrang vor dem Lokalen gaben und eine Politik verfolgten, die Chinas wirtschaftliche Entwicklung beschleunigte, oft auf Kosten der Länder in unserer Nachbarschaft.

Das können wir ändern. Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, welche Gefahren für die Vereinigten Staaten in der Abhängigkeit von weit entfernten Lieferketten lauern. Die Rückverlagerung der wichtigen Lieferketten in die westliche Hemisphäre könnte in der Region für Wirtschaftswachstum sorgen und die wirtschaftliche Sicherheit der US-Amerikaner gewährleisten. Engere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten bringen diesen Ländern mehr Arbeitsplätze und höheres Wachstum. Dies verringert die Migrationsanreize in diesen Ländern und sorgt gleichzeitig dafür, dass die Regierungen über Einnahmen verfügen, um die Kriminalität zu bekämpfen und im eigenen Land zu investieren. Wenn sich unsere regionalen Partner weiterentwickeln, können sie Ländern wie China, die viel versprechen, aber wenig halten, leichter widerstehen.

Die Massenmigration hat unsere gesamte Region destabilisiert. (…) Die illegitimen Regime in Kuba, Nicaragua und Venezuela tragen bewusst zur Verschärfung des Chaos bei. Währenddessen nutzt die Kommunistische Partei Chinas ihren diplomatischen und wirtschaftlichen Einfluss – wie etwa beim Panamakanal –, um sich den Vereinigten Staaten entgegenzustellen und souveräne Nationen in Vasallenstaaten zu verwandeln.

Ich bin zuversichtlich, dass die Länder, die ich bald besuchen werde, als Partner bereitstehen werden. (…) Weil sie Pragmatiker sind, wissen sie auch, dass es viel mehr bringt, mit den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten, als das nicht zu tun.«¹

Zweierlei Probleme

Wenn der neue Außenminister mit seiner ersten Auslandsreise »in unserer Hemisphäre bleibt«, dann macht nicht nur das Possessivpronomen deutlich, dass die USA zu den Ländern Mittelamerikas in einem besonders anspruchsvollen Verhältnis stehen. Rubio lässt keinen Zweifel daran, was die »America first!«-Agenda für die Länder in »unserer eigenen Nachbarschaft« bedeutet: Für die US-Regierung sind von Haus aus nicht die Probleme und Interessen von Belang, die diese Länder aus der Rolle beziehen, die sie für die USA spielen – als Lieferanten von Rohstoffen bzw. Agrargütern, als vom Interesse des Dollarkapitals abhängige Adressen für Investitionen und als Objekte der strategischen Ansprüche der US-Gewalt. Vielmehr werden sie mit den »Problemen« konfrontiert, die sie den USA bereiten und deren Bereinigung ihre selbstverständliche Aufgabe zu sein hat.

Das eine »Problem«, auf dessen ultimative Bereinigung die Trump-Regierung drängt, ist die »katastrophale Invasion« von Migranten, die sie als eine existentielle Gefahr für die Sicherheit, die den USA speziell aus ihrer Nachbarschaft erwächst, begreift: Sie sieht in den Massen, die ihren heimischen Zuständen entkommen und in den USA unterkommen wollen, nicht nur einen Angriff auf die Souveränität der USA über die eigenen Grenzen. Durch die Gleichsetzung von Migranten aus den Armenhäusern Mittelamerikas mit Verbrechern und Drogenhändlern, die die Herrschaft über die »Communities« übernehmen und das Volk vergiften, wird aus der Elendskarawane aus dem Süden ein systematischer Angriff auf die amerikanische Volksgemeinschaft, wie sie die Trump-Mannschaft als Inbegriff der guten, konkurrenztüchtigen Amerikaner versteht – eine Form des Terrorismus gegen Amerika, dessen Bekämpfung ein elementarer, nicht relativierbarer Anspruch an die Länder ist, von denen dieser Angriff ausgeht.  Und so fordert die US-Regierung von den Herkunftsstaaten nicht nur die »Beendigung« der Migranten»ströme«, also den Einsatz ihrer Gewalt, damit sich ihre Bürger nicht Richtung USA aufmachen, sondern in den »shit holes« bleiben, in die sie gehören. Vielmehr verlangt sie deren »Umkehrung«, also die Rücknahme aller, die es in die USA geschafft hatten und die die US-Regierung jetzt keinesfalls mehr dulden will. Jedenfalls hat sie schon mal mehrere Hunderttausend offiziell als solche Fälle deklariert.

