Rette sich, wer kann
Von Peer Schmitt
Das Unheil beginnt mit einem flatternden Fetzen Unrat. Ein Genlaborarbeiter kann seine Naschsucht nicht unterdrücken, seinen Hunger nicht rechtzeitig stillen, seinen Ennui nicht hintanstellen. Nachlässig kaut er an einem Snickers, bevor er durch die Hochsicherheitsschleuse zum genmanipulierten Mutantendino auf seinen Beobachterposten trottet. Das Verpackungspapier aber löst in der Schleuse Fehlalarm und Fehlfunktion aus. Der Dino ist los, und der Unglücksrabe mit dem Snickers im Maul wird Dinofutter, danach das gesamte Labor der aus »Jurassic Park« (Steven Spielberg 1993) hinreichend berüchtigten Firma InGen (International Genetics Incorporated) auf der fiktiven Karibikinsel Saint-Hubert zerstört und verlassen: Rette sich einmal mehr, wer kann.
Es ist kein Zufall, das Unheil beginnt mit einem Product Placement, und am Ursprung liegt immer ein Unfall. Im zeitlichen Ablauf der großen Echsenerzählung geschah er im Jahr 2010, fünf Jahre noch vor Erscheinen des ersten Teils der katastrophalen »Jurassic World«-Trilogie. Der nunmehr siebte Teil des Dino-Franchise, »Jurassic World: Die Wiedergeburt« spielt nach diesem Prolog in näherer Zukunft, im Jahr 2027. Die Dinos sind aus der Mode gekommen, die Vergnügungsparks pleite, die Naturkundemuseen leer. Ein letztes urbanes Echsenvieh legt sich unter der Brooklyn Bridge zur Ruhe und erregt damit den Unmut der bekanntlich Phlegma im Stadtverkehr nur selten entschuldigenden New Yorker Bevölkerung.
Kein Mensch will mehr etwas mit den Dinos zu tun haben. Einige leben noch in freier Wildbahn wie schon 2022 im letzten »Jurassic World«-Film, nur nicht mehr im Schnee, sondern am Äquator. Und zwar zu Lande (Titanosaurus), zu Wasser (Mosasaurus) und in der Luft (Quetzalcoatlus). Notdürftig eingehegt in einer angeblich militärisch abgeriegelten Sonderzone. Doch kaum dringen unbefugte Abenteurer oder auch nur scheinbar harmlose Touristen in diesen Lebensraum ein, gibt es von institutioneller Überwachung auch nicht mehr die kleinste Spur. Da, wo die Institutionen schwach sind, hat das Abenteuer vielleicht doch noch eine Chance.
InGen hat ohnehin spezielle Pläne. Man möchte ein Herzmittel entwickeln und benötigt dafür Blutproben ausgerechnet der wildlebenden Dinousaurier. Und zwar vom lebenden Objekt (müsste man die Baupläne nicht noch irgendwo in der firmeneigenen Datenbank herumliegen haben?). Wie gesagt, Lücken im System sind die Chance des Abenteurers. Man stellt ein Expeditionsteam zusammen: einen skrupulösen Wissenschaftler (Jonathan Baily), einen Fiesling von der Corporation (Rupert Friend), eine Söldnerin für alle Fälle (Scarlett Johansson) usw. Ein paar ortskundige Matrosen sammelt man noch in Suriname ein (wieder ist man auf den Spuren des »Lost World«-Südamerika von Conan Doyle; gedreht wurde allerdings in Thailand und auf Malta) und sticht schließlich in See.
Auch das Boot ist noch ein Ort der letzten Abenteuer: Der Mosasaurus greift an. Man strandet auf der eingangs erwähnten Insel. Eine Touristenfamilie – ein Vater, seine beiden Töchter und der rammdösige Boyfriend der älteren Tochter – hat ebenfalls Schiffbruch erlitten und weigert sich beharrlich, Dinofutter zu werden. Auf der Insel sind die Dinos schrecklich mutiert, werden quasi zu »Alien«-Wesen. Ein paar Abenteurer bleiben auf der Strecke, aber im Grunde geht die Mission gut aus.
Gareth Edwards ist ein guter Regisseur, er hat schon dem »Star Wars«-Klimbim in »Rogue One« (2016) die Ernsthaftigkeit des Krieges vermittelt oder Godzilla ein wenig Erhabenheit zurückgegeben, aber die Dinosaurier und das lahme Abenteuerding sind selbst für ihn zu schwer. Er hat es ansatzweise mit einem Steven-Spielberg-Pastiche versucht: »Der weiße Hai« (1975) und »The Lost World: Jurassic Park« (1997) sagen sich gute Nacht, nebenbei sind Zitatszenen aus Edwards eigenem brillanten Debütfilm »Monsters« (2010) eingearbeitet. Vergeblich.
Es bleibt dabei, das Abenteuer ist eine Sache der alten Schmöker, nicht der Vergnügungsparks, der Genlabore oder des digitalen Postcinema. Da hilft nicht einmal, dass Scarlett Johansson zur Harpune greift, um geschlechtliche Rollenzuweisungen des Abenteuergenres umzuschreiben. Das symptomatische Bild ist tatsächlich der sich im Phlegma der Todessehnsucht unter der Brooklyn Bridge zum Pennen hinstreckende Dino vom Anfang des Films. Von dieser lebensmüden Ausgangslage hat sich das Abenteuer des siebten »Jurassic«-Films nicht mehr erholen können.
»Jurassic World: Die Wiedergeburt«, Regie: Gareth Edwards, Malta/Kanada/USA 2025, 134 Min., bereits angelaufen
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