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Aus: Ausgabe vom 28.06.2025, Seite 4 / Inland
Aussetzung des Familiennachzugs

Große Koalition gegen Geflüchtete

Bundestag: Union, SPD und AfD stimmen für Aussetzung des Familiennachzugs
Von Kristian Stemmler
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Berlin: Demonstration vor dem Reichstag für den Familiennachzug subsidiär Schutzberechtigter (26.6.2025)

Die »schwarz-rote« Regierungskoalition treibt die Verschärfung ihrer Migrationspolitik weiter voran. Eine Maßnahme ihrer asylpolitischen Agenda hat sie am Freitag im Parlament durchgesetzt. Mit großer Mehrheit – 444 Jastimmen zu 133 Neinstimmen – beschloss der Bundestag die Aussetzung des Familiennachzugs für zwei Jahre. Neben CDU/CSU und SPD stimmte auch die AfD für den Gesetzentwurf. Betroffen von der Aussetzung sind Familienangehörige von sogenannten subsidiär Schutzberechtigten, also Geflüchtete, die weder im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention noch als Asylberechtigte anerkannt werden, aber aus anderen Gründen bleiben dürfen. Der Nachzug für diese war – anders als für andere anerkannte Flüchtlinge – zuletzt schon auf 1.000 Angehörige pro Monat beschränkt gewesen. Künftig sollen subsidiär Schutzberechtigte nur noch in sogenannten Härtefällen Angehörige nachholen dürfen. Das meldete dpa am Freitag. Wie es im Gesetzentwurf heißt, seien vergangenes Jahr rund 12.000 Visa über den Familiennachzug ausgestellt worden, im laufenden Jahr bisher knapp 6.000.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) erklärte, mit der Aussetzung des Nachzugs setze die Koalition »die migrationspolitische Überschrift für diese Legislaturperiode«. Zum wiederholten Mal behauptete der Minister, Deutschland bleibe ein »weltoffenes Land«, man müsse die »illegale Migration« aber begrenzen, weil »die Belastbarkeit unserer Sozialsysteme« eine Grenze habe. Zudem werde mit der Aussetzung des Nachzugs »ein Geschäftsmodell der kriminellen Banden« zerschlagen. Dies laute: Es muss nur einer nach Deutschland schaffen, dann kann die ganze Familie nachziehen, so Dobrindt. Seine Rede wurde von diversen Zwischenrufen aus den Reihen der Opposition flankiert.

Von der kam heftige Kritik am Gesetz. Die fluchtpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Clara Bünger, sprach von »grausamer Symbolpolitik auf dem Rücken der Schwächsten« und warf Dobrindt »Abschottungsphantasien« vor. Der Familiennachzug sei eine der letzten legalen Möglichkeiten, überhaupt noch Schutz in Deutschland zu finden. Wer diesen Weg versperre, zwinge Familien »auf Fluchtrouten, die tödlicher und gefährlicher denn je sind«, so Bünger. Die geplante Härtefallregelung werde »kaum jemandem helfen«. An den Problemen der Kommunen sei die »neoliberale Sparpolitik« schuld, nicht die Geflüchteten.

Marcel Emmerich (Grüne) warf Union und SPD einen »Angriff auf das Herzstück jeder Gesellschaft« vor, auf die Familie. Das Gesetz bedeute Leid für »Tausende von Kindern, die ihre Eltern nicht sehen können« und für Ehepartner, »die sich nur über Bildschirme begrüßen können«. Die Aussetzung des Nachzugs sei »verantwortungslos und unbarmherzig« sowie ein »integrationspolitischer Irrweg«.

Die AfD-Fraktion stimmte zwar für den Koalitionsentwurf, aber auch sie beklagte »Symbolpolitik«, wenn auch von einem der Linkspartei und den Grünen entgegengesetzten Standpunkt. Der AfD-Abgeordnete Christian Wirth sprach von einem richtigen Schritt, »der aber nicht ausreicht«, und von einer Notoperation an einem Symptom. Der Gesetzentwurf sei »symbolische Migra­tionspolitik im Kleinformat«.

In einer Stellungnahme kritisierte Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl, den Bundestagsbeschluss als »Bruch mit humanitären Werten und dem Grundrecht auf Familie«. Das Gesetz bedeute für die Betroffenen »eine faktische Trennung für mehrere Jahre« – obwohl viele von ihnen bereits seit Jahren auf ein Wiedersehen mit ihren Kindern, Partnern, Geschwistern oder Eltern warten würden.

In erster Lesung befasste sich der Bundestag am Freitag außerdem mit einem Gesetzentwurf, mit dem die von der Ampelkoalition eingeführte Möglichkeit einer Einbürgerung nach drei Jahren – von der Union als »Turboeinbürgerung« bezeichnet – wieder abgeschafft werden soll. Für die Einbürgerung soll künftig generell eine Voraufenthaltszeit von mindestens fünf Jahren zugrunde gelegt werden. Innerhalb der verkürzten Frist erhielten einer Umfrage von dpa zufolge nur einige hundert Personen den deutschen Pass.

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