Was die Rückkehr von Massen an ja nicht ohne Grund aus ihren Ländern abgehauenen Hungerleidern für diese Länder bedeutet, ganz abgesehen von dem Verlust der »remesas«, also der Rücküberweisungen von erfolgreich Migrierten, die in manchen Ländern ein Viertel des BIP ausmachen, ist dem amerikanischen Außenminister natürlich geläufig. Er definiert diese Probleme als eine bloße Frage der erforderlichen Rücknahmebereitschaft der einschlägigen Regierungen, für deren Herstellung der »Diplomatie« eine »Schlüsselrolle« zukommt. Die besteht konsequenterweise darin, die Unverhandelbarkeit der einschlägigen US-Ansprüche als Angebot zur »Zusammenarbeit« zu formulieren, um gleich die unverhohlene Drohung dazuzusagen, dass da von der Zustimmung der Angesprochenen nichts abhängig gemacht wird und was denen blüht, die meinen, dieses »Angebot« ablehnen zu können: Die sollen »doch mal den kolumbianischen Präsidenten Gustavo Petro« fragen. Der wurde für seine Weigerung, US-Militärflugzeuge mit abgeschobenen Kolumbianern in Bogota landen zu lassen, weil das in Widerspruch zur kolumbianischen Souveränität stehe, mit umgehend verfügten Zugangsbeschränkungen zum US-Markt bestraft, was die bezweckte Wirkung hatte und das Land zur Räson brachte.

Das zweite Sicherheits-»Problem«, das die Vorgänger-Regierung »verschleppt« hat und das Rubio jetzt den mittelamerikanischen Staaten zur Bereinigung vorlegt, verdankt sich einer ganz anderen, nämlich dem imperialistischen Monopolanspruch der Trump-Regierung geschuldeten Unzufriedenheit, die sich auf diese Region richtet: der mit Chinas Präsenz in »unserer Hemisphäre«. Dass China als Handelspartner und Investor in Mittelamerika zunehmend Fuß fasst, wenn auch immer noch weit hinter den USA zurückliegend, und auf diese Weise politischen Einfluss auf die dortige Staatenwelt gewinnt, betrachtet die Trump-Regierung als nicht hinnehmbares Sicherheitsproblem: In ihrem unmittelbaren Vorherrschaftsbereich macht sich die Macht breit, die sie erklärtermaßen als den größten, eigentlich einzigen, Herausforderer und als Angriff auf die globale amerikanische Dominanz im Visier hat. Mit ihren Beziehungen zu China lassen sich die Staaten Mittelamerikas zu dessen »Vasallen« machen und verschaffen so dem großen Rivalen lauter Hebel, die der nutzt, um sich den USA »entgegenzustellen«.

In diesem Sinn werden im Prinzip alle Staaten der Region von der Trump-Regierung als loyale Erfüllungsgehilfen des US-Interesses an der Eindämmung Chinas veranschlagt. Die dabei anfallenden Schäden – immerhin ist China von zunehmender Bedeutung für deren nationales Wachstum und als zusätzliche geschäftliche Option zum US-Kapital in den meisten Ländern sehr willkommen – haben sie nicht nur im höherwertigen Sicherheitsinteresse der Weltmacht, sondern in ihrem eigenen Interesse hinzunehmen. Für Rubio ist einfach klar, dass Chinas Unterminierung der strategischen Souveränität der USA zugleich »auf Kosten der Länder in unserer Nachbarschaft« geht. So sollen die das jedenfalls sehen und die US-Forderung zum Kappen ihrer wachsenden Zusammenarbeit mit China zu ihrer Räson machen – die Hebel, die die USA für das Erzwingen der entsprechenden Einsicht bereit sind einzusetzen, wurden ja schon vorgezeigt.

