Praxis Doktor »Machmichdünn«
Von Ralf Wurzbacher
Deutschlands Hausärzte sollen nach den Plänen der Bundesregierung zum »Pförtner« im Gesundheitssystem werden. Das Problem: Sie nehmen selbst in Massen Reißaus. Einer aktuellen Umfrage zufolge plant ein Viertel aller Allgemeinmediziner mit eigener Praxis in den kommenden fünf Jahren aus dem Beruf auszuscheiden. Wie die Bertelsmann-Stiftung am Mittwoch mitteilte, wollten zudem viele ihre Wochenarbeitszeit bis 2030 im Schnitt um zweieinhalb Stunden reduzieren. Schon heute gelten mehr als 5.000 Hausarztstellen als unbesetzt. Weil nicht genug Nachwuchs nachkommt, droht sich der Leerstand binnen fünf Jahren zu verdoppeln. Die Denkfabrik bleibt dennoch optimistisch. Ihre Rezepte lauten Bürokratieabbau und Digitalisierung.
Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) will durch Einführung eines »verbindlichen Primärarztsystems« den Zugang zu Spezialisten »bedarfsgerecht und strukturierter gestalten«, um so die ambulante Versorgung zu verbessern, Wartezeiten zu verringern und das Personal zu entlasten. Ihre Reform sieht vor, dass ein Facharzt nicht länger ohne Überweisung durch einen Allgemeinmediziner oder Kinderarzt aufgesucht werden darf. Das Vorhaben wird kontrovers diskutiert, wobei ausgerechnet der Hausärztinnen- und Hausärzteverband voll des Lobes ist. Dort rechnet man mit bis zu fünf zusätzlichen Patienten pro Tag und verspricht: »Das machen wir.« Aber wer ist »wir«, wenn demnächst Tausende weitere Praxen dichtmachen?
Gründe dafür sind laut besagter Erhebung das hohe Arbeitspensum sowie der große Verwaltungsaufwand. Im Schnitt sind Hausärzte 44 Stunden tätig, selbständige sogar 48,5 Stunden. Rund 80 Prozent der Zeit füllen Sprechstunden und Hausbesuche, der Rest geht für Papierkram, Fortbildungen und Sonstiges drauf. Im Rahmen der Studie haben die Bertelsmänner in Kooperation mit der Universität Marburg knapp 3.700 Mediziner befragt. Gemäß den Befunden soll sich eine Mehrheit der Ausstiegswilligen einen Verbleib im Job unter der Bedingung von weniger Bürokratie und mehr Flexibilität in puncto Arbeitszeiten vorstellen können. Deshalb müssten, äußert der »Director Gesundheit« Uwe Schwenk in einer Medienmitteilung, »die notwendigen Digitalisierungsmaßnahmen gelingen, unnötige Arztbesuche reduziert sowie neue Formen der fachübergreifenden Zusammenarbeit etabliert werden«.
Hier zeigt sich die gängige Masche der Stiftung aus Gütersloh: Sie packt sich einen gesellschaftlichen Missstand, unterfüttert ihn mit »Expertise« und präsentiert Lösungen im Interesse der Bertelsmann-Holding. Gerade erst zum Jahresende 2024 hatte die verkündet, ihre Aktivitäten im Bereich digitaler Gesundheitsdienstleistungen auszubauen. Vorstand Carsten Coesfeld im O-Ton: »Gemeinsam werden wir die konzernweiten Digital-Health-Aktivitäten in der neuen Struktur weiter stärken und ausbauen, während sich Bertelsmann Next künftig auf die Wachstumsbranchen und Geschäftsfelder HR Tech, Pharma Tech, Mobile Ad Tech sowie Digital Health Ventures fokussieren wird.« Wie passend, dass die Stiftung per Befragung erfahren hat, dass es im Praxisalltag in 25 Prozent der Fälle bei der Technik hakt. Hier finden sich bestimmt Abnehmer für die eigenen Produkte, zumal im Fall staatlicher Großaufträge.
Ferner schlägt Schwenk vor, »bestimmte Aufgaben auf andere, nichtärztliche Berufsgruppen im Gesundheitswesen« zu übertragen, etwa auf »medizinische Fachangestellte oder Pflegekräfte«. Diese Form der Entprofessionalisierung greift im Schulwesen schon länger um sich. Dem Lehrmangel wird zunehmend durch den Einsatz von Quer- und Seiteneinsteigern begegnet. Profis auszubilden, kostet viel Steuergeld, das die Bertelsmänner aber lieber in privatwirtschaftliche Kanäle lenken. Am besten natürlich in die eigenen. Der Konzern ist ein führender Anbieter von Bildungsmedien, digitalen und gedruckten Lernmaterialien sowie E-Learning-Werkzeugen. Ein zerrüttetes Schulwesen ist da das optimale Geschäftsumfeld. Kein Zufall: Zum 1. Januar wurde das Segment »Digital Health« mit der »Education Group« verschmolzen. Merke: Dummheit und Krankheit lassen die Kasse klingeln.
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