Vollendung
Von Arnold Schölzel
Nach Ansicht der deutschen Regierung entspringt der Angriffskrieg Israels gegen den Iran der »regelbasierten Weltordnung«. Friedrich Merz ließ verlauten, Israel habe »das Recht, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürger zu verteidigen«. Außenminister Johann Wadephul nennt die völkerrechtliche Aufarbeitung des Konfliktes »anspruchsvoll«, er könne sie gegenwärtig aber nicht leisten. Was Israel ihm an Fakten zum Iran genannt habe, könne jedoch »einen Präventivschlag völkerrechtlich rechtfertigen«.
Das besagt: Berlin will den Überfall vom 13. Juni unter den Teppich kehren. Das ist folgerichtig, weil ein Zweck der famosen Erfindung einer »regelbasierten Weltordnung«. Wenn »wir« das Völkerrecht ignorieren, hat das entweder nie stattgefunden – Beispiel der NATO-Angriff auf Jugoslawien 1999 –, oder »wir« setzen neues Recht. Die Regelbasiertheit, die angeblich zur genetischen Ausstattung liberaler Demokratien gehört, proklamiert die Irregularität staatlicher Beziehungen im Zeitalter des Niedergangs westlicher Vorherrschaft. Die Fähigkeit zur Neuaufteilung der Welt schwindet, aber Stellvertreterkriege zur Schwächung echter oder vermeintlicher Gegner bleiben als Möglichkeit. Im Fall der Ukraine oder Israels wurde die unterm Finanz- und Waffenschirm plus Kommando der USA Wirklichkeit. Wird der Schirm weggezogen, stehen die kriegausführenden Cliquen – die Banderisten in Kiew oder die Völkermörder um Netanjahu – ziemlich allein da. Die EU- und NATO-Europäer haben ihnen so gut wie nichts zu sagen, nur zu liefern. Im Fall Kiew hat das für die westeuropäischen Vasallen dramatische Folgen, weil sie ein Fass ohne Boden füllen sollen. Netanjahu erfreut sich dagegen der uneingeschränkten Solidarität Donald Trumps, zu dessen »Deals« auch »Verhandlungen« gehören, die allein dem Zweck der Täuschung des Gegenübers dienen.
Vieles spricht dafür, dass diese Art der »Regelung« den Hegemonieverlust des Imperiums beschleunigt. Einige Kommentatoren befürchten bereits, dass die G7 platzen. Das lässt sich wahrscheinlich vermeiden, aber nur um den Preis, dass Merz und die übrige westeuropäische Kumpanei dem »Dealmaker« aus Washington die Füße lecken. Fest steht allein, dass die aktiv-passive Hinnahme des Angriffskrieges Israels und dessen Verkehrung zu einem vom Völkerrecht gedeckten Tatbestand, die Welt näher an den Abgrund bringt.
Wer nicht klar sagt, dass Israel und die USA gegen die UN-Charta verstoßen, kann jede Handhabe verlieren, die Vergeltungsspirale zu stoppen. Die Ordnung der UN-Charta, die 80 Jahre lang aufgebaut wurde, damit es keinen Weltkrieg mehr gibt, haben die Verfechter der »regelbasierten Ordnung«, die sie an die Stelle des in dieser Charta kodifizierten Völkerrechts setzten, geistig schon mit ihrer Erfindung beseitigt. Sie sind jetzt dabei, das auch physisch zu vollenden.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Fabian Bimmer/REUTERS03.06.2025
Handreichung für Kriegskurs
- Umit Bektas/REUTERS02.05.2023
Allenthalben Doppelmoral
- Kremlin/RIA Novosti/REUTERS13.05.2022
Ohne Durchsetzungsmacht
Mehr aus: Ansichten
-
Geschichtserklärer des Tages: Burkhard Bley
vom 17.06.2025