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Aus: Ausgabe vom 18.06.2025, Seite 4 / Inland
Lagebild antimuslimischer Rassismus

Feindbild Islam

Lagebild antimuslimischer Rassismus: Mehr Fälle denn je und Staat nicht gewappnet
Von Niki Uhlmann
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Rima Hanano, Kogeschäftsführung von Claim, auf der Pressekonferenz in Berlin (17.6.2025)

Ob man tatsächlich Muslim ist oder lediglich als solcher wahrgenommen wird, spielt für Fremdenfeinde keine Rolle. Die nehmen jedes Vergehen einzelner Fanatiker stets zum Anlass, der gesamten Glaubensgemeinschaft niedere Triebe, rückständige Kultur oder sonstige negative Eigenschaften zu unterstellen und sie dafür zu bestrafen. Herrscht zudem eine Politik, die derlei Ressentiments für Repressionen oder Rechtsverschärfungen mobilisiert, nimmt die Fremdenfeindlichkeit zu. So kann jedenfalls das »Zivilgesellschaftliches Lagebild antimuslimischer Rassismus« verstanden werden, das Claim, die Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit, am Dienstag vorgestellt hat.

Demnach sei 2024 mit 3.080 dokumentierten »antimuslimischen Vorfällen« ein trauriger Höchststand erreicht worden. Das entspreche acht Fällen pro Tag gegenüber 2023, als Claim nur 1.926 Fälle dokumentiert hatte, einem Anstieg von 60 Prozent. »Aufgrund fehlender Beratungs- und Meldestrukturen, fehlenden Vertrauens von Betroffenen oder auch fehlender Expertise, antimuslimischen Rassismus zu erkennen«, müsse zudem »von einer gravierenden Dunkelziffer« ausgegangen werden. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass hinter jedem Vorfall, der in der Statistik bloß als Zahl auftauche, eine »Erfahrung von Gewalt«, letztlich ein Verlust menschlicher Würde stecke, mahnte Rima Hanano, Kogeschäftsführung von Claim, auf der Pressekonferenz.

Mehr als die Hälfte der Fälle seien »verbale Angriffe« gewesen, führt das Lagebild aus. Darauf folgten »Diskriminierung«, die rund 24 Prozent ausgemacht habe und »Benachteiligungen« etwa im Berufsleben oder bei der Wohnungssuche umfasse, sowie »verletzendes Verhalten«, das rund 21 Prozent ausgemacht habe und von Sachbeschädigung bis zur Tötung reiche. Auch bei diesen »schweren Delikten« sei ein Anstieg verzeichnet worden, der auf die »zunehmende Enthemmung und Brutalität« des antimuslimischen Rassismus hinweise. Ferner liege die BRD im europäischen Vergleich des Aufkommens rassistischer Diskriminierung auf Platz zwei, nach Österreich.

Der antimuslimische Rassismus schlägt sich in allen Lebensbereichen nieder. »Wie sehr man sich auch anstrengt, dazuzugehören, man wird immer als anders wahrgenommen«, beschrieb es Hanano. Dass 71 Prozent der Betroffenen weiblich waren, belege laut Bericht abermals die »Verschränkung von Rassismus und Sexismus«. Ausnahmen seien hierbei allerdings Diskriminierungen durch die Polizei oder die Justiz gewesen. Darin drückt sich die Vorverurteilung junger, muslimisch gelesener Männer als vermeintlich besonders kriminelle Gruppe statistisch eindrucksvoll aus. Obendrein nähmen Behörden Betroffene und ihre Meldungen oder Anzeigen seit Jahren oft nicht ernst.

Doch nicht nur deshalb zeichne sich der allgemeine Vertrauensverlust gegenüber dem politischen System der BRD unter muslimischen Menschen »am ausgeprägtesten« ab. Im Anstieg der Diskriminierung und der »Agitation von Tätern« spiegele sich nämlich die von allerhand Medien und auch Regierenden angeheizte Debatte wider. Letztere schaffe das »Klima, in dem Angriffe und Diskriminierungen erst möglich werden«. Zur Bekämpfung dieses Missstands brauche es unter anderem mehr ausfinanzierte, unabhängige Meldestellen, eine »Ausweitung des Opfer- und Zeugenschutzes« sowie »Fort- und Weiterbildungen zu Rassismus« in den Behörden, ferner eine Ausweitung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. »Der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus muss dringend weiterentwickelt werden«, fasste Hanano zusammen.

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