Aber die US-Regierung hat den Ländern der Region nicht nur »Härte«, sondern auch eine »positive Vision« zu bieten – quasi als Belohnung für die »Partner«, die den US-Ansprüchen mehr oder weniger »bereitwillig« nachkommen. Dabei fallen die in Aussicht gestellten Vorteile »engerer Beziehungen zu den Vereinigten Staaten« allerdings zum einen einigermaßen vage aus; zum anderen wird das möglicherweise anfallende »höhere Wachstum« gleich noch als funktional für die Interessen der USA selbst verbucht: Es kann die »Abhängigkeit (der USA) von weit entfernten Lieferketten« reduzieren, so die »wirtschaftliche Sicherheit der US-Amerikaner gewährleisten«, den Staaten die Mittel einspielen, um bei sich »Migrationsanreize« zu verringern und den Lockungen Chinas »leichter widerstehen« zu können. Wenn die Staaten, statt zu »Vasallen Chinas« zu werden, ihre Staatsräson ganz den US-Ansprüchen unterstellen, steht einem positiven Verhältnis zwischen den USA und den Ländern der Region als deren einzig sinnvoller Perspektive jedenfalls nichts mehr im Wege.

Pragmatische Unterwerfung

Die da propagierte »Partnerschaft« ist so einseitig, wie es die Machtverhältnisse sind, die ihr zugrunde liegen. Die Macht der USA und die unverhohlene Drohung von Präsident Trump, sie zur Bestrafung von Insubordination rücksichtslos einzusetzen, auf der einen und die Ohnmacht der »Partner« auf der anderen Seite ist die Grundlage für die (Selbst-)Sicherheit, mit der Rubio die geforderte Botmäßigkeit gleich als »pragmatische« Einsicht der so Erpressten ausdrückt. Die »wissen, dass es viel mehr bringt, mit den Vereinigten Staaten zusammenzuarbeiten als das nicht zu tun«, dass also der einzig vernünftige Gebrauch ihrer Souveränität in der Unterwerfung unter die Oberhoheit der USA mit ihrem unmissverständlich angemeldeten erweiterten Bedarf nach amerikadienlichen Leistungen besteht, weil sie sich mit jeder Verweigerung nur selbst schaden: Der Dienst an den US-Interessen erspart ihnen zwar keine Erpressung und Drangsalierung durch die USA, soweit die sich schlecht bedient sehen; er erspart ihnen aber im besten Fall die Kosten der Feindschaft, mit der Amerika andere bedenkt.

Denn über den Ankündigungen, die Freunde und Partner in der Region, denen er mit seinem Besuch Amerikas Aufmerksamkeit schenkt, dazu zu bringen, »bereitwillig« mit den USA »zusammenzuarbeiten«, vergisst Rubio die Staaten nicht, die in »unserer Hemisphäre« ebenfalls beheimatet sind und die eindeutig als Feindstaaten zu betrachten und zu behandeln sind. Die sorgen nach seiner Auffassung in allen Belangen der US-Sicherheit nämlich nicht nur im Ergebnis für Probleme, sondern wollen durch ihre Verweigerung, sich für die USA im verlangten Sinn nützlich zu machen, die Führungsmacht ausgerechnet in ihrem ureigensten Staatenumkreis schädigen. Diese »illegitimen Regime« »tragen bewusst zur Verschärfung des Chaos« in der Migrationsfrage bei, indem sie für Zustände in ihrem Land sorgen, die Tausende aus dem Land treiben und Verbrecher und Drogenhändler auf die USA loslassen. Außerdem machen sie mit US-Rivalen gemeinsame Sache und geben sich als Stützpunkte für deren Aktionen gegen die Sicherheit der USA her – kurz: Das sind Terrorstaaten, die die USA zerstören wollen. So erneuert die MAGA-Politik mit ihrer Lesart antiamerikanischer Umtriebe die alten Feindschaften der USA in der Region. Entsprechend bekommen diese Staaten die Macht der USA zu ihrer Schädigung zu spüren und dienen so auch als abschreckendes Beispiel dafür, was den Ländern blüht, die sich nicht der »natürlichen« Dominanz der USA über die Region unterordnen wollen.

