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Aus: Ausgabe vom 19.06.2025, Seite 10 / Feuilleton
Kulturpolitik

Der Archetyp

»Max braucht Gesellschaft«: Über die Unverzichtbarkeit des Kulturpalastes Unterwellenborn als Teil der Ostmoderne
Von Gerd Schumann
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Vom Verfall bedroht: Kulturpalast Unterwellenborn

Indem historische Kulturgüter von der Vergangenheit erzählen, fordern sie zum Nachdenken auch darüber heraus, wie die Zukunft aussehen könnte. Damit setzen sie Maßstäbe, und das macht sie zu wertvollen, unbedingt zu pflegenden Kleinoden.

Das jetzt erschienene, prächtig aufgemachte, mit vielen Fotos und Grafiken ausgestattete Buch »Max braucht Gesellschaft« handelt davon. Und davon, wie ein architektonisch wie intellektuell hochkarätiges Bauwerk sinnvoll genutzt werden könnte. Zugleich stellt es dem bisher überwiegend ideologisch ausgerichteten Umgang mit der DDR ein differenziertes, umsichtiges, sachkundiges und vorurteilsfreies Herangehen entgegen und veranschaulicht, wie es gehen könnte – und bereits vor Jahrzehnten hätte gehen können.

Auch dem 1955 eröffneten, 1994 für einen Spottpreis an einen Investor aus Oberfranken verscherbelten Kulturpalast »Johannes R. Becher« des einstigen VEB Bergbau- und Hüttenkombinat Maxhütte in Unterwellenborn drohte lange Zeit ein Ende durch Leerstand und langsamen Verfall. Inzwischen aber gibt es »Hoffnungsschimmer« (MDR, 15.8.2024), nachdem es zu Gesprächen zwischen engagierten Bürgern, Stahlwerk und Eigentümer unter Beteiligung der Thüringer Staatskanzlei gekommen war.

Das jetzt von Christoph Liepach herausgegebene Werk flankiert die Debatte und beschäftigt sich – unabhängig von kommerziellen Konzepten – mit einem Bauwerk, das eine Vorreiterrolle für die 2.000 Kulturhäuser der DDR einnimmt, die in ihrer »weltweit bisher einmalige(n) Dichte« für ein »Kulturwunder Ost« stehen. So formuliert es der Geisteswissenschaftler Pierre Wilhelm in einem der insgesamt sieben fundierten Textbeiträge. Schon allein diese historische Bedeutung, sollte man meinen, spricht für den Erhalt. Und für eine dringend nötige Erforschung des speziellen Wegs, den die DDR kulturell beschritt.

Dessen Beginn verortet der Kulturhistoriker Tobias Kühnel-Koschmieder in der Arbeiterbewegung vor dem Faschismus – mit den Volkshäusern nicht nur in Italien und Deutschland. Trotz aller vor allem materiell ungünstigen Bedingungen nach dem Zweiten Weltkrieg knüpfte man im Osten Deutschlands eben dort an, stur und doch kreativ, von Debatten begleitet, oft auch seltsamen, und doch mit bemerkenswerten Ergebnissen. Sie lassen sich sehen und lesen, und gerade Unterwellenborn reiht sich ein ins kulturelle Erbe eines gesellschaftspolitisch hierzulande bisher einmaligen Umbruchs, bei dem – noch unter sowjetischer Besatzung – »kunsthistorisches Neuland« betreten wurde.

In der »Konfrontation zwischen Politik und Kunst, die im Grunde nie ganz verebbte«, kamen die frühen Kulturhäuser wie in Bitterfeld und Leuna mit »klaren Formen und schmuckloser Eleganz« daher und bildeten einen Kontrast zu den neoklassizistischen Häusern. Der Palast Unterwellenborn, 1987 in die Denkmalliste aufgenommen, sollte »durch seinen Inhalt, seine Form und nicht zuletzt durch seine baubezogene Kunst den Weg in die Zukunft verkörpern«.

