Gegen Kasernenhofruhe
Von Verlag, Redaktion und Genossenschaft
Noch niemals seit dem Zweiten Weltkrieg war die Gefahr einer weltweiten kriegerischen Eskalation, eines erneuten Weltkrieges, so groß wie heute. Die Ostexpansion der NATO hat die Sicherheitsgarantien, die sich im und seit dem Kalten Krieg entwickelt haben, hinweggefegt. Bislang 18 EU-Sanktionsrunden konnten zwar Russland nicht empfindlich treffen, dafür aber die eigene Wirtschaft. Regionalkonflikte flammen allerorten auf. Ein Eintritt der USA an der Seite Israels im völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Iran hat das Potential, auch diese Weltregion in Chaos und Vernichtung zu stürzen. Bis 2029, so das neue Mantra der Herrschenden in Deutschland, müssen »wir« zum Krieg gegen Russland bereit sein. Und gleichzeitig wird der entscheidende Schlag gegen die Volksrepublik China vorbereitet. Die Bevölkerung Deutschlands, die Grund genug hat, um ihre Zukunft besorgt zu sein, wird mit wahnwitziger militaristischer Propaganda eingedeckt. Dieses System hat keine andere Antwort mehr auf irgendeine Frage der Zukunft. Die politische Debatte ist auf Kalibergrößen und militärische Kennzahlen verzwergt. Diese Entwicklung entspricht dem offensichtlichen Verfall des westlich geprägten imperialistischen Systems, das nnur durch militärische Aggression seine Existenz sichern kann.
Kurzum, die Zeit ist überreif für eine starke Friedensbewegung. Ihre Schwäche ist politisch gewollt, die Verunmöglichung jeder Diskussion über angeblich alternativlose Hochrüstung und Kriegsvorbereitung entspricht den Interessen der Herrschenden. Wenn sich dann – spät, sehr spät – führende Sozialdemokraten aus der Deckung wagen und ihre Stimme für Diplomatie, für Verhandlungen und gegen stumpfen Rüstungswahn erheben, folgen die üblichen bedingten Reflexe. »Als hätte es Putin mitgeschrieben«, donnert Bild den Mitgliedern dieser (Mit-)Regierungspartei entgegen, die das SPD-»Manifest« unterzeichnet haben. Bei dem Papier handele »es sich in Wahrheit um ein zynisches Putin-Versteher-Manifest«, sekundiert die Taz. Der Botschafter der Ukraine, dem Deutungshoheit über die deutsche Innenpolitik zugestanden wird, nennt das »Kapitulationsmanifest« einen »moralpolitischen Tiefpunkt«.
Was fordern die Unterzeichner, darunter linke Sozialdemokraten aus der Bundes- und Landespolitik? Auch sie sprechen von »notwendiger Verteidigungsfähigkeit«, sind also nicht gegen Aufrüstung. Doch sie fordern, dies »mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik« zu verknüpfen, um »gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen«. Die Verfasser erwähnen die KSZE-Schlussakte von Helsinki 1975 als einen »Höhepunkt dieses Zusammendenkens von Verteidigungs- und Abrüstungspolitik, das in Europa jahrzehntelang Frieden gesichert hat«, und fordern die »Rückkehr zu einer kooperativen Sicherheitsordnung« nach diesen Prinzipien. Unter anderem sprechen sie sich gegen die »Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland« aus, die Deutschland »zum Angriffsziel der ersten Stunde« machen würde. Das ist weder revolutionär noch pazifistisch, sondern seit Jahrzehnten Stimmung in weiten Teilen der SPD-Basis wie auch der Gewerkschaften. Heutzutage grenzt es offenkundig bereits an Hoch- und Landesverrat.
Die Tageszeitung junge Welt versteht sich traditionell als Zeitung gegen Krieg, als Zeitung für den Frieden. Wir, Redaktion, Verlag und Genossenschaft der jW, begrüßen, dass mittels des SPD-»Manifests« eine gesellschaftliche Debatte über die reale Kriegsgefahr befördert werden konnte, auch wenn das Papier längst nicht ausreicht. Es ist aber ein wichtiges Signal, gerade auch in die Gewerkschaften hinein, in der so friedenspolitische Debatten befördert werden. Es spricht diejenigen Anhänger der Sozialdemokratie an, die ihre Vernunft in wirren und brandgefährlichen Zeiten nicht vollständig aufgegeben haben. Natürlich, die SPD-Funktionäre haben durchaus eigene Motive. Ralf Stegner, einer der bekannteren Unterzeichner, hat dies eingeräumt; die SPD drohe unter die Zehnprozentmarke zu fallen, wenn die Sorgen der Bevölkerung nicht ernstgenommen würden. Es geht also auch um die zukünftige Rolle der Partei, um ihre Daseinsberechtigung im Parlamentarismus.
Kritik an der SPD ist also keineswegs überflüssig, im Gegenteil. Die Partei bleibt Mehrheitsbeschafferin einer Kriegskoalition und stellt mit dem Waffennarren Boris Pistorius eine zentrale Figur der Rüstungshetze. Darüber in der gebotenen Schärfe zu berichten ist Aufgabe der jungen Welt. Doch ohne Sozialdemokraten, ohne die Mitglieder der sozialdemokratisch geprägten Gewerkschaften wird es nichts werden mit einer wirksamen Friedensbewegung. An der »Dritten Gewerkschaftskonferenz für den Frieden« am 11. Juli werden neben nicht parteilich organisierten Gewerkschaftern auch Kommunisten und Mitglieder und Anhänger der Linkspartei wie auch der SPD teilnehmen. In solchen Formaten können und müssen Gemeinsamkeiten an der Basis gefunden werden.
Die junge Welt wird diese Debatten als dem Frieden verpflichtetes Medium begleiten und – in der Zeitung, aber auch auf der nächsten Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar 2026 – fortsetzen. Zu dieser notwendigen Diskussion laden wir auch und gerade linke Sozialdemokraten und Gewerkschafter ein.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- IMAGO/Metodi Popow20.06.2025
»Es gibt eine Hegemonie der Aufrüstungsbefürworter«
- Frank Hammerschmidt/dpa20.06.2025
Ein Auftakt
- Joshua Regitz/jW13.01.2025
»Eine Bedrohung für uns alle«