Rubio in »unserer Nachbarschaft«

Wie die Prinzipien des neuen Umgangs der USA mit Mittelamerika praktisch umgesetzt werden und was sie für die dortigen Staaten bedeuten, macht ihnen Außenminister Rubio auf seiner Reise klar, indem er sie mit den Aufgaben und Ansprüchen konfrontiert, die sie im Interesse der USA jeweils zu erledigen haben. Ein entscheidender Schauplatz ist dabei Panama.

Da geht es zum einen um die Forderung der USA, Sondervergünstigungen bei der Fahrt ihrer Schiffe durch den Kanal zu bekommen, also keine bzw. wesentlich niedrigere Gebühren zu zahlen als die anderen Nationen. Andererseits ist dieses Begehren nur ein Moment eines viel weiter reichenden Anspruchs der USA auf Botmäßigkeit Panamas, an dem deutlich wird, welchen generellen Standpunkt die Trump-Regierung zur Souveränität der Staaten in ihrem Hinterhof im Allgemeinen, zu Panama und dessen Hoheit über den (noch – der Golf heißt jetzt ja auch schon anders) gleichnamigen Kanal im Besonderen einnimmt: »Für Dissonanzen sorgte Rubios Besuch in Panama. Trump hatte zuvor gedroht, den 1999 von den USA abgetretenen Kanal wieder unter amerikanische Kontrolle bringen zu wollen, notfalls auch mit militärischer Gewalt. Denn die Präsenz chinesischer Unternehmen am von Panama verwalteten Kanal bedrohe die Sicherheit der USA, für deren Flotte die Verbindung von Atlantik und Pazifik unentbehrlich ist. Zudem behauptete Trump, dass Panamas Behörden amerikanischen Schiffen überhöhte Durchfahrtsgebühren berechneten.« (NZZ, 7.2.25)

Was die Gebührenfrage angeht: Dass Panama die USA über den Tisch zieht, wenn es deren Schiffen überhaupt Gebühren abverlangt, ist für Trump schon dadurch eine unbezweifelbare Tatsache, dass es schließlich die USA waren, die den Kanal gebaut haben. Dessen Bewirtschaftung und schließlich auch das offizielle Eigentumsrecht haben sie dann zwar dem panamaischen Staat überlassen – was auch schon ein Fehler war –, aber das ändert für Trump nichts daran, dass es eine US-Konzession darstellt, wenn Panama eine US-amerikanische Binnenwasserstraße betreiben und unterhalten darf. Angesichts dessen kommt es ihm völlig absurd vor, dass in diesem Fall nicht etwa der Konzessionsnehmer Gebühren zahlt, sondern diese verlangt, und zwar ausgerechnet vom Konzessionsgeber, der ihm erlaubt, ein Geschäft mit dieser Dienstleistung zu machen, indem er sich an Dritten schadlos hält. Insofern gehen auch hier die faktencheckerischen Kritiken komplett fehl, die darauf verweisen, dass die amerikanischen Kanalbenutzer militärischer und ziviler Art doch auch nicht mehr Gebühren zahlen als andere, und insofern Trumps Beschwerde, die USA würden abgezockt, mal wieder die typischen trumpistischen »Fake News« seien: Dass die USA überhaupt dafür zahlen müssen, dass Panama an ihrem Kanal verdienen darf, ist von Trumps Standpunkt aus schon das eigentliche Unding.

