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Aus: Ausgabe vom 10.06.2025, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Europäische Union

Euro-Osterweiterung Bulgariens

Integration des Balkanstaats geostrategisch motiviert. Kritiker befürchten Preisexplosion
Von Dominic Iten
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EU-Vize Valdis Dombrovskis und Bulgariens Premier Rosen Zhelyazkov zocken um Zahlungsmittel (Sofia, 5.6.2025)

Die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) sind sich einig: Bulgarien erfüllt die notwendigen Kriterien zur Einführung des Euro, berichtete Tagesschau.de am vergangenen Mittwoch. Nachdem 2024 die Eingliederung in die Währungsunion wegen zu hoher Inflation gescheitert war, habe die Regierung in Sofia »gewaltigen Einsatz« gezeigt, erklärte Philip Lane, Chefökonom der EZB. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ergänzt, Bulgarien sei der Einführung des Euro »einen Schritt nähergekommen« und werde damit »seinen rechtmäßigen Platz bei der Gestaltung der zentralen Entscheidungen des Euro-Raums einnehmen«.

Klingt wie ein Versprechen, kann aber auch als Drohung verstanden werden. Die EU proklamiert gerne Gleichbehandlung – in Wahrheit etabliert sie ein hierarchisches Gefälle zwischen dem westeuropäischen Kern und der osteuropäischen Peripherie. Egal ob Lettland, Rumänien oder die Slowakei – wer im Zuge der Osterweiterung formal gleichgestelltes EU-Mitglied wurde, musste sich de facto westeuropäischen Vorgaben unterwerfen und nationale Spielräume in der Währungspolitik oder bei der Gestaltung des Staatshaushalts aufgeben.

Wenn Lane vom »gewaltigen Einsatz« der bulgarischen Regierung spricht, meint er die Disziplinierung Bulgariens durch sogenannte Konvergenzkriterien. Niedriges öffentliches Defizit, moderate Staatsschuldenquote und Preisstabilität haben vor allem Austerität erzwungen. Öffentliche Investitionen in Infrastruktur und soziale Projekte wurden hintangestellt, während die Herstellung günstiger Bedingungen für Investoren und westeuropäisches Kapital Priorität genoss. In diesem Sinne wurden Steueranreize geschaffen, staatliche Schlüsselbetriebe privatisiert und regulatorische Hürden abgebaut.

Letztlich handelt es sich bei der verstärkten Integration Bulgarien auch um eine geopolitische Instrumentalisierung. Die EU-Osterweiterung folgt nicht nur ökonomischen, sondern auch strategischen Zielen – der russische Einfluss soll eingedämmt werden. Die EU betreibt als Partnerin der NATO auch Geopolitik unter dem Deckmantel eines freundlichen Wirtschaftsprojekts. Als Teil der Europäischen Währungsunion ist Sofia bei seinen geldpolitischen Entscheidungen an die EZB gebunden und verliert die Möglichkeit, eigenständig Notkredite zu sprechen, Zinsen zu senken oder zwischen westlichen und anderen Finanzierungsquellen zu wählen – ein starkes Signal an Moskau.

Westeuropa und osteuropäische Eliten präsentieren die EU-Integration nicht nur als alternativlos, sondern auch als Win-win-Situation. Eine Mitte Mai durchgeführte Umfrage des bulgarischen Instituts Mjara zeichnet ein anderes Bild: Über die Hälfte der Befragten stellt sich gegen die Einführung des Euros, nur rund ein Drittel begrüßt den Beitritt zur Euro-Zone. Dies führte Anfang Juni zu Demonstrationen in Sofia und weiteren bulgarischen Städten. Befürchtet werden neben einem Souveränitätsverlust auch Preisexplosionen.

Doch die Befürchtungen der Euro-Gegner sind mit Blick auf vergangene Beispiele nicht ganz unberechtigt: In Slowenien oder der Slowakei verteuerten sich kurz nach der Euro-Einführung Ende der nuller Jahre vereinzelte Dienstleistungen. Auch wenn die Umstellung auf den Euro keine automatische Teuerungswelle auslöst – selbst kleine Preisaufschläge werden für Haushalte mit knappem Budget schnell zur Belastung. Da Bulgariens Durchschnittseinkommen weit unter dem EU-Durchschnitt liegt, führt jedes zusätzliche Inflationsprozent zu einem schmerzhaften Reallohnverlust. Lohnanpassungen sind zwar denkbar, aber unter den neuen EU-Fiskalregeln schwer durchzusetzen.

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