Beijing bestens informiert

In Taiwan hat am Dienstag einer der womöglich gravierendsten Spionageprozesse auf der Insel in der jüngeren Vergangenheit begonnen. In Taipeh wurden vier langjährige, zum Teil sehr einflussreiche Mitglieder der Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) wegen Spionage für die Volksrepublik angeklagt. Alle vier sind inzwischen aus der DPP ausgeschlossen worden. Die Partei, die auf eine förmliche Abspaltung Taiwans von China orientiert, stellt seit 2016 die Präsidentin (Tsai Ing-wen, 2016–2024) bzw. den Präsidenten (Lai Ching-te, ab 2024) der Insel.

Hauptangeklagter ist mit Huang Chu-jung ein ehemaliger Mitarbeiter eines DPP-Stadtrats von Neu-Taipeh. Huang soll schon 2017 auf einer Geschäftsreise in die Volksrepublik als Spion rekrutiert worden sein. Ihm wird vorgeworfen, mit Hilfe einer weiteren Person, Chiu Shih-yuan, Informationen gesammelt und sie nach Beijing weitergereicht zu haben. Chiu wiederum war als stellvertretender Leiter der internen DPP-Denkfabrik Taiwan Institute of Democracy bestens plaziert, um an wichtige Informationen zu gelangen. Seine Zuträger, die nun ebenso wie er selbst vor Gericht stehen, sollen zum einen Wu Shang-yu gewesen sein, der dem inneren Zirkel um den heutigen Präsidenten Lai zugerechnet wird und zuletzt als einer seiner wichtigsten Berater galt, zum anderen Ho Jen-chieh. Ho war Topberater von Außenminister Joseph Wu (2018–2024).

Wie weit die Informationen tatsächlich reichten, die der Spionagering um Huang nach Beiing weitergereicht hat, ist nicht klar. Berichten zufolge sollen sie unter anderem Interna zu den Auslandsreisen der Führung in Taipeh enthalten haben. Nimmt man die Funktionen zumindest von drei der vier Angeklagten als Orientierungspunkt, dann dürfte es in Taiwans Politik – und in der seiner Verbündeten – nicht viel gegeben haben, worüber Beijing nicht auf dem Laufenden war. Die Volksrepublik war Taipeh damit immer einen Schritt voraus – ein Etappensieg im Bestreben, den Machtkampf um die Insel nach Möglichkeit ohne Krieg zu gewinnen.