Frust statt Freundschaft
Von Reinhard Lauterbach, PoznaŃ
Vor ein paar Tagen kam ein Mann in eine ukrainische Gaststätte im polnischen Gdynia. Er forderte den Besitzer auf, die ukrainische Flagge über dem Eingang abzunehmen, ansonsten werde er das Lokal demolieren und im Internet negative Bewertungen abgeben. Der Wirt rief die Polizei, die postierte vorübergehend Streifenwagen vor der Tür, was aber nach Darstellung des Gastronomen den Publikumsverkehr auch nicht gerade erhöhte. Ein Einzelfall für die Lokalzeitung? Vielleicht in dieser Deutlichkeit schon, aber nicht in der Tendenz. Die Stimmung in Polen gegenüber Ukrainern und dem Land, aus dem sie kommen, ist dabei, sich ins Negative zu drehen.
Rechte Kandidaten haben im Präsidentschaftswahlkampf gefordert, den gut einer Million Ukrainern den Zugang zum Kindergeld und zum Gesundheitssystem zu verweigern, sofern sie nicht arbeiteten und Beiträge zahlten. Selbst der liberale Kandidat Rafał Trzaskowski übernahm diese Forderung, obwohl er sehr gut wissen musste, dass ein solcher selektiver Entzug von staatlichen Leistungen unter das Diskriminierungsverbot der EU fällt und daher rechtlich keinen Bestand gehabt hätte. Vermutlich wusste er das auch, hat es aber trotzdem gefordert, um der gefühlten Stimmung des Wahlvolks Rechnung zu tragen.
Auch Staatspräsident Andrzej Duda warf sein Bündel Holz ins Feuer. Er sagte vor einigen Tagen dem liberalen Portal Onet.pl, Polens Beitrag zur Ukraine-Hilfe werde von den westlichen Verbündeten nicht hinreichend gewürdigt. Dabei stelle Polen die Straßen und Bahnlinien zur Verfügung, über die der Nachschub für die Ukraine rolle. In Polen liege der zentrale Umschlagflughafen in Rzeszów-Jasionka, ein paar Dutzend Kilometer vor der Grenze. Und der Westen halte das anscheinend alles für selbstverständlich; aber da täusche er sich. Der Flughafen von Rzeszów könne ja mal für eine »Grundreparatur« gesperrt werden, dann würden Kiew und der Westen schon sehen, wo sie blieben.
Das Interview war eine der typischen Tiraden, die Duda von sich gibt, wenn er keinen vorbereiteten Redetext hat. Und dass Polen wirklich seine zentrale Unterstützerrolle für die Ukraine aufgibt, ist unwahrscheinlich. Aber aus Dudas Statement geht auch hervor, dass Polen mehr für seinen Einsatz zurückhaben will. Finanziell als garantierten Anteil an den Wiederaufbauprofiten, politisch als Beteiligung an den Beratungen der »Koalitionen der Willigen«, und nicht zuletzt auch symbolisch. Über Tage erregte sich die rechte Publizistik darüber, dass bei einer gemeinsamen Reise mit Friedrich Merz und Emmanuel Macron nach Kiew Donald Tusk nur einen Schlafwagen in der zweiten Klasse abbekommen habe, während Merz und Macron im Salonwagen gereist seien. Angeblich, niemand hat den Zug gesehen.
Vor einem guten Monat hat Polen die Ukraine auch auf der symbolischen Ebene verärgert. Am 6. Juni beschloss das Parlament mit lagerübergreifender Mehrheit, den 11. Juli zum nationalen Gedenktag für die Opfer des »Völkermords in Wolhynien« zu erklären. Am 11. Juli 1943, einem Sonntag, hatten ukrainische Faschisten in über 100 polnischen Dörfern in der Westukraine den Umstand genutzt, dass die örtlichen Polen in den Kirchen waren. Sie griffen diese an, brannten sie nieder und machten die fliehenden Gläubigen mit Sensen und Mistgabeln nieder. Es war ein Höhepunkt der ethnischen Säuberungen, die auch andere ethnische Gruppen sowie Flüchtlinge trafen, zu denen die Nationalisten von der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA) aufgerufen hatten.
Die Gesamtzahl der Ermordeten wird auf zwischen 60.000 und 120.000 geschätzt. Die allermeisten von ihnen liegen immer noch in irgendwelchen Massengräbern. Die ukrainische Seite verweigert die Exhumierung, weil die Erinnerung an eines der Gründungsverbrechen der Ukraine die Heldenerzählung vom »Freiheitskämpfer« Stepan Bandera eintrüben könnte. Auf den polnischen Parlamentsbeschluss reagierte das ukrainische Außenministerium sauer: Es gefährde die »gutnachbarlichen Beziehungen«, wenn Polen jetzt einen »angeblichen Völkermord« von vor 82 Jahren aus der Schublade ziehe. Die offiziellen Feierlichkeiten am Freitag werden vermutlich gemäß der polnischen Gedenktradition verlaufen: mit vielen Messen, Kranzniederlegungen und dergleichen Zeremonien. Aber die über Jahrzehnte kleingeredeten Spannungen zwischen Polen und Ukrainern drohen wieder hervorzutreten.
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