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Aus: Ausgabe vom 27.06.2025, Seite 5 / Inland
Bahnsanierung

Vom Zug zum Bus

DB-Konzern will »Generalsanierung« erst 2035 abgeschlossen haben. Kritiker nennen Konzept überteuert, umweltschädlich und kundenfeindlich
Von Ralf Wurzbacher
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Kein Anschluss auf diesem Gleis: Ein ICE fährt ohne Halt durch den Bahnhof Ludwigslust

Das Schönreden von Pleiten beherrscht die Deutsche Bahn (DB) aus dem Effeff. »Für mehr Qualität und Pünktlichkeit im Zugverkehr treibt die DB InfraGO ihre Planungen für die Korridorsanierung auf hochbelasteten Streckenabschnitten weiter voran«, verbreitete am Mittwoch der Staatskonzern. Viel weiter unten in der Mitteilung folgt der Pferdefuß: Die sogenannte Generalsanierung zur Ertüchtigung des maroden Schienennetzes wird länger dauern – nicht bis 2031, sondern bis 2035. Wobei auch das nur eine vage Zielstellung ist, die mit den beteiligten Verkehrsunternehmen und -verbänden erst noch zu besprechen sein wird. Den Anfang machte ein »Branchenforum« Mitte der Woche, bei einem weiteren Treffen im Juli soll es konkreter werden.

»Jetzt also will die Bahn statt in sechs erst in zehn Jahren fertig werden. Also wieder mal eine Verspätung, vermutlich wegen einer Störung im Betriebsablauf des DB-Vorstands«, ätzte am Donnerstag Carl Waßmuth vom Bündnis »Bahn für alle«. Dort hält man wie bei anderen Bahn- und Fahrgastverbänden den Ansatz ohnedies für irrwitzig. »Statt wie seit 150 Jahren üblich und erfolgreich erst eine Spur zu sanieren und dann die andere, sperrt die DB für sechs, neun, zwölf Monate komplett.« Das Konzept sei »hochgradig fahrgastfeindlich«, bemerkte er gegenüber junge Welt. »Wir fürchten, wenn das auf den 40 wichtigsten Strecken gemacht wird, bleibt niemand mehr, der noch damit rechnet, dass Züge fahren, wenn man zu einem Bahnhof geht.«

Stillstand herrscht demnächst auf der Verbindung Hamburg–Berlin. Vom 1. August bis 30. April 2026 wird zwischen den beiden größten Städten Deutschlands auf der fast 280 Kilometer langen Hauptlinie keine Eisenbahn verkehren. Im Fernverkehr wird das Angebot halbiert, ICEs werden über Stendal und Uelzen umgeleitet und rund 45 Minuten länger unterwegs sein. Ganz hart trifft es Nutzer des Regionalverkehrs, die auf Busse umsteigen müssen. Eine Fahrt von Wittenberge in die Hauptstadt könne mithin drei Stunden und 40 Minuten dauern, schrieb jüngst die Berliner Zeitung. Heute sind es im Nahverkehr 90 Minuten. Das bedeutet: Zu einem Acht-Stunden-Arbeitstag kommen noch einmal bis zu acht Stunden An- und Rückfahrt. Presseberichten zufolge sollen manche Pendler aus der Prignitz bereits mit dem Gedanken spielen, ihren Job hinzuschmeißen. Viel Geduld müssen bald auch die Anrainer der Hochrheinbahn zwischen Basel und Bodensee aufbringen. Die Strecke wird unter Vollsperrung ab April 2026 erneuert und elektrifiziert – mindestens 13 Monate lang.

Die Bahn verweist auf die »geglückte« Ertüchtigung der sogenannten Riedbahn zwischen Mannheim und Frankfurt (Main), die den Auftakt ihres Projekts »Generalsanierung Hochleistungsnetz« bildete. Am Mittwoch zitierte Tagesschau.de Christian Böttger, Bahnexperte von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin. »Das Hauptziel ›Pünktlichkeit‹ hat man verfehlt, aber dafür ist es dreimal so teuer geworden. Also die ganz große Erfolgsgeschichte sehe ich da nicht.« Auf die restlichen fast 40 Vorhaben schaut er skeptisch. Die Eisenbahnbauwirtschaft sei über Jahre zusammengeschrumpft, freie Kapazitäten gebe es kaum. »Verantwortlich dafür ist auch der lang andauernde Sparkurs von Bahn und Bundesregierung«, so Böttger. Soll heißen: Der plötzliche Nachfrageschub überfordert die Branche und sorgt für exorbitante Kosten. Die Riedbahn-Sanierung war ursprünglich mit einer halben Milliarde Euro veranschlagt, am Ende waren es 1,5 Milliarden Euro.

»Es ist unvorstellbar, dass hierzulande Autobahnen für mehrere Monate komplett dichtgemacht werden, aber bei der Bahn wird das gegen die Interessen der Kundschaft einfach durchgezogen«, äußerte Heiner Monheim, Sprecher von »Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene«. Wie er jW sagte, müsse die Lehre aus den Fehlern mit der Riedbahn sein, »kleinteiliger und flächendeckend« zu modernisieren. Dazu brauche es »minimalinvasive Formen von Sanierungen, bei denen nicht alles weggeworfen wird, was vor noch nicht langer Zeit erst erneuert wurde, vor allem deutlich mehr Weichen in den Systemen«. Denn »jeder Pendler, der aufs Auto umsteigt, schadet der Umwelt«, so Monheim. Die anderen landen im Bus. Stand 2024 hat sich der Umfang der Ersatzverkehre seit 2019 auf rund 2.300 Fahrten am Tag verdoppelt.

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