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Aus: Ausgabe vom 04.07.2025, Seite 4 / Inland
Politische Krise des Imperialismus

Jung, arm, desillusioniert

TUI-Jugendstudie: Große Ablehnung von bürgerlicher Demokratie und Wehrpflicht
Von Kristian Stemmler
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Die EU ist gerade noch mehrheitsfähig, die Wehrpflicht nicht

Die »Jugend Europas« stehe zur Demokratie und zur Europäischen Union, sehe aber Reformbedarf. Mit diesem Fazit präsentierte die TUI-Stiftung am Donnerstag in Berlin ihre Studie »Junges Europa«, für die in diesem Jahr in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Italien, Griechenland und Polen gut 6.700 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren befragt wurden. Tatsächlich lässt sich aus den Ergebnissen etwas ganz anderes herauslesen: Denn nur 57 Prozent der befragten jungen Leute, also kaum mehr als die Hälfte, ziehen »die Demokratie« uneingeschränkt anderen Staatsformen vor – angesichts der täglichen Beeinflussung durch staatstragende Medien und Politiker ein sehr niedriger Wert.

In der BRD, wo Lobeshymnen auf die bürgerlich-parlamentarische Demokratie traditionell besonders verbreitet sind, liegt die uneingeschränkte Zustimmung zu dieser Staatsform mit 71 Prozent noch am höchsten. In Frankreich sind es dagegen nur 52 Prozent, in Spanien 51 Prozent und in Polen favorisieren nur 48 Prozent der Befragten die Demokratie. Immerhin rund ein Fünftel aller befragten jungen Leute ist unter bestimmten Umständen offen für andere Regierungsformen. 39 Prozent bemängelten, dass die Art und Weise, wie die EU funktioniert, nicht besonders demokratisch sei. 51 Prozent halten die EU für »eine gute Idee, aber sehr schlecht umgesetzt«. 53 Prozent finden, die EU beschäftige sich zu oft mit Kleinigkeiten.

In der seit 2017 jährlich erscheinenden Studie werden die Einstellungen junger Europäer zur EU, zur Demokratie und zu verschiedenen anderen Themen abgefragt. Wissenschaftlich begleitet wurde die Studie von dem Politologen Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin. Faas konstatierte am Donnerstag laut Mitteilung, die Ergebnisse der Befragung zeigten: »Die Demokratie steht unter Druck – von außen wie von innen.« Bei jungen Menschen, »die sich politisch rechts der Mitte verorten und ökonomisch benachteiligt fühlen«, sinke die Zustimmung zur Demokratie auf nur ein Drittel. Wie das Funktionieren des politischen Systems gesehen werde, hänge »eng damit zusammen, wie Menschen ihren Alltag erleben«. Wer ökonomische und/oder physische Unsicherheiten erlebe, wende sich vom System eher ab. Der Forscher verwies darauf, dass nur 37 Prozent der Befragten ihre finanzielle Lage als »(eher) gut« beschrieben hätten. Besorgniserregend sei auch, dass sich 66 Prozent nachts auf der Straße nicht sicher fühlten.

Die Geschäftsführerin der TUI Stiftung, Elke Hlawatschek, verwies darauf, dass nur sechs Prozent in der Studie angaben, dass das politische System ihres Landes gut funktioniere. Das sei »ein ernstes Signal«. Das europäische Projekt, »das uns seit Jahrzehnten Frieden, Freizügigkeit und wirtschaftlichen Fortschritt gebracht hat«, werde als schwerfällig und nicht ausreichend demokratisch erlebt. Dass dies ein systembedingtes Versagen sein könnte, kam der Stiftungschefin nicht in den Sinn. Ihre Schlussfolgerung: Es brauche »mehr politische Bildung, die europäische Zusammenhänge verständlich macht und echte Mitgestaltung ermöglicht«.

Ein erfreuliches Ergebnis der Umfrage ist, dass die Befragten in Deutschland mehrheitlich keine Lust auf Wehrdienst oder eine andere Dienstpflicht haben. 55 Prozent der 16- bis 26jährigen in der BRD lehnen demnach die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ab, 38 Prozent sind dafür. Als das Thema Dienstpflicht vor zwei Jahren letztmalig abgefragt wurde, waren noch 42 Prozent der deutschen Befragten dafür und 47 Prozent dagegen. Das Trommeln von Politik, Militär und Medien für Aufrüstung und eine »kriegstüchtige« Bundeswehr verstärkt bei jungen Leuten offenbar die Abneigung. Weniger erfreulich ist, dass sich in der Befragung 19 Prozent rechts der Mitte einordneten – vor vier Jahren waren dies noch 14 Prozent. Immerhin bezeichneten sich 32 Prozent, also etwa ein Drittel, als links.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (7. Juli 2025 um 10:37 Uhr)
    Es kommt eben immer darauf an, wie die Fragen gestellt werden. Wenn jungen Menschen schon in der Schule die Gleichung Kapitalismus = Demokratie eingetrichtert wird, während in sozialistischen Ländern Demokratie ein Fremdwort ist (auch Parteien, die »demokratischen Sozialismus« als Ziel angeben, fördern dieses Vorurteil) muss man sich über 71 Prozent Zustimmung (BRD) zur »Demokratie« nicht wundern. Mehr Demokratie als im Sozialismus, also wenn der Arbeiterklasse die Betriebe gehören, kann es gar nicht geben. Aus der Umfrage eine »Große Ablehnung von bürgerlicher Demokratie« herauszulesen, wie es in der Unterüberschrift heißt, ist wohl eher Wunschdenken des Autors oder der Redaktion, weil man in der Studie nirgendwo eine Unterscheidung zwischen bürgerlicher und etwa sozialistischer Demokratie findet. Der Begriff bürgerlich kommt gar nicht vor (https://www.tui-stiftung.de/unsere-projekte/junges-europa-die-jugendstudie-der-tui-stiftung/jugendstudie-2025/). »Besorgniserregend sei auch, dass sich 66 Prozent nachts auf der Straße nicht sicher fühlten«. Wäre interessant gewesen, wie suggestiv hier gefragt wurde. Dass man sich bei Tageslicht sicherer fühlt als nachts, liegt auf der Hand.

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