Das gilt natürlich erst recht für den Umstand, dass Panama mit der ihm erteilten Konzession auch noch in der Hinsicht Schindluder treibt, dass es China, dem größten ökonomischen und strategischen Rivalen der USA, ermöglicht, die Verbindung zwischen Atlantik und Pazifik für seine Versuche zweckzuentfremden, sich nicht nur ökonomisch, sondern auch strategisch in der US-Hemisphäre einzunisten. Im Visier ist da insbesondere der chinesische Betreiber der Kanalhäfen. Dessen Engagement betrachtet die Trump-Regierung als gegen die USA gerichteten ökonomischen und strategischen Zugriff Chinas und damit als einen nicht länger hinnehmbaren Widerspruch zur Sicherheit der USA, was Außenminister Rubio so ausdrückt, »dass China im Falle eines Konflikts zwischen Peking und Washington die Häfen nutzen könnte, um den Kanal, eine wichtige Route für die US-Schiffahrt, zu schließen« (The Guardian, 2.2.25). Deshalb muss Panama erstens dafür sorgen, dass die chinesischen Firmen vom Kanal verschwinden, und überhaupt damit aufhören, China als ökonomischen und politischen Partner – Stichwort: Seidenstraße – zu betrachten. Zweitens denkt Präsident Trump den Anspruch der USA, sich das Aufsichtsmonopol über den Kanal zu sichern und den Ausschluss Chinas von jeder Einflussmöglichkeit irreversibel zu machen, konsequent zu Ende: Um da sicherzugehen, muss dem panamaischen Staat die Souveränität über den Kanal abgenommen werden.

Die Regierung Trump fasst hier den Übergang zu einer Sorte Imperialismus ins Auge, die sich nicht damit zufriedengibt, anderen Staaten per Erpressung »Deals« abzunötigen, die auf deren Kosten amerikanischen Nutzen garantieren. Sie zielt darauf, Panama die von den USA zugestandene formelle Hoheit über dieses strategische Schlüsselobjekt und damit dem Rest der Welt dessen freie Nutzung aufzukündigen, indem der für alle Welthandelsnationen lebenswichtige Kanal unmittelbar der US-Macht unterstellt wird – der er in der Sicht Trumps ja eigentlich sowieso gehört. Damit entzieht die US-Regierung Panama die Konzession, die es ihm ermöglicht, sich wie ein Souverän aufzuführen, der seine Hoheit über den Kanal in seine Beziehungen zu anderen Staaten als Geschäftsmittel einbringt. Jedenfalls droht Trump glaubwürdig damit.

Die Reaktionen darauf beweisen, dass man sich zwar über Trumps Gebaren empören, aber nicht von der Hand weisen kann, dass er damit ein wirkliches Machtverhältnis auf seiner Seite hat und in Anschlag bringt: »Um Trump zu besänftigen, sagte Mulino am Sonntag eine Untersuchung der chinesischen Aktivitäten in den Kanalhäfen zu und erklärte Panamas Ausstieg aus Pekings Infrastrukturprogramm ›neue Seidenstrasse‹. Rubio feierte Panamas Absage an China als ›großen Schritt vorwärts‹ zu besseren bilateralen Beziehungen.« (NZZ, 7.2.25)

Dass damit die Sache nicht erledigt ist, zeigt die besondere Art von Diplomatie, die die US-Regierung dabei betreibt: Sie behandelt ihre, über die Zusagen Panamas hinausgehenden, Ansprüche so, als wären sie mit ihrer Anmeldung auch schon akzeptierte Realität. Sie lässt öffentlich verlauten, dass die Forderung, der US-Marine freien Zugang zum Panamakanal zu gewähren und der Stationierung von US-Truppen zwecks gewaltbewehrter Kontrolle des Kanals zuzustimmen, von Panama gebilligt worden sei, was die dortige Regierung empört zurückweist. Für die Trump-Regierung ist es angesichts der Kräfteverhältnisse einfach logisch, dass ein Land wie Panama gar nicht anders kann, als sich die US-Forderungen zu eigen zu machen – auch wenn es damit eine gewaltige Relativierung seiner Souveränität hinzunehmen hat: Die Regierung braucht nur etwas diplomatischen Nachhilfeunterricht. So erwiderte Rubio auf die panamaische Empörung: »Die USA hätten ihre Erwartungen in den Gesprächen in dieser Woche klargemacht und sie seien ›klar verstanden‹ worden, er räumte aber ein, dass Panama ein juristisches Verfahren zu durchlaufen habe.« (Wall Street Journal, 7.2.25) 

