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Aus: Ausgabe vom 30.06.2025, Seite 15 / Politisches Buch
AntiMilitarismus

Das Falsche im Richtigen

Aufsehen im Debattenbetrieb: Ole Nymoens Kritik am Militarismus ist ehrenwert, bleibt aber abstrakt
Von Marc Püschel
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Arbeit am Staatsbegriff: Rekrut unterwegs auf der Hindernisbahn (Hagenow, 18.7.2018)

Die Aufregung hat sich gelegt, die Auseinandersetzung bleibt wichtig. Bereits im Juli 2024 hatte der Influencer Ole Nymoen auf Zeit online den Meinungsbeitrag »Ich, für Deutschland kämpfen? Never!« veröffentlicht. Im März dieses Jahres legte er mit dem Buch »Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde« nach und avancierte zu einer der am heftigsten angefeindeten Personen in der deutschen Öffentlichkeit. Die teils hochaggressiven Attacken, denen Nymoen bemerkenswert standhaft begegnet, verleihen seiner Kritik an der neuen deutschen Aufrüstungspolitik zusätzliches Gewicht.

Stark ist Nymoens Essay vor allem im Herausstellen der Heuchelei vieler Politiker und sonstiger Prominenter, die lautstark eine Opferbereitschaft einfordern, die sie selbst garantiert nicht werden aufbringen müssen. Dass der »gesellschaftliche Zusammenhalt« nur Phrase ist in einem Staat, in dem permanent Sozialabbau stattfindet, und die Aufrüstung zu Lasten der Arbeiter geht, sind maßgebliche Punkte seiner Kritik. Wichtig ist auch der Hinweis, dass laut Umfragen weniger als 20 Prozent der Befragten »zur Vaterlandsverteidigung bereit« sind.

Alle gleich

Mittendrin schwenkt das Buch allerdings um zu einer Kritik an Lenin, der bei Nymoen stellvertretend für alle steht, die nach ökonomischen Gründen für Kriege suchen. Über Lenins Rede über die Macht der Finanzoligarchie etwa heißt es, sie »sei fast schon verschwörungstheoretisch«. In bezug auf den Ersten Weltkrieg »blamiert sich Lenins gleichzeitig entstandene Imperialismustheorie komplett«, denn »zwischen 1914 und 1918 ging es ganz sicherlich nicht vorrangig um Kapitalprofite«. Schon mit etwas Wissen um historische Zusammenhänge lässt sich diese apodiktisch vorgetragene Einschätzung kaum aufrechthalten, wenn man etwa die Rolle der deutschen Kolonialverbände vor dem Ersten Weltkrieg untersucht, in denen Industrievertreter jahrzehntelang aggressiv für Expansion trommelten.

Doch nicht nur lässt Nymoen gerne historisches Material links liegen, auch seine Argumente sind teils haarsträubend. Unter Verweis darauf, dass die USA ökonomisch am meisten vom Ersten Weltkrieg profitierte, »folgert« er beispielsweise: »Dass der maßgebliche ökonomische Profiteur des Ersten Weltkriegs ein Staat war, der mit dem Kriegsausbruch nichts zu tun hatte, lässt Lenins Theorie der zum Krieg treibenden Profitinteressen mehr als alt erscheinen.« Das ist als Argument gegen etwaige ökonomische Interessen und Kriegsgründe der anderen Mächte jedoch ungefähr so sinnvoll wie zu behaupten, ein Kapitalist, der ein Risikogeschäft ein- und mit Verlust herausgeht, könne seine Investition nicht aus Profitgründen getätigt haben.

