Noch nicht kaltgestellt
Von Frederic Schnatterer
Ein »historisches Urteil« sei die am Dienstag letztinstanzlich bestätigte Haftstrafe für Cristina Fernández de Kirchner (CFK), heißt es allenthalben. Das stimmt zumindest insofern, als in Argentinien zuvor noch nie eine ehemalige Präsidentin wegen Korruption in den Bau musste. Angesichts der langen Liste finsterer Gestalten, die in dem südamerikanischen Land das höchste Staatsamt schon ausgeübt haben, mag das überraschen – zumindest die, die sich mit den Hintergründen des Prozesses nicht beschäftigen möchten.
Im Gegensatz zu korrupten Figuren wie Carlos Menem, der die Reichtümer des Landes als Präsident in den 90er Jahren dem internationalen Kapital zum Fressen vorwarf, steht CFK für eine andere Art des Regierens. Während ihrer beiden Amtszeiten von 2007 bis 2015 setzte sie auf einen Ausbau des Sozialstaats und die Entwicklung der nationalen Industrie. Dafür legte sie sich durchaus auch mit den großen Wirtschaftsmächten an. Auch wenn sie dabei keineswegs radikal vorging, verziehen sie es ihr nicht. Wirklich überraschend ist das Urteil also nicht.
Noch immer steht der Name Kirchner, mit dem sowohl Cristina als auch ihr verstorbener Ehemann Néstor gemeint sind, für eine linke Spielart des Peronismus, der Argentinien in den vergangenen mehr als 20 Jahren seinen Stempel aufgedrückt hat. Trotz des Intermezzos von Mauricio Macri von 2015 bis 2019 und des Wahlsiegs des Ultralibertären Javier Milei 2023: Begraben ist der »Kirchnerismus« noch nicht. Die nun bestätigte Haftstrafe und insbesondere das lebenslange Ämterverbot sind der Versuch, das nachzuholen. Wie groß der Hass der Rechten ist, zeigte 2022 der Mordversuch gegen die damalige Vizepräsidentin, der nur aufgrund technischer Probleme erfolglos blieb.
Das progressive Lager in Argentinien hat früh verstanden, dass bei dem Prozess nicht allein CFK auf der Anklagebank saß. Am Dienstag stellten sich alle wichtigen Anführer des Linksperonismus hinter die juristisch Verfolgte. Statt interner Streitigkeiten, wie sie in den vergangenen Monaten vorherrschend waren, demonstrierten sie Einigkeit. Was für den Abwehrkampf gegen die Angriffe von rechts noch bedeutender werden dürfte: Am Dienstag solidarisierten sich Tausende auf den Straßen von Buenos Aires und in anderen Städten mit der ehemaligen Präsidentin, wichtige Zufahrtsstraßen wurden zwischenzeitlich blockiert, mehrere Fakultäten im Land sind besetzt.
Nach Monaten der Schockstarre verfügt das progressive Lager weiterhin über die Fähigkeit zu mobilisieren. Für die politische Zukunft Argentiniens dürfte vor allem das von Bedeutung sein. Denn auch wenn die politisch motivierte Rechtsbeugung, die gerade in Lateinamerika Schule gemacht hat, ein mächtiges Werkzeug der Herrschenden ist: Ein langfristiges Kaltstellen linker Kräfte ist durch Lawfare nicht garantiert. Oder, wie CFK hofft: »Gefangene zu sein ist ein Zeugnis der Würde.«
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