Steinkauz Aus der Provinz. Von Jürgen Roth
Von Jürgen Roth
Der Große Malaka war schweigsam. »Was ist los?« fragte ich ihn. »Weißt du«, er schnaufte, »ich gehen da, ich gehen hier.« Er machte eine Pause. Er hatte die zwei Schrottlokale gemeint, in denen er den Tag verbringt. Er zog an der Zigarette. »Ohne arbeiten alles scheiße. Rente nix gut.«
»Langweilst du dich?« fragte ich ihn. »Ja. Nur Rente: scheiße. Will ich arbeiten. Sonst alles langweilig. Katastrophe alles. Ganze Leben scheiße.«
Der Himmel lief mählich tintenblau an. Demnächst würde es krachen. Ein Laster der Spedition Dotterweich fuhr vorbei.
Neben Eckhard Henscheid hat mich kein deutscher Künstler stärker beeindruckt und vielleicht auch geprägt als Gerhard Polt. Ich musste sofort an das kurze Stück »Tonis Tristesse« von der Platte »d’ Anni hat g’sagt …« (1979) denken. In der Dokumentation »Der Mensch ist ein Viech, was lacht – Gerhard Polt und seine Welt des Humors« (BR 2022) improvisiert er die Nummer noch einmal: »Weißt du, weißt du, Gerhard, hab’ ich ärrlebbt im Lebben viell, hab’ ich viell ärrlebbt. Hab’ ich ärrlebbt, pass auf: Hab’ ich ärrlebbt Revolution, drreimall Revolution, drreimall, dann hab’ ich ärrlebbt Erstes Weltkrieg, Zweite Weltkrieg und, äh, Biergerkrieg. Oft Biergerkrieg! Autounfall hab’ ich ärrlebbt, sag’ ich dir: dreißig, vierzig, fünfzig Mall. (…) Und dann hab’ ich ärrlebbt Betrug und, wie sagt man? Schlagerei! (…) Aber ich sag’ dir, Gerhard: Manchmal trotzdem im Lebben is’ stinklangweilig.«
Andererseits wäre eventuell eine grundgesetzlich verankerte Pflicht zur langen Weile – dem Großen Malaka zum Tort – ein Antidot gegen basal blödsinnige Tätigkeiten, gegen all die »Bullshitjobs«, gegen die »Lüge von der Arbeit« (David Graeber), die man in der Klapsmühle des Kapitalismus installiert und internalisiert hat.
Auf dem Kernfrankenfest ein paar Tage später, das unter den abscheulichen Mottos »Acht Kommunen, ein Gedanke« und »Miteinander, gemeinsam« und unter Zuhilfenahme diverser Blaskapellen und Tanzgruppierungen und »kulinarischer Angebote« (Motto Nummer drei: »Ein Fest für alle Sinne«) sowie von »viel Nähe, Herz und Engagement« (Amtsblatt) abgefackelt wurde und bei dem mein alter Freund Gilles aus Brüssel zugegen war, erzählte Ludwig, der Bernd vom Vogelschutzverein habe ihn gebeten, einen Steinkauznistkasten an einem seiner Obstbäume hinten bei der Augustana aufhängen zu dürfen. Denn es habe sich zugetragen, dass die Gemeinde die Hochstämme auf der Wiese nebenan geschnitten und dabei nicht bloß derart pervers zugerichtet habe, dass sie nun aussähen wie abstrakte Skulpturen, in denen sich womöglich die Verkrüppelung der menschlichen Seele durch den Krieg ausdrücken solle, sondern auch einen dicken Ast abgesägt habe, an dem der Steinkauzkasten angebracht gewesen sei.
Ludwig war, so kenne ich ihn gar nicht, sauer. »Ich geh’ zum Rathaus«, schnaubte er, »und fordere, dass die Gemeindearbeiter einen Grundkurs in Baumschnitt belegen! Und der Schmoll zahlt den!«
Ein weiteres Ärgernis belastete Ludwigs Leber, die ohnehin gerade mit einer Haxe und zwei Schnäpsen beschäftigt war. »Jürgen«, grummelte er, »du bist Sprachwissenschaftler. Mir scheißen dauernd die Hunde in den Vorgarten. Ich erteile dir hiermit den Auftrag, Synonyme für Hundescheiße zu sammeln, und dann stelle ich vor meinem Haus Schilder auf, die sich gewaschen haben!«
Ich bin, so arbeiten Sprachwissenschaftler, ins Netz marschiert. Viel fand ich nicht: »-haufen«, »-dreck«, »-kot«, »-kacke«. Und »Tretmine« sowie, auf die Österreicher ist Verlass, »Hundstrümmerl«.
Meine Vorschläge für die Beschilderung wären: »Hundehaufen, hau ab!« – »Hundedreck, verreck!« – »Tod dem Hundekot!« – »Hier haut niemand auf die Hundekacke!« Oder vielleicht eher: »Tretminen sind unerwünscht!« und: »Nehma S’ halt des Hundstrümmerl in aam Sackerl mit nach Hause! Firma dankt.«
So dürfte Frieden einkehren.
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