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Aus: Ausgabe vom 18.03.2024, Seite 10 / Feuilleton
Kunst und Kirche

Hüter der Schätze

Vor 200 Jahren starb der große Kölner Sammler Ferdinand Franz Wallraf
Von Jens Walter
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Darf es noch etwas mehr sein? Ferdinand Franz Wallraf (r.) inmitten seiner Sammlung

Ferdinand Franz Wallraf war ein Messie. In seiner Wohnung häufte er alle möglichen Sachen an, so dass kaum noch Platz für ihn selbst blieb. Johann Wolfgang von Goethe, der ihn einmal besuchte, mokierte sich: »Der chaotische Zustand ist nicht denkbar, in welchem die kostbaren Gegenstände der Natur, Kunst und des Altertums übereinander stehen, liegen, hängen und sich durcheinander umhertreiben.« Letztlich war es aber ebendieser Chaot, der die heutige Kölner Museumslandschaft begründete. Deshalb gedenkt die Stadt in diesen Wochen auch seines 200. Todestags am Montag (18. März). Im Rosenmontagszug war dem Kölner »Universaljenie« sogar ein eigener Wagen gewidmet.

Ist das Kunst, oder kann das weg? Auf diese Frage gab man in Köln Ende des 18. Jahrhunderts meist diese Antwort: kann weg. Köln war damals einfach nur hoffnungslos »out«. Die erzkatholische Stadt hatte ihre große Zeit im Mittelalter gehabt. Und beides – katholische Kirche und Mittelalter – wurde von den Intellektuellen der Aufklärung verabscheut. Die Haltung gegenüber kirchlicher Kunst war ungefähr so wie heute jene gegenüber Betonbauten der 1960er und 1970er Jahre: hässlich, abreißen. In Köln wurden damals 67 Kirchen und Kapellen abgerissen oder zu Fabrikhallen umfunktioniert. Auch den halbfertigen Dom hätte man gern wieder abgetragen, aber das ging nicht: zu groß.

Also nutzte man das Ding als Kriegsgefangenenlager, Futterspeicher und Pferdestall. Auf gemalten Stadtansichten tat man so, als gebe es ihn nicht – er fehlte einfach. Einen Kölner gab es allerdings, der anders dachte: den großen Aufbewahrer und Sammler Ferdinand Franz Wallraf (1748–1824). Er war selbst katholischer Geistlicher, aber auch ein liberaler Aufklärer und Erneuerer. »Das war ein höchst spannender Mann«, schwärmt die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner, selbst eine Kölner Institution. »Er hat sich in alles eingemischt, alles mitbestimmt. Er war ein Kämpfer für Toleranz und Freiheit. Und er muss sehr charismatisch gewesen sein.«

1794 wurde Köln von Frankreich erobert und für 20 Jahre eine französische Stadt. Unirektor Wallraf bekam den Auftrag, sämtliche Straßennamen umzubenennen. Das tat er auch, machte aus der »Kotzgasse« die »Rue des Traiteurs«, die »Straße der Feinschmecker«, aus dem »Pissgässchen« wurde die »Passage de la Bourse«, die »Börsengasse«. Um sich etwas hinzuzuverdienen, dichtete er gegen Honorar Grabinschriften. Auch den Melatenfriedhof, der heute als einer der schönsten Friedhöfe Deutschlands gilt, haben die Kölner ihm zu verdanken. »Der grundsätzliche Entwurf und auch das Eingangstor stammen von ihm«, sagt Schock-Werner im Gespräch mit der dpa.

Die katholische Kirche, der damals halb Köln gehörte, wurde von der Revolutionsregierung in Paris enteignet. Mönche und Nonnen landeten auf der Straße. Jahrhundertealte Gotteshäuser wurden dem Erdboden gleichgemacht. Dass der berühmte Kranz der zwölf romanischen Kirchen verschont blieb, war nach Recherchen von Schock-Werner vor allem Wallrafs Verdienst. Als Folge der Enteignungen gelangten nun gewaltige Mengen sakraler Kunst auf den Markt – Gemälde, Kreuze, Monstranzen und Flügelaltäre, die die Kirchen und Klöster des »heiligen Kölns« geschmückt hatten. Wollte aber kaum einer haben.

So mancher Kunstschatz verließ Köln für immer. Ein gewisser Adolf von Hüpsch kaufte in kurzer Zeit eine Kollektion zusammen, bot sie der Stadt Köln an, die abwinkte, worauf er die Sammlung nach Darmstadt verkaufte: Dort bildete sie den Grundstock für das Hessische Landesmuseum. Die Brüder Sulpiz und Melchior Boisserée verkauften ihre überaus kostbaren Tafelgemälde altdeutscher und altniederländischer Meister an den König von Bayern, aus dessen Sammlung die Alte Pinakothek in München hervorging.

Ohne Wallraf wäre Köln nicht viel geblieben. Der Mann war gut für 100 Sammler. So rettete er den »Altar der Stadtpatrone« von Stefan Lochner – heute das Prunkgemälde schlechthin im Kölner Dom. Nachdem Wallraf einmal begonnen hatte, wurde er nach eigenem Bekenntnis »kaufsüchtig« und erwarb alles, was ihm in die Hände fiel – rund 40.000 Objekte, vom versteinerten Vogelnest bis zum Peter-Paul-Rubens-Gemälde. Wie ein Drache hütete er seine Schätze, fand Goethe, der ihn bewunderte, aber auch kritisierte. Der Dichter schlug vor, die chaotische Kollektion in »Abtheilungen« geordnet in einem Museum auszustellen. So ist es auch gekommen: Wallraf ist Namensgeber des heutigen Wallraf-Richartz-Museums.

Politisch war der Wallraf ein Opportunist. Erst dichtete er Lobeshymnen auf Napoleon, dann – nach dessen Fall – Spottverse. Barbara Schock-Werner verteidigt ihn auch in diesem Punkt: »Er war ein Stadtpatriot. In jedem politischen System hat er versucht, für die Stadt das Beste herauszuholen – und das bedeutete eben auch, dass er mit den jeweils Herrschenden heulen musste.«

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