Die Lenin-Kritik wirkt merkwürdig deplaziert, ist aber eine Konsequenz aus Nymoens Staatsverständnis: »Staaten sind zuallererst einmal nichts weiter als Gewaltapparate.« Aus der formalen Bestimmung leitet er eine grundsätzliche Gleichheit ab: »In ihrem totalitären Anspruch – dass das Leben des einzelnen weniger gilt als die politische Souveränität der Herrschenden – sind angreifende und verteidigende, demokratische und diktatorische Staaten sich völlig gleich.« Daraus entspringt dann auch die in der Öffentlichkeit besonders heftig diskutierte These Nymoens, dass es für die in einem Staat X lebenden Menschen besser wäre, sich ohne Gegenwehr von Staat Y erobern zu lassen: »Wer das eigene Leben höher schätzt als die Frage, von wem er regiert wird, der wird genauso opportunistisch handeln; und für den kann die Kapitulation der eigenen Staatsmacht ein echter Sieg sein, da sie ihm das Leben rettet.«

Wie oberflächlich und sinnlos es aber ist, die Staaten allein nach dem formalen Kriterium des Gewaltmonopols zu beurteilen, demonstriert Nymoen selbst, indem er bei jedem Blick in die konkrete Geschichte dann doch Unterschiede feststellen muss: »Je nachdem, welcher Herrscher in das eigene Land einmarschiert, können die Konsequenzen sehr unterschiedlich sein: Heißt er Napoleon, dann können sogar Verbesserungen des eigenen Lebens und Modernisierungen des Staatswesens die Folge sein. Heißt er Hitler, dann bedeutet das grenzenlose Vernichtung. Dazwischen gibt es ein großes Spektrum an Szenarien.« Wie dieses Spektrum aber mit der postulierten Gleichheit der Staaten vermittelt sein soll, erläutert Nymoen leider nirgends. Statt dessen wird der Staat regelrecht mystifiziert und zu einem abstrakten Subjekt, das – man weiß eigentlich nicht warum – ganz grundsätzlich sein Territorium erweitern will.

Politik sinnlos?

Diese Einwände mögen beckmesserisch scheinen, sind aber von einiger Relevanz. Denn aus der anarchistischen Position, jeden Staat schon deswegen zu »verurteilen«, weil er Staat ist, und alle konkreten Ausformungen zu ignorieren, folgt letztlich nichts – wie Nymoen sogar selbst einräumt: »Aus dieser Kritik lässt sich keine realpolitische Haltung oder Strategie ableiten.« Nimmt man seine Position ernst, wäre es nicht nur sinnlos, für einen sozialistischen Staat, sondern selbst für Verbesserungen etwa innerhalb bürgerlicher Republiken zu kämpfen. Wozu noch gegen die Wiedereinführung des Wehrdienstes sein, wenn doch sowieso alle Staaten im Kriegsfall ihre Bürger ins Militär zwingen?

Entsprechend abstrakt ist der Ausblick, den Nymoen im letzten Drittel gibt. Es gebe zwar »eine Menge, wofür ich zu kämpfen bereit bin«. Doch wofür genau, bleibt wieder vage. Dem von ihm gewünschten »modernen Sozialismus« sei »am besten damit gedient, sachliche Überzeugungsarbeit für eine sinnvolle gesellschaftliche Planung zu leisten, statt mit weltfremden Phantasien eines gewalttätigen Umsturzes aufzuwarten«. Dazwischen scheint es nichts zu geben.

Nymoen kommt das Verdienst zu, inmitten der Propaganda für Aufrüstung und Militarisierung eine Verweigerungshaltung prominent gemacht zu haben. Doch die völlige Aufgabe jeglicher inhaltlicher Bewertung von Staaten und das Ignorieren ihrer konkreten sozioökonomischen und politischen Verfasstheit führt am Ende nur zu einer Form der Hyperpolitik, in der mit besonders radikal erscheinenden Thesen im Debattenbetrieb für Aufsehen gesorgt wird.

Ole Nymoen: Warum ich niemals für mein Land kämpfen würde. Gegen die Kriegstüchtigkeit. Rowohlt, Hamburg 2025, 144 Seiten, 16 Euro

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