Aus Leserbriefen an die Redaktion

Faschistische Kontinuität
Zu jW vom 7.–9.6.: »Wölfe im Schafspelz«
Am 5. Dezember 1972 in der Falkenstraße in Bremen als Kriegsdienstverweigerer anerkannt, konnte ich dem Prüfungsausschussvorsitzenden Richter a. D. Dr. Ihlau mitteilen, welche Menschen zur Gründergeneration der »Neuen deutschen Wehrmacht«, der Bundeswehr gehörten. Steinhoff, de Maizière, Heusinger, Heinz Trettner und viele andere waren an schweren Kriegsverbrechen beteiligt. 1955 war es in der Bundesrepublik nicht selbstverständlich, die Offiziere des 20. Juli 1944 zu ehren. Die staatsoffizielle Würdigung des 20. Juli 1944 wurde aber Mitte der 50er Jahre zu einer ganz entscheidenden Legitimationsgrundlage der Bundeswehr. Der 20. Juli wurde plötzlich zum Symbol für eine vermeintlich antifaschistische Traditionslinie. Die Militärs in der neuen Bundeswehr hingegen, allen voran die altgedienten Wehrmachtsgeneräle, wollten von den Eidbrechern nichts wissen. Massiver Widerstand auch des mächtigen Staatssekretärs und Adenauer-Intimus Hans Maria Globke, der keinen »Verräter« in der Bundeswehr dulden wollten. Deshalb scheiterten auch alle Versuche des deutschnationalen Offiziers Freiherr von Gersdorff, einen Platz in der Bundeswehr zu erhalten. Gersdorff hatte im März 1943 versucht, Hitler in einem Selbstmordattentat zu töten, und das Material für Stauffenbergs Bombe verwahrt.
Spätestens ab 1947 tagten die Zirkel aus Wehrmachtsgenerälen und westdeutschen reaktionären Politikern. Im Dezember 1948 beauftragte Konrad Adenauer Hans Speidel, eine geheime Studie über einen deutschen Beitrag zu einer europäischen Armee zu verfassen. Im November 1949 erhielt Adenauer den Manteuffel-Plan, in dem der Wehrmachtsgeneral die Aufstellung einer 600.000 Mann starken Armee für den Kampf gegen die UdSSR vorschlug.
Als der Pilot der faschistischen »Legion Condor«, Heinz Trettner, 1964 Generalinspekteur der Bundeswehr wurde, kam gerade der heutige Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, auf die Welt. Dieser Mann vom Jahrgang 1964 fordert Kriegstüchtigkeit, Wachsamkeit und warnt vor großen militärischen Bedrohungen durch die Russen. Vor Militaristen wie Breuer muss man sich fürchten!
Gerd-Rolf Rosenberger, Bremen
»Verharmlost die Realität«
Zu jW vom 6.6.: »Vorurteile abbauen«
Die Darstellung von Sexarbeit als normaler Beruf mit therapeutischer, sozialer und gar pflegerischer Funktion greift zu kurz und verharmlost die Realität vieler Betroffener. Natürlich gibt es Menschen, die freiwillig in der Sexarbeit tätig sind – doch das ändert nichts daran, dass dieses »Gewerbe« in aller Regel auf struktureller Not, patriarchalen Machtverhältnissen und teils großer Ausbeutung basiert. Sexualität ist keine Ware wie Brot oder Kleidung. Der Vergleich mit Supermarktjobs verkennt die psychischen Belastungen, denen Sexarbeiterinnen oft ausgesetzt sind. Dass sich Kundschaft Nähe und Zärtlichkeit »kaufen« kann, ist kein Fortschritt, sondern Ausdruck einer tiefen gesellschaftlichen Schieflage – gerade wenn Menschen aus Armut oder Migrationszwang überhaupt erst in diesen Bereich gedrängt werden. Die Kritik am sogenannten nordischen Modell blendet aus, dass es dabei nicht um Repression, sondern um den Schutz der Prostituierten geht – durch die Entkriminalisierung der Anbieter*innen bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Ächtung des Kaufs. Ein Sexkaufverbot mag unbequem sein, aber es ist ein klares Signal: Menschen sind keine käuflichen Objekte. Was wir brauchen, ist keine PR-Kampagne für ein vermeintlich vielseitiges Berufsfeld, sondern eine ehrliche Debatte über die Ursachen, die Menschen überhaupt in die Sexarbeit führen. Und echte Alternativen für diejenigen, die aussteigen wollen.
Helmut Pruß, Dortmund
Angst im Nacken der Eliten
Zu jW vom 4.6.: »Angriff der Miethaie«
In dankenswerter Weise veröffentlicht die jW regelmäßig Beiträge zum Wohnungsproblem. Wie es anders gehen könnte, zeigt die Wohnungsbaupolitik vor hundert Jahren in Deutschland. Bei einer Einwohnerzahl von etwa 62 Millionen fehlten um 1920 eine Million Wohnungen. Mietpreisbindung, Kündigungsschutz und Kapitalmangel boten keinen Anreiz für private Investitionen. Doch die Kommunen konnten durch eine umsichtige Politik Bauland zur Verfügung stellen. Finanzielle Förderungen kamen hinzu. Vor allem aus der Hauszinssteuer. Erhoben wurde sie von den Hausbesitzern, deren Hypotheken- und Kreditschulden die Inflation getilgt hatte. Bis zu 40 Prozent der Baukosten wurden allein durch sie finanziert. In den besten Jahren – 1928, 1929, 1930 – wurden so jeweils 300.000 Wohnungen errichtet. Zur Hälfte durch die öffentliche Hand und gemeinnützige Unternehmen. Zu erschwinglichen Mieten, da gemeinwohlorientiert und nicht profitmaximiert. In allen deutschen Großstädten entstanden noch heute beliebte Wohnanlagen. Bereitstellung von Bauland aus öffentlichem Besitz und Realisierung durch gemeinnützige Bauträger wären auch heute noch vorstellbar. Und die Investoren, die durch Subventionen, Fördermittel und Steuererleichterungen auf Kosten der Allgemeinheit Vorteile erlangt haben, sollten einen prozentualen Anteil ihrer Mietsteigerungen der Allgemeinheit zurückgeben. Mittel, die wiederum für den Wohnungsbau eingesetzt werden könnten. In frischer Erinnerung an die revolutionären Ereignisse nach dem Ersten Weltkrieg saß den herrschenden Eliten noch die Angst im Nacken. Damals wie heute sind soziale Errungenschaften eine Frage der Machtverhältnisse.
Christian Helms, Dresden
Hoffnungsschimmer glimmt
Zu jW vom 6.6.: »Todesfracht bleibt an Land«
Es sind Zeichen wie die der französischen Hafenarbeiter, die in diesen Zeiten der Resignation (oder Gleichgültigkeit?) den Hoffnungsschimmer auf eine, wenn auch momentan schwer vorstellbare, zukünftige Welt ohne Krieg, Militarismus und über Leichen gehende Rüstungsprofiteure am Glimmen halten. Danke und tiefer Respekt für diese mutige und klare Aktion! Was für ein Gegensatz zur Gewerkschaftsbewegung der BRD!
Michael J., Altenburg
Sexualität ist keine Ware wie Brot oder Kleidung. Der Vergleich mit Supermarktjobs verkennt die psychischen Belastungen, denen Sexarbeiterinnen oft ausgesetzt sind
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