Ein Auftakt
Von Arnold Schölzel
Am 11. Juni veröffentlichten etwa 100 SPD-Mitglieder ein »Manifest« unter dem Titel »Friedenssicherung in Europa durch Verteidigungsfähigkeit, Rüstungskontrolle und Verständigung«. Unter den ersten Unterzeichnern sind mehrere frühere Bundes- und Landesminister wie Norbert Walter-Borjans, Gernot Erler, Klaus von Dohnanyi, Matthias Platzeck, Reinhard Klimmt, Hans Eichel, Carsten Sieling und Julian Nida-Rümelin. Von den gegenwärtigen SPD-Bundestagsabgeordneten sind Ralf Stegner, Rolf Mützenich, Nina Scheer, Maja Wallstein und Sanae Abdi dabei. Unterschrieben hat auch der Ehrenpräsident des Club of Rome Ernst Ulrich von Weizsäcker.
Die Autoren fordern in dem Papier in drei Punkten eine andere Politik gegenüber Russland: Weniger Rüstung im Westen bei »Herstellung einer eigenständigen Verteidigungsfähigkeit der europäischen Staaten unabhängig von den USA«, Verhandlungen über Abrüstung in Europa sowie »keine Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland«. Leitende Idee ist eine erstmals von der Sowjetunion in den 30er Jahren vorgeschlagene Idee. Die Verfasser schreiben: »Wir sind davon überzeugt, dass das Konzept der gemeinsamen Sicherheit der einzige verantwortungsbewusste Weg ist, über alle ideologischen Unterschiede und Interessengegensätze hinweg Krieg durch Konfrontation und Hochrüstung zu verhindern.« John F. Kennedy und Willy Brandt hätten in den 60er Jahren »die richtigen Konsequenzen aus der in der Kuba-Krise offensichtlich gewordenen gefährlichen Perspektivlosigkeit« der »Rüstungsspirale« gezogen und an die Stelle von Konfrontation und Hochrüstung »Gespräche und Verhandlungen über Sicherheit durch Kooperation, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung« gesetzt. Höhepunkt sei die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki im Rahmen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) am 1. August vor 50 Jahren gewesen.
Vehemente Ablehnung
In der Tat liegen dem »Manifest« ähnliche Vorstellungen wie der von Willy Brandt und Egon Bahr in den 60er Jahren entworfenen »Neuen Ostpolitik« zugrunde. Bahr hatte das Konzept 1963 auf die Formel »Wandel durch Annäherung« gebracht. Vehement ablehnende Reaktionen vor allem aus konservativen Kreisen ähnelten damals den heutigen, gegenwärtig kommen allerdings Bellizisten in der SPD und in Bündnis 90/Die Grünen hinzu. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius diagnostizierte »Realitätsverweigerung«, Russland wolle keinen Frieden. Die grüne Fraktionsvizechefin Agnieszka Brugger erklärte gegenüber AFP, der Aufruf zu Abrüstung und Dialog mit Russland sei »leider Wunschdenken, denn ein solcher Kurs führt leider gerade nicht dazu, dass ein skrupelloser Imperialist die Gewalt beendet«. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) reagierte indirekt mit: »Russland ist eine Bedrohung für die Sicherheit der gesamten NATO.« Deswegen sei eine langfristige Aufrüstung nötig.
Friedensbewegung belebt
Zustimmung kam aus der Partei Die Linke, dem BSW und der AfD. Der Linke-Kovorsitzende Jan van Aken stellte sich in der ZDF-Sendung »Markus Lanz« am 12. Juni hinter die Forderungen des »Manifests«: Es sei »nie falsch, auch mal 50 Jahre nach vorne zu denken.« Dass vertrauensbildende Maßnahmen »jetzt noch gar nicht denkbar« seien, wisse »ein Mützenich von der SPD genauso wie ich«. Zugleich räumte er ein, dass man amerikanische Raketen »mit guten Gründen« auf deutschem Boden stationieren könne. Auch Russland lagere Mittelstreckenraketen in Kaliningrad. Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht schlug den »Manifest«-Autoren in den Medien der Funke-Gruppe vor: »Es wäre gut, wenn alle Kräfte in Deutschland, die den Kriegskurs von Merz und Klingbeil für brandgefährlich halten, jetzt ohne Vorbehalte zusammenarbeiten und sich gemeinsam um die Reaktivierung einer starken Friedensbewegung bemühen.« Das BSW sei »zu einer solchen Zusammenarbeit gern bereit«. Der außenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Markus Frohnmaier, sprach gegenüber der Nachrichtenagentur AFP von einem »Schritt in die richtige Richtung – nämlich auf den außenpolitischen Kurs der AfD zu«.
