Privatmann und Kirchenmann
Von Bernhard Krebs, Köln
Wenn ein Priester, vom Kardinal abgesegnet, zwei Pflegekinder bei sich aufnimmt und einem von ihnen über Jahre schwere sexuelle Gewalt antut, dann ist das Privatsache des Priesters und liegt außerhalb des Bereichs kirchlicher Verantwortung. So lässt sich die Entscheidung des Kölner Landgerichts im Fall der Schmerzensgeldklage der früheren Pflegetochter von Pfarrer Bernhard U. zusammenfassen. Das Gericht entschied am Dienstag, dass das Kölner Erzbistum für U.s Taten zu Lasten von Melanie F. nicht in der Amtshaftung stehe. Die Klage der 58jährigen auf mehr als 800.000 Euro Schmerzensgeld wurde abgewiesen. Der Priester habe »mehr oder weniger als Privatperson« gehandelt und nicht in Ausübung eines öffentlichen Amtes, sagte Richter Jörg Michael Bern. Zudem gebe es keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Erzbistums.
Ende der 1970er Jahre hatte der damals in Alfter bei Bonn tätige katholische Geistliche U. das Sorgerecht für die zwölf Jahre alte Melanie F. und einen zwei Jahre älteren Jungen übernommen, die bis dahin in einem Heim lebten. Autorisiert wurde die Übernahme des Sorgerechts vom damaligen Kölner Kardinal Joseph Höffner. Über Jahre wurde F. dann Anfang der 1980er von U. schwere sexuelle Gewalt angetan. 2022 war U. vom Landgericht wegen 110fachen, zum Teil schweren sexuellen Missbrauchs an neun Mädchen von 1993 bis 2018 zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Die Verbrechen zu Lasten von F. waren da längst verjährt. Das Erzbistum bestreitet die Taten auch nicht, will aber nicht dafür haften.
»Dabei ist ein Priester, nach kirchenrechtlicher Auffassung, immer im Dienst«, sagte Matthias Katsch, Geschäftsführer der Betroffenenorganisation Eckiger Tisch e. V., nach der Urteilsverkündung im Gespräch mit jW. Dass ein solches Urteil ausgerechnet in einer katholisch geprägten Stadt wie Köln so gefällt werden konnte, irritierte Katsch besonders. »Als wenn man ausgerechnet in dieser Stadt nicht um das besondere Amtsverständnis der katholischen Kirche wüsste«, sagte Katsch. Auch für F.s Anwalt Eberhard Luetjohann bleibt es ein Rätsel, wo bei einem katholischen Priester die Grenze zwischen Privat- und Amtsperson verläuft, was er im jW-Gespräch noch vor dem Urteil am Montag abend an einem drastischen Beispiel verdeutlichte: »U. vergewaltigt meine Mandantin auf ekelhafteste Weise in der Badewanne und nimmt ihr anschließend, noch in der Badewanne, die Beichte ab. Wo ist da der magische Moment, wo aus einer Privatperson ein Priester wird?«
Zwar ist die nicht rechtskräftige Entscheidung der 5. Zivilkammer – Berufung beim Oberlandesgericht Köln ist möglich – zunächst ein Erfolg für das Erzbistum unter Leitung von »Skandalkardinal« Rainer Maria Woelki, der schon bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt durch Priester des Erzbistums eine schlechte Figur abgegeben hatte. Doch Woelki könnte neues Ungemach drohen. Katsch und F.s Anwälte haben am 24. Juni Strafanzeige gegen Woelki wegen Prozessbetrugs erstattet. Es geht um Schreiben, die sie nur über den Umweg der Strafprozessakte U.s erlangten, und die ihnen im Zivilprozess von den Anwälten des Bistums vorenthalten worden seien. Über die Schreiben hatten vergangene Woche WDR und Kölner Stadtanzeiger berichtet.
Aus dort zitierten Briefen wird deutlich, dass sich die Bistumsspitze 1980 intensiv über U. und die Pflegekinder ausgetauscht hatte. So hatte Höffner U. mehrfach zur Bedingung gemacht, er könne die Kinder nur in Obhut nehmen, wenn er eine »geeignete Haushälterin gefunden« habe. Die Bedingung wurde von U. jedoch nie erfüllt, eine Kontrolle durch das Bistum fand nicht statt. F.s Anwälte sehen darin eine klare Verletzung der Sorgfaltspflicht durch die Kirche, die das Gericht jedoch verneinte. F. hatte sich hingegen in einem Interview mit dem WDR vor drei Jahren überzeugt gezeigt, dass eine Haushälterin den regelmäßigen Missbrauch sicherlich bemerkt hätte.
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