Gegründet 1947 Sa. / So., 28. / 29. Juni 2025, Nr. 147
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 27.06.2025, Seite 6 / Ausland
Kolumbien

Friedenspolitik unter Druck

Kolumbien: Eskalation der Gewalt untergräbt Bemühungen der Regierung
Von Sara Meyer, Bogotá
imago823015779.jpg
Von der Armee befreit: 57 Soldaten waren gefangen gehalten worden (El Tambo, 22.6.2025)

Die Gewalt im kolumbianischen Bundesstaat Cauca hat in den vergangenen Wochen erneut dramatisch zugenommen. In der seit Jahrzehnten vom bewaffneten Konflikt geprägten Region mehren sich Angriffe, Drohungen und Gefechte. Einen Höhepunkt erreichte die Eskalation am Montag, als das kolumbianische Militär 57 Soldaten befreite, die zuvor in der Gemeinde El Tambo von Zivilisten festgesetzt worden waren – laut Behörden unter Zwang der FARC-Abspaltung »Carlos Patiño«, die in der Region aktiv ist. Verteidigungsminister Pedro Sánchez erklärte nach dem Einsatz, dass bei der Befreiung der Soldaten »kein einziger Schuss« gefallen sei.

Mauricio Capaz, Menschenrechtskoordinator der Guardia Indígena (Indigene Wache) in Cauca, beschreibt die Situation gegenüber jW als zunehmend gefährlich – vor allem für die Bevölkerung: »Trotz des Friedensabkommens von 2016 fordert der bewaffnete Konflikt weiterhin Menschenleben, besonders auf dem Land. Jetzt trifft es auch Gebiete in Stadtnähe, weil die bewaffneten Gruppen strategisch Polizeieinheiten angreifen, die mitten in der Zivilgesellschaft stationiert sind.«

»Wir sehen eine enorme militärische Kapazität und hohe Truppenstärke bei den FARC-Abspaltungen ›Dagoberto Ramos‹, ›Jaime Martínez‹ und ›Carlos Patiño‹ – und gleichzeitig eine Unfähigkeit der staatlichen Sicherheitskräfte, vorhersehbare Angriffe zu verhindern«, sagt Capaz. »Diese Attacken kamen nicht überraschend – die Tage, an denen sie stattfanden, haben symbolische Bedeutung, da es sich um die Jahrestage der Ermordung früherer FARC-Kommandanten handelt. Dennoch blieb eine wirksame staatliche Reaktion aus.«

Die indigenen Gemeinschaften versuchen, mit eigenen Mitteln gegenzusteuern: Die Guardia Indígena betreibt Frühwarnsysteme, steht im Austausch mit humanitären Organisationen und engagiert sich für gewaltfreie Prävention. Doch die Grenzen dieser Maßnahmen seien angesichts der Lage offensichtlich. Besonders besorgniserregend ist für Capaz die Rekrutierung Minderjähriger durch bewaffnete Gruppen.

Die jüngste Eskalation fällt in eine kritische Phase des Friedensprozesses unter Präsident Gustavo Petro. Mit der Gesetzesinitiative »Paz Total« (Totaler Frieden) verfolgt seine Regierung einen umfassenden Ansatz, der den Dialog mit verschiedenen bewaffneten Gruppen einschließt. Doch ein aktueller Bericht der Stiftung Pares zieht nach drei Jahren eine ernüchternde Bilanz. Demnach seien die Fortschritte bei der Umsetzung des »Paz Total« nur marginal, insbesondere in den ländlichen Regionen. In vielen Gebieten wie Cauca sei die territoriale Kontrolle durch bewaffnete Gruppen weiter intakt oder sogar gewachsen. Zwischen Januar und Mai 2025 registrierte man 603 gewaltsame Vorfälle – ein Anstieg von neun Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.

Laut Capaz wird die Gewalt auch politisch instrumentalisiert: »Ich glaube nicht, dass die Eskalation in Cauca direkt mit dem Attentat auf Miguel Uribe (rechter Präsidentschaftskandidat, jW) vor zwei Wochen zusammenhängt. Aber die kolumbianische Rechte will Instabilität schaffen – vor allem mit Blick auf die kommenden Wahlen und die beabsichtigten Reformen der aktuellen Regierung. Gewalt wird genutzt, um Angst zu erzeugen und Wahlen zu gewinnen.«

Er betont, dass der strukturelle Wandel in seiner Region bislang ausgeblieben sei: »In Cauca gab es Gewalt unter rechten Regierungen und jetzt auch unter der ersten progressiven. Bisher hat man es nicht geschafft, den bewaffneten Gruppen die Kontrolle über die Territorien zu entziehen.« Die »Indigene Wache« ruft unterdessen zur Ruhe auf. »Wir als Guardia Indígena werden weiterhin für den Schutz unserer Gemeinden eintreten – ohne Waffen.«

Derweil reagierte die kolumbianische Übergangsjustiz auf die Lage: Die Sondergerichtsbarkeit für den Frieden ordnete im Juni erstmals kollektive Schutzmaßnahmen für indigene und afrokolumbianische Gemeinschaften in Cauca und im Valle del Cauca an. Sie sieht in der aktuellen Gewaltdynamik eine Bedrohung für kollektive Rechte und territoriale Autonomie – ein juristischer Präzedenzfall.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Ein Ort zum Spielen sieht anders aus (Caldono in der Region Cauc...
    13.01.2025

    Kindersoldaten weiter Thema

    Kolumbien: Besonders Indigene und Afrokolumbianer sind von Rekrutierung betroffen
  • Trotz Waffenstillstands kostete in Cauca eine Autobombe einen Po...
    24.08.2023

    Wahlkampf mit Militär

    Kolumbien: Trotz Waffenstillstands kommt Cauca nicht zur Ruhe. Präsident will Militär in seine Unterstützerhochburg entsenden

Regio:

Mehr aus: Ausland