Vorurteile abbauen
Von Gitta Düperthal
An diesem Freitag endet die Aktionswoche Sexarbeit rund um den 50. Internationalen Hurentag, die der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD) mitorganisiert hat. »Wir belächeln sexuelle Bedürfnisse nicht, sondern schaffen einen freien Raum, damit Menschen ihre Phantasien ausleben können, ohne ausgelacht zu werden«, erklärte Jemina Schwabenthal, ehemalige Sexarbeiterin und gelernte Bankkauffrau, am Dienstag gegenüber jW. Sie ist beim BesD für Finanzen zuständig. Der Beruf wirke auch gegen Vereinsamung in der Gesellschaft. Allerdings könne aufgrund der Wirtschaftskrise die Stammkundschaft nicht mehr so häufig wie zuvor kommen. Manch einem reiche das Geld nur noch für einen vierteljährlichen Bordellbesuch.
Gemeinsam mit mehreren Institutionen, etwa fortschrittlichen Gewerkschafts- und Kirchenvertretern, hatte der Berufsverband zum offenen Dialog aufgerufen: um über das Berufsbild aufzuklären, Vorurteile abzubauen, Stigmatisierung vorzubeugen, gesellschaftliche Akzeptanz zu stärken. Die Kampagne soll präventiv einem drohenden politischen Sexkaufverbot nach schwedischem Vorbild und den damit zu erwartenden Repressionen begegnen.
Der Jahrestag geht auf den 2. Juni 1975 zurück, als Sexarbeiterinnen im französischen Lyon die Saint-Nizier-Kirche besetzten, um für ihre Rechte einzutreten. Überall in Deutschland gab es daher Angebote für die Öffentlichkeit: Eine Bordellführung der Prostituiertenselbsthilfeorganisation Doña Carmen im Bahnhofsviertel in Frankfurt am Main, die Peterskirche in Leipzig öffnete einen Dialograum »Huren im Hause des Herrn«, Verdi-Frauen in Hessen luden zur Onlinedebatte ein. Informiert wurde mit Tagen der offenen Tür in Klubs und Studios, mit Vorträgen, Filmvorführungen, Vernissagen. Das Onlineformat »Ask a Sexworker« (Frag einen Sexarbeitenden) lädt diesen Freitag ab 19 Uhr zum Chat ein. Rege Öffentlichkeitsarbeit also, um den Blick hinter die Kulissen zu ermöglichen.
Schwabenthal war in Hamburg bei einer Führung in einem Dominastudio, wo lebhaft diskutiert wurde: Nein, freilich werde da nicht einfach nur mit der Peitsche geschlagen. Eine Ausbildung sei hilfreich, zumal es auch um medizinische Aspekte gehe. Niemand dürfe verletzt werden. Sexarbeit umfasse einen psychologischen Anteil. Ziel sei gelebte Freiheit, sich zu wagen, auch sexuell ungewöhnliche Wünsche äußern zu können. Aus dem eigenen Berufsalltag berichtete sie über den skurrilen Wunsch eines Kunden mit Quietscheentenfetisch. Daneben muss das Studio geputzt, alles hygienisch gehalten werden. Ihr sei die Frage gestellt worden, ob der Beruf jeden Tag Spaß mache: »Natürlich nicht, aber freut es eine Kassiererin oder Büroangestellte täglich ihren Beruf auszuüben?« kontert Schwabenthal. Nicht jeder Freier sei der Inbegriff von Sexappeal. Aber man lerne die Person kennen, erfahre vieles über sie; »die inneren Werte eben«. Besucherinnen und Besucher der Studioführung hätten danach geäußert, Informatives über die Vielseitigkeit des Berufes gehört zu haben.
Sexarbeit verbinden viele mit klassischem Geschlechtsverkehr oder Dominastudios. Geschulte Sexarbeiterinnen sind aber auch in Altersheimen oder im Pflegebereich in der Sexualassistenz mit Menschen tätig, die körperlich in irgendeiner Weise eingeschränkt sind. Oft gehe es nicht nur um Sex, sondern um Zärtlichkeit, etwa händchenhaltend im Park spazieren zu gehen, erzählt Schwabenthal. Mitunter schilderten Pflegekräfte, dass sie sexuell berührt worden seien. Prostituierte könnten damit umgehen, letzteren so die Arbeit erleichtern. Tantriker seien im Bereich »Wohlfühlen, Anfassen, Massagen« unterwegs. Es gehe darum, auf den anderen einzugehen, Sexualität wiederzuentdecken sowie auch Lust ohne Sex.
Statt die vielseitige Ausprägung des Berufs wahrzunehmen, dominierten Bilder von Ausbeutung und Zwang die Berichterstattung, kritisiert Schwabenthal. 1999 hat Schweden als erstes Land der Welt den Kauf von Sexualdienstleistungen kriminalisiert. Das als »nordisches Modell« bekannte Sexkaufverbot mit Freierbestrafung hänge wie ein Damoklesschwert über den im Berufsverband organisierten Sexarbeiterinnen. Als Folgen, so beschreibt es Schwabenthal, gehe das Ausführen des Jobs im Geheimen auf Kosten der Sicherheit der Frauen. Denn in öffentlichen Bordellen gibt es Nothilfeknöpfe; Kolleginnen oder Securitys können im Fall eines Übergriffs einschreiten. Die Kritik des Verbandes gilt auch dem sogenannten Prostituiertenschutzgesetz aus dem Jahr 2017 mit seiner Anmeldepflicht. Von vielen Sexarbeitenden wird es als Überwachung wahrgenommen.
Das Erstarken der AfD mit ihrer traditionellen Familienideologie oder auch der konservative Rollback mit einer unionsgeführten Regierung mache das Leben schwerer, sagt Schwabenthal. Viele hätten aufgeatmet, dass die CDU im Koalitionsvertrag keine Initiative gestartet habe, dem »nordischen Modell« nachzueifern. »Wir würden uns mehr Respekt für den Beruf wünschen, den die meisten freiwillig und als Selbständige ausüben«, so Schwabenthal. Werde eine Expertenkommission zum Thema eingerichtet, dürfe das nicht über die Köpfe der Sexarbeiterinnen hinweg geschehen.
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