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Aus: Ausgabe vom 11.07.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Österreich als Defizitfall

Vom Sparfuchs zum Pleitier

EU leitet Defizitverfahren gegen Österreich wegen hohen Schuldenstands ein. Nun muss ein Plan der Regierung her.
Von Dominic Iten
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Da waren die Zeiten noch rosig in der Alpenrepublik (Werbung der Bank Austria, 1988)

Österreich muss jeden Cent zweimal umdrehen. Wegen zu hoher Verschuldung leitet die Europäische Union ein Defizitverfahren ein, um das Land zu mehr Haushaltsdisziplin zu verpflichten. Das hat der zuständige Rat der EU am Dienstag beschlossen, nachdem bereits die EU-Kommission im vergangenen Monat ein Strafverfahren gegen die Alpenrepublik empfohlen hatte.

Die EU hat für ihre Mitgliedstaaten eine Schuldenobergrenze festgelegt. Gemäß Regelwerk soll die jährliche Neuverschuldung höchstens drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen, der Schuldenstand darf in Summe 60 Prozent der Wirtschaftsleistung nicht überschreiten. Wer die vorgegebenen Ziele verfehlt, dem drohen Disziplinarmaßnahmen. Gegen eine ganze Reihe von Mitgliedstaaten wurden solche bereits ergriffen, bisher traf es überwiegend die peripheren Länder des Staatenbündnisses – etwa Ungarn, Polen, Rumänien oder die Slowakei.

Und jetzt auch Österreich. Noch vor wenigen Jahren zählte das Land zu Europas »sparsamen vier«. Doch der Ausbruch der Coronapandemie hatte den Abstieg vom Sparfuchs zum Defizitfall eingeleitet. Milliardenschwere Unterstützungsprogramme blähten den Staatshaushalt auf, wenig später folgten mit dem Energiepreisschock weitere Staatsausgaben. Die Konjunktur erholte sich in der Folge nur schleppend, rasch steigende Zinsen erhöhten die Schuldenlast. Weiter steht seit dem Abgang von Kanzler Sebastian Kurz eine Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ und Neos an der Spitze, die fiskal weniger konservativ agiert.

So lag das Budgetdefizit 2024 bei 4,7 Prozent des BIP. Für das laufende Jahr wird ein Defizit von 4,5 Prozent erwartet, die Prognose für 2026 liegt derzeit bei 4,2 Prozent. Noch deutlicher hat Österreich die EU-Vorgaben im Bereich der Gesamtverschuldung verfehlt: Wie das Finanzministerium mitteilt, wird diese im laufenden Jahr bei über 84 Prozent des BIP liegen.

Um dies zu korrigieren, bleibt Österreich Zeit bis 2028. In einem ersten Schritt hat die Regierung bis zum 15. Oktober 2025 einen Plan zum Abbau der Schulden auszuarbeiten. Die EU-Kommission wird ihn prüfen und seine Umsetzung überwachen: In halbjährlichem Abstand hat Österreich Zahlen vorzulegen, die die Wirksamkeit seines Sparprogramms beweisen.

Weil sich das Defizitverfahren angesichts des wachsenden Staatsdefizits abzeichnete, hatte die Regierungskoalition bereits Mitte Juni ein mächtiges Sparpaket beschlossen. ÖVP-Staatssekretär Alexander Pröll, SPÖ-Amtskollegin Michaela Schmidt und Neos-Staatssekretär Sepp Schellhorn bemühten sich bei der Verkündung des »Doppelbudgets« für 2025/26 um wohlklingende Worte: Es brauche einen »gerechten Beitrag aller zur Sanierung der Staatskasse«, weniger »Überförderungen«, Maßnahmen zur »Ankurbelung der Konjunktur« und »Reformen in der Verwaltung«.

Im Klartext: Österreich wählte in vorauseilender Selbstbeschränkung den typischen Dreiklang aus Subventions- und Sozialkürzungen, gezielten Steuererhöhungen und Verwaltungsreformen – knapp 15 Milliarden Euro in zwei Jahren. Das Defizitverfahren konnte damit trotzdem nicht abgewendet werden. Ob die im Juni beschlossenen Maßnahmen zur Einhaltung der EU-Vorgaben genügen, oder ob die österreichische Regierung im kommenden Herbst nachlegen muss, ist derzeit eine offene Frage.

Was man hingegen heute schon weiß: Die Maßnahmen treffen ein krisengeschütteltes Land mit hoher Inflation, schwacher Nachfrage und anhaltender Rezession. Laut Prognose der EU-Kommission ist Österreich das einzige EU-Mitglied, dessen Wirtschaft dieses Jahr schrumpfen wird. Für die Arbeiter heißt das: stagnierende Löhne, ein tendenziell schwieriger Arbeitsmarkt, Kürzungen der Sozialleistungen und steigende Belastungen bei den Verbrauchssteuern.

Über diese Entwicklungen wollte SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer am Dienstag vor dem Rat der EU keine Worte verlieren. Statt dessen versuchte er den Schein der Souveränität zu wahren: Man hätte sowieso sparen wollen, auch unabhängig vom eingeleiteten EU-Verfahren. Sämtliche Beschlüsse, die das Budget betreffen, würden »in Österreich und nicht in Brüssel gefällt«.

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