»So niedrig kann man die Leute nicht bezahlen!«
Interview: Marc Bebenroth
Seit 2023 gehört die in der DDR aufgebaute Fleischwarenfabrik im brandenburgischen Britz der Zur-Mühlen-Gruppe, die wiederum Teil des Tönnies-Konzerns ist. Mit der Übernahme des Traditionsbetriebs endete die Tarifbindung. Weshalb sind die Verhandlungen jetzt »an einem toten Punkt« angelangt, wie die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten am Montag mitgeteilt hat?
Die jetzige GmbH ist von der Zur-Mühlen-Gruppe quasi neu gegründet worden. In solchen Fällen hört regulär die Tarifbindung auf. Die Leute haben jetzt im Grunde das, was im letzten Tarifvertrag festgehalten wurde. Wer neu eingestellt wird, hat dagegen weniger Urlaub, bekommt im Zweifelsfall weniger Geld. Die Arbeitgeber haben uns relativ lange kein konkretes Angebot zur Lohnhöhe gemacht. Wir haben sehr intensiv darüber verhandelt, wie die Lohngruppen aussehen sollen, welche Tätigkeiten in welche Lohngruppe fallen und wie sie bewertet werden. Wir hatten uns in anderen Punkten durchaus geeinigt. Nun wurde deutlich, dass dem Arbeitgeber ein Lohnniveau vorschwebt, über das wir nicht verhandeln werden.
Nämlich?
Wenige Cent über Mindestlohn. Dann sollten noch Besitzstände entstehen, eine Art Hypothek auf die nächste Lohnerhöhung. Die unterste Lohngruppe sollte erst mal 12,82 Euro und dann nach einem Monat 12,92 Euro bekommen. Das ist ein substantieller Teil der Belegschaft. Größere Gruppen, die jetzt 14,33 Euro bekommen, würden in die neue Lohngruppe mit 13,76 rutschen. Die letzte Lohnerhöhung kam im Februar 2024. Die Leute brauchen jetzt mehr Geld!
Die NGG hat noch am Montag für 13 Uhr zum Ausstand aufgerufen. Wie hoch schätzen Sie die Streikbereitschaft der mehr als 500 Arbeiterinnen und Arbeiter ein?
Bei dem, was uns vorgelegt wurde, gibt es keine Alternative, als das mit einem Arbeitskampf zu beantworten. Der Aufruf hat sich zunächst an die Spätschicht gerichtet. Das sind insgesamt schätzungsweise 180 bis 200 Leute. Wir hatten mal eine Umfrage vor dem Werkstor gemacht. Die Leute sollten sagen, was sie vom Angebot des Arbeitgebers halten. Die überwältigende Mehrheit sagte uns: Es reicht überhaupt nicht, wir sollen weitermachen. Wem der Aufruf etwas zu kurzfristig kam, wird sicherlich noch mal Gelegenheit haben, zu streiken.
Unter welchen Bedingungen werden die Wurst- und Fleischwaren unter anderem der Marke »Eberswalder« produziert?
Es gibt verschiedene Abteilungen, je nach Art der Wurst, zum Beispiel eine für Brühwurst. Dann gibt es eine eigene Technikabteilung, Verpackung und Verwaltung. Das greift alles ineinander. Das ist ein großes Fleischwerk. Die Arbeit in der Produktion findet aus hygienischen Gründen bei niedrigen Temperaturen statt, bei künstlichem Licht, und es ist recht laut. Das ist körperlich fordernd und braucht ein großes Maß an Geschicklichkeit, wenn Sie bei einer hohen Geschwindigkeit und einer gewissen Schlagzahl – die zunächst von den Maschinen vorgegeben wird – permanent Wurst füllen müssen. Das alles im Zweischichtsystem und manchmal mit angehängten Samstagschichten. Diese harte Arbeit verdient Respekt und muss entsprechend vergütet werden!
In Ihrer Mitteilung sprechen Sie, ebenso wie das Management, von dringendem Investitionsbedarf. Was muss gemacht werden?
Es gibt Stellen, wo Maschinen vielleicht ans Ende ihrer Lebenszeit gekommen sind. Eine Kälteanlage, die saniert werden muss, und solche Dinge. Für den Arbeitgeber war im Zuge der Übernahme in keiner Weise überraschend, dass in den vergangenen Jahren in das Werk relativ wenig investiert worden war. Die Vorstellung, dass wir jetzt absolute Niedrigstlöhne an der Schwelle zum Mindestlohn akzeptieren müssen, bis diese Investitionen alle abgezahlt sind und sich amortisiert haben – das funktioniert nicht. So niedrig kann man die Leute nicht bezahlen!
Welche Lohnhöhe ist in der Region in der Branche üblich?
Ungefähr eine Stunde vom Britzer Werk entfernt befindet sich westlich von Spandau ein anderer Betrieb mit anderem Eigentümer. Dort liegen wir bei über 15 Euro – für dieselben Tätigkeiten. Die Zur-Mühlen-Gruppe ist ein Gigant in der Wurstwarenproduktion, ein voll konsolidierter Konzern. Da haben wir also ein Milliardenunternehmen mit viel, viel Geld.
Veit Groß ist Sekretär der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) für Betriebe der Fleisch- und Wurstwarenindustrie in Berlin und Brandenburg
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