Guatemala

zeichnet sich dadurch aus, dass es den USA das eine Sicherheitsproblem, unliebsame China-Connections, von vorneherein erspart, »da das Land offizielle Beziehungen zu Taiwan unterhält. Dies schließt diplomatische Beziehungen zu China, dem großen Konkurrenten der USA in der Region, aus«. (NZZ, 7.2.25) Bleibt die »Massenmigration«, zu der das Land viel beiträgt, in Bezug auf die es also auch viel zu bereinigen hat. Im Ergebnis sagt der Präsident Guatemalas eine drastische Ausweitung der Abschiebeflüge mit Migranten aus den USA zu und bekommt dafür und wegen seiner Kooperationsbereitschaft auch auf anderen Gebieten finanzielle Unterstützung gewährt. Das ist dann mal »Entwicklungshilfe, die in unserem nationalen Interesse liegt« (Rubio in Guatemala), während ansonsten Trump-Amerika seine Auslandshilfen radikal zusammengestrichen hat, weil sie nicht dem Prinzip gehorchen, amerikanisches Interesse voranzubringen. Und um Guatemala wirtschaftlich und militärisch besser nutzen zu können, unterstützt die Trump-Regierung »ein ehrgeiziges Infrastrukturprojekt«, das dem Land Verbesserungen im Luft-, See- und Landverkehr ermöglichen soll. »Beide Seiten vereinbarten die Zusammenarbeit zwischen der Regierung Guatemalas und dem Ingenieurkorps der US-Armee bei der Planung für den Ausbau von zwei strategischen Häfen.« (NZZ, 7.2.25). Das Land wird also nicht nur als strategische Basis für die USA weiter ausgebaut, sondern die Einrichtung der dafür nötigen Infrastruktur wird gleich von der US-Armee selbst übernommen. In der

Dominikanischen Republik

verabredet Rubio die »ständige Präsenz der US-Zoll- und Grenzschutzbehörde auf der Insel«, so dass die Kontrolle von Migrationsbewegungen ganz in den Händen der dazu einzig befähigten US-Gewalt liegt. Dafür wird dem Land – im Sinne des neuen amerikanischen Humors – eine »positive Vision« geboten: Zwecks Sicherung von wichtigen Lieferketten für die zivile und militärische US-Industrie bietet ihm Rubio eine »einmalige Gelegenheit« zur »wirtschaftlichen Entwicklung mit einem Fokus auf den Energiesektor und die Halbleiterindustrie. Rubio erklärte: ›Hier bietet sich eine einmalige Gelegenheit für dieses Land, sich zu einem Halbleiterzentrum zu entwickeln, so nah an den USA und in einem stabilen Umfeld.‹« (Amerika21.de, 9.2.25) Den Anspruch der USA, die Länder Mittelamerikas für ihre unterschiedlichen Interessen zu funktionalisieren, haben die eben als unabweisbare Bedingung für ihre nationalen Kalkulationen zu nehmen, was das Streichen von Vorbehalten gegen die Zuständigkeit von US-Gewaltinstanzen in ihrem Land einschließt.

Die USA unter Trump nehmen eben nach Belieben die Dienste bzw. deren militärische Überwachung selber in die Hand, die sie von den Staaten der Region verlangen. Dafür müssen sie deren formelle Souveränität gar nicht unbedingt widerrufen, sondern teilen sich frei ein, ob sie mit einem Einsatz ihrer Gewalt drohen,  um Widerspenstigkeiten gegen US-Ansprüche niederzumachen wie im Fall Panama, oder ob sie Teilbereiche der Herrschaft vor Ort direkt mit eigenem Personal besetzen, um so für die US-dienlichen Leistungen ihres Hinterhofs zu sorgen. Dazu passend kommen auf Rubios Reise auch die erklärten Feindstaaten in der lateinamerikanischen Region nicht zu kurz. Wie die US-Regierung mit ihnen gemäß »America first!« zu verfahren gedenkt, behält sie sich in aller Freiheit vor.

Anmerkung

1 Beitrag des US-Außenministers Rubio im Wall Street Journal vom 30.1.25; in dieser Übersetzung veröffentlicht auf der offiziellen Homepage des US-Außenministeriums.

Mehr zum Thema im Heft 2/25 der Zeitschrift Gegenstandpunkt und auf der Webseite: gegenstandpunkt.com

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