Akrobat der Stimme
Von Andreas Schäfler
Welchen Kraftausdruck soll man bemühen, um dieses phantastische Debütalbum gebührend anzupreisen? Da ist es schon passiert, und am besten merken Sie sich auch gleich den schönen Namen des Urhebers, denn Tyreek McDole ist ein Jazzsänger, wie es lange keinen gab.
Die Galerie der Giganten in dieser musikalischen Königsdisziplin ist überschaubar, aber deshalb nicht weniger furchteinflößend: Nat King Cole, Tony Bennett, Johnny Hartman, Jon Hendricks … Als Rollenmodell ist dem 25jährigen New Yorker mit haitianischen Wurzeln aber, auch repertoiretechnisch, Leon Thomas am nächsten, der 1969 an der Seite von Pharoah Sanders den afrofuturistischen Spiritual »The Creator Has a Master Plan« in die Welt setzte (und wenig später in die Band von Carlos Santana wechselte). Seine vokale Selbstermächtigung umfasste ganz selbstverständlich auch das Jodeln, jenes »unartikulierte Singen aus der Gurgel«, das zwischen Brust- und Kopfstimme wechselt und das keineswegs nur in der alpenländischen Variante oder als Tarzan-Urschrei existiert. Auch McDole kann mit dieser und einer Vielzahl weiterer Gesangstechniken auftrumpfen, ordnet sie jedoch immer respektvoll den Erfordernissen des einzelnen Songs unter.
Mit seiner brillanten jungen Band findet er ein ums andere Mal Mittel und Wege, um Tradition nicht zopfig und Moderne nicht beliebig wirken zu lassen. Pianist Caelan Cardello (auch diesen Namen bitte sofort auswendig lernen) kann ein Bebop-Schlachtross wie »The Umbrella Man« vollauthentisch zur Strecke bringen und findet trotzdem noch die Lücke, um eine zeitgenössische Signatur anzubringen. Horace Silvers »Open Up Your Senses« erfährt mit einem unerschrocken mäandernden Saxophonsolo von Dylan Band eine elegante Wiedergeburt. Als Saxophonist bei »The Creator« wirkt Pharoah Sanders’ Sohn Tomoki mit, und für Monks »Ugly Beauty« setzt sich mal eben ein tiefenentspannter Kenny Barron ans Klavier – für ein Duett, das sich zu einer Lektion in Sachen Charisma steigert.
Dann übernimmt wieder die tadellose Band, die sich aber nie mit Konfektion begnügt, jedes Solo so selbstbewusst wie enthusiastisch zur Sache kommen lässt und McDoles Stimme eine ideale Bühne bereitet. Der revanchiert sich mit uneigennützigem Leadership, scheut aber auch die Herausforderung von Alleingängen nicht: brutal exponiert, mit nichts als sich selbst dem Rampenlicht ausgesetzt und so viel unmittelbarer gefordert als jeder Instrumentalist. Wie gut das funktioniert, hört man auch in den stilistisch kaum mehr gebundenen Turbulenzen, die Tyreek McDole sich als neugieriger junger Mensch mindestens so gern zumutet wie die paar goldenen Standards.
An den zirzensischen Stimmakrobaten und Instrumentenimitator Bobby McFerrin erinnert auf »Open Up Your Senses« rein gar nichts, an die Würde des spätberufenen Gregory Porter, der sich vor einer hübschen Weile aus dem Nichts in die Jazz-Charts sang, jedoch eine ganze Menge, obwohl der gegen die aufreizend beiläufige Omnipotenz von Tyreek McDole fast behäbig wirkt. Dessen Agilität, Kraft und Modulationsreichtum sind selbst dann noch präsent, wenn er seinen Bariton mal ganz leise ziemlich hoch hinausschickt oder in den reflektierten Texten sachte mit den einzelnen Wortsilben jongliert, bis die befreiende Message auch lautmalerisch kenntlich wird.
Das vielleicht größte Kompliment, das man Tyreek McDole heute schon machen kann: Seine Kunst klingt nach Können, aber so unangestrengt, als hätte, wer mit einer solchen Stimme gesegnet ist, nun mal nichts anderes werden können als ein phantastischer Jazzsänger.
Tyreek McDole: »Open Up Your Senses« (Artwork Records/Integral)
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