Fest steht, dass das »Manifest« in der deutschen Bevölkerung und nicht zuletzt in der SPD erhebliche positive Resonanz ausgelöst hat. Trotz der massiven Verunglimpfung des Papiers ergab eine am 16. Juni erhobene Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA: 38 Prozent der Befragten fanden das »Manifest« gut, ebenso viele schlecht, 24 Prozent machten keine Angaben. Nach Parteianhängerschaft unterstützen es Sympathisanten des BSW (55 Prozent), der Partei Die Linke (54 Prozent) sowie der SPD und der AfD (jeweils 45 Prozent). Den höchsten ablehnenden Wert gab es bei Anhängern von Bündnis 90/Die Grünen (54 Prozent) vor CDU/CSU und FDP (jeweils 48 Prozent). Die Altersgruppen unter 60 Jahren erklärten sich jeweils mehrheitlich für das Papier, die über 60jährigen überwiegend dagegen.
Am Donnerstag hatten mehr als 13.300 Menschen das »Manifest« auf der Plattform openpetition.de unterzeichnet. Es kann ein Auftakt für einen aktiven Kern der Friedensbewegung sein.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Markus P. aus Frankfurt (22. Juni 2025 um 10:42 Uhr)Und alles begann mit dem Manifest für Frieden von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer 2023 und dem BSW 2024. Danke! (Und was hat die große Lügen-AfD da getan? Ihre NATO-Freundschaft und ihren Palästinenser-Hass ausgebaut?) Mit pazifistischen und sozialistischen Grüßen von einem linken SPD-Mitglied.
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Leserbrief von Norbert Heckl aus Stuttgart (20. Juni 2025 um 18:23 Uhr)Gut, dass die jw-Redaktion das »Manifest« von SPD-Mitgliedern als wichtig und positiv einschätzt, anders als in dem sektiererischen Traktat von Andreas Buderus und Johannes Schillo in der jW vom 13. Juni. Warum das allerdings »ein Auftakt für einen aktiven Kern der Friedensbewegung sein« soll, erschließt sich für mich nicht: diesen aktiven Kern kann man schon seit langem sehen, es sei denn, man ignoriert die vielen Aktionen der real existierenden Friedensbewegung – dass die Größenordnung zu wünschen übrig lässt – geschenkt!
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (20. Juni 2025 um 07:36 Uhr)»Die Altersgruppen unter 60 Jahren erklärten sich jeweils mehrheitlich für das Papier, die über 60jährigen überwiegend dagegen.« Das entspricht den Ergebnissen der Umfragen über die Quellen der Informationsbeschaffung. Die Mehrheit der über Sechzigjährigen bevorzugen »Tagesschau« und »Heute Journal«, das Sprachrohr der Regierungspolitik. Diese Sendungen täuschen Objektivität und Informationsvielfalt vor, erfüllen aber in Wirklichkeit die Rolle des früheren Dorfpastors unter Wilhelm II., leider nicht nur einmal in der Woche, sondern dreimal am Tag. Diese zwangsfinanzierte Regierungspropaganda sitzt, felsenfest. Jüngere Jahrgänge dagegen nutzen über das Internet bessere Informationsquellen, die mehr auch gegenteilige Meinungen zu Worte kommen lassen, statt sie schamlos einseitig zu unterdrücken. Die über Sechzigjährigen haben den Hauptteil des Lebens bereits hinter sich und denken vielleicht: »Ach, die paar Jährchen kriege ich schon noch rum (und zwar in Wohlstand).« Wer jetzt sagt: »Weiter so«, der denkt bestimmt nicht sehr viel an junge Menschen, welche ihr Leben noch vor sich haben. Die müssen ja dann in den Schützengraben, nicht die, welche jetzt die große Klappe haben. Die Jüngeren riskieren viel mehr im Leben, falls es zu einer Ausweitung des Krieges kommt. Außerdem sind ältere Menschen im Durchschnitt angepasster als die jungen, weil sie dies länger im Leben trainieren mussten. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.
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