Tobias J. Knoblich betrachtet diesen Schritt grundsätzlich: In seiner auf den Punkt formulierten Skizzierung setzt er die Kulturrevolution in der DDR in Beziehung zu »historischen Avantgarden« davor. Diese hätten »die Kunst mit der Lebenspraxis vereinbaren wollen«, um »Innovation und Fortschritt gesellschaftlich wirksam werden zu lassen«. Dagegen erhob »der Staatssozialismus Kunst und Kultur von vornherein in den Rang einer Zukunftskraft«. Mittels ästhetischer Erziehung hätten die Menschen »geformt, ja ermächtigt werden« sollen, »den Weg in die klassenlose Gesellschaft selbst beschreiten zu wollen, entsprechende Kulturbedürfnisse auszuprägen, produktiv zu sein«.

Die Mühen der Ebene sind immer konkret. Wie war das eigentlich in der DDR mit dem Sozialistischen Realismus als in der Sowjetunion propagierter Kunstrichtung? Deren Wurzeln lagen zwar über hundert Jahre zurück, und deren ehrenwerte Grundidee, Themen der Arbeitswelt in die Kunst zu hieven, setzte zunächst Maßstäbe. »Von der Politik missbraucht«, ausgestattet mit Parteibeschluss der KPdSU und Folgen für ganz Osteuropa, verformte sich der Anspruch, es entstanden »parteilich-pathetische wie positivistisch überzeichnete Werke«. Die Kultur- und Kunstdebatte vor allem um Stalins Tod 1953 herum wurde »sehr irrational geführt«, und der Formalismusstreit hinterließ Opfer und viel Bitterkeit – ein Forschungsthema also per se.

Ebenso wie die Zukunft vieler Bauten ungewiss ist, die heute unter »Ostmoderne« gefasst werden, und die doch viel mehr repräsentieren, als ein Begriff fassen kann. Daraus leitet sich die Frage ab, ob es nach Jahrzehnten demütigender Plumpheiten nach dem Ende der DDR endlich möglich wird, mit Anstand und Vernunft über den besonderen Weg des deutschen Ostens zu diskutieren, jetzt, da wieder der Einsatz der Abrissbirne ansteht – in Berlin am Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion bereits im Einsatz am Sport- und Erholungszentrum (SEZ) Friedrichshain geplant, ganz im Stil der 1990er Bilderstürmerei angereichert mit einer Politik des antisozialen Kahlschlags.

Noch steht das Freizeitzentrum, noch wird über viele andere historisch – und perspektivisch! – wertvolle Bauten wie dem Kulturpalast in Bitterfeld debattiert, und inhaltliche Konzepte zu deren zukünftiger Funktion werden erarbeitet, in Fülle und mit engagiertem Expertenwissen – und auch in den Beiträgen zu Unterwellenborn lassen sich ein Dutzend und vielleicht mehr Überlegungen finden, die für eine »Wiederinnutzungsnahme als Kulturort« (Tobias J. Knoblich) auf dem Tisch liegen.

Sie haben viel zu tun mit dem weiten Feld der historischen Erforschung, das bisher beschämend wenig bestellt ist. Insofern könnte das Buch tatsächlich ein »überregional ausstrahlender Beitrag« sein. Es erweist sich als wahre Fundgrube voll mit wichtigen Hinweisen zum zukünftigen Umgang mit dem nationalen Kulturerbe dieses Landes unter Berücksichtigung der besonderen Entwicklung seines Ostens. Natürlich geht es dabei zuallererst um den Erhalt eines beeindruckenden Gebäudes, das einst den auch aktuell überdenkenswerten Anspruch hatte, »nicht Schaufenster der Kaufhäuser und Shoppingmeilen, sondern Schaufenster des Sozialismus à la DDR« zu sein, so die Autorin Tina Pruschmann.

Alles nur eine Utopie, heute, Jahrzehnte danach?

Christoph Liepach (Hg.): Max braucht Gesellschaft. Sphere Publishers, Leipzig 2024, 144 Seiten, 32 Euro

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