Gegründet 1947 Sa. / So., 14. / 15. Juni 2025, Nr. 135
Die junge Welt wird von 3011 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 10.06.2025, Seite 1 / Titel
Menschenrechte

Kalifornien brennt

USA: Donald Trump entsendet Militär zur Niederschlagung von Protesten gegen Migrationspolitik
Von Volker Hermsdorf
2025-06-09T052950Z_589605001_RC2OYEAB66IQ_RTRMADP_3_USA-MIGRATIO
Der Zorn über die Abschiebebhörde ICE traf auch ein selbstfahrendes Polizeiauto (Los Angeles, 8.6.2025)

Es sind Bilder wie aus einem Bürgerkrieg, die in diesen Tagen von der Westküste der USA eintreffen. Martialisch in voller Kampfmontur aufmarschierende Soldaten auf der einen Seite, brennende Barrikaden, umgestürzte Autos und verängstigte Kinder unbescholtener Familien, die zunächst nur gegen ihre drohende Verhaftung protestierten, auf der anderen. Was Ende vergangener Woche mit Demonstrationen gegen Massenabschiebungen in Los Angeles begann, greift seit Sonntag auch auf San Francisco und andere Orte über. Die Auseinandersetzungen folgten auf eine Anordnung von US-Präsident Donald Trump, der am Sonntag als Reaktion auf die Proteste in seinem rechten Netzwerk Truth Social erklärte: »In Los Angeles sieht es schlecht aus. Holt die Truppen!«

imago1062876229.jpg
Auch beim Fußball wurde die Abschaffung der Abschiebebehörde ICE gefordert (Los Angeles, 8.6.2025)

Kalifornien ist seitdem zum Schauplatz einer repressiven Machtdemonstration geworden, wie sie die USA seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt haben. Nachdem die Einwanderungsbehörde ICE Dutzende – meist lateinamerikanische – Menschen oft wahllos festgenommen hatte, reagierten die Betroffenen in der zweitgrößten Stadt der USA. Tausende versammelten sich zu friedlichen Protestmärschen, blockierten Highways, umzingelten das Metropolitan Detention Center und forderten ein Ende der Jagd auf Einwanderer. Für Trump eine Vorlage für eine offenbar kalkulierte Eskalation. Er bezeichnete die Demonstranten als »Mob« und nannte Los Angeles eine »von Kriminellen besetzte Stadt«. Die Proteste wurden zur »illegalen Versammlung« erklärt, der Staat reagierte mit Tränengas, Räumpanzern und Truppen zur Aufstandsbekämpfung. Das normalerweise für externe militärische Bedrohungen, terroristische Angriffe und Naturkatastrophen zuständige »Northern Command« der US-Streitkräfte schickte auf Anordnung Trumps 2.000 Soldaten der Nationalgarde in die Region, auch 500 Marines stehen bereit.

2025-06-09T020902Z_1401263164_RC2NYEAFY41G_RTRMADP_3_USA-MIGRATI
Die repressive Migrationspolitik der US-Bundesregierung trifft nicht allein bei den direkt Betroffenen auf erbitterten Widerstand (Los Angeles, 8.6.2025)

Cicley Gay, die Vorsitzende der Black Lives Matter Global Network Foundation, sieht darin eine gezielte Provokation. »Die Nationalgarde gegen Demonstrierende einzusetzen – in einer Stadt, die noch immer mit rassistischer und migrationsbezogener Ungerechtigkeit ringt – erinnert stark an die Machtdemonstration der Regierung in Washington nach George ­Floyds Ermordung«, sagt sie. »Das dient nicht der Sicherheit – das ist ein autoritäres Schauspiel«, verurteilte auch die Bürgermeisterin von Los Angeles, Karen Bass, den Einsatz des Militärs. Kaliforniens demokratischer Gouverneur Gavin Newsom wirft Trump ebenfalls vor, die Eskalation provoziert und geltendes Recht gebrochen zu haben, um sich als handlungsstark in Szene setzen zu können. Laut Gesetz untersteht die Nationalgarde dem Kommando des jeweiligen Gouverneurs. Newsom, der als Kandidat für die US-Präsidentschaftswahl 2028 gehandelt wird, kündigte eine Klage an.

Nicht nur in den USA wächst die Empörung. Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum forderte die US-Behörden zum »anständigen Umgang mit Migranten« auf und prangerte die ungerechtfertigte Strafverfolgung ihrer Landsleute an. »Razzien oder Gewalt« seien nicht die richtige Art und Weise, mit dem Phänomen der Migration umzugehen», sagte sie am Sonntag. Venezuelas Regierung hatte bereits vor einer Woche eine «Reisewarnung höchster Stufe» für die USA ausgerufen. «Die USA sind ein gefährliches Land, in dem Migranten keinerlei Rechte haben», warnte das Außenministerium in Caracas vor einem Besuch im «Land of the Free».

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

  • Leserbrief von Bernd Vogel aus Leipzig (11. Juni 2025 um 11:13 Uhr)
    In der jW vom 10. Juni 2025 erschienen zwei Texte zur Politik von Donald Trump. Auf der Titelseite konstatiert Volker Hermsdorf, dass »Kalifornien brennt«. In der Innenseite schreibt Mumia Abu-Jamal über den »Preis der Angst«. Beide Texte müssen in ihrem Zusammenhang beachtet werden. Es zeigt sich, dass Trump als das vornehme Lumpenproletariat auftritt. Er und seine Leute sind die lautesten Schreier über das Wohl Amerikas. Die erste Periode seiner zweiten Präsidentschaft zeigt, dass alles provisorisch ist, er erlässt laufend Dekrete, ohne sich darum zu kümmern, ob diese auch juristischen Bestand haben. Trump, seine Mitstreiter und seine Anhänger sind ein Auswurf der bürgerlichen Gesellschaft. Sie sind unbedarft, aber selbstgewiss, der ideale Politikertyp für die Endphase des Imperialismus. Natürlich drückt auch ein Trump die materiellen Interessen der Bourgeoisie aus, aber nicht die fortschrittliche Fraktion, sondern die rückschrittliche Fraktion. Trump versteht sich als ein verkanntes Genie, aber er ist objektiv nur ein Simpel. Bei Trump und den seinen wird alles, was früher als liberal galt, als sozialistisch verketzert. Trump schimpft gelegentlich auf den »Marxismus«, wobei berechtigt zu vermuten ist, dass er weder Texte von Marx oder Engels je gelesen hat. Und selbst, wenn er sie gelesen hätte, so hat er sie doch nicht verstanden. Sein Vorgänger L. Napoleon hat als Chef des Pariser Lumpenproletariat seine eigene Privatarmee organisiert. Zur Finanzierung hat er eine Lotterie organisiert – eine direkte Prellerei; Trump hat zeitgemäß eine Kryptovaluta in Leben gerufen. Trumps Aktivitäten sind generell darauf gerichtet, die Exekutivgewalt in einer Person zu konzentrieren, er regiert mittels Dekreten an den traditionellen »checks and balances« vorbei. Das Lumpenproletariat ist die massenhafte soziale Stütze des Trumpismus, wobei Trump die bürgerliche Einheit der Nation untergräbt. Trump repräsentiert das konservative Element der amerikanischen Gesellschaft, nicht das revolutionäre. Die augenblickliche Politik der amerikanischen Administration ist die verselbständigte Macht der Exekutivgewalt. Als nächster Schritt zum achtzehnten Brumaire muss jetzt das Wahlrecht geändert werden, damit Donald Trump zum Kaiser von Nordamerika erklärt werden kann, wenn es schon als Papst nicht geklappt hat.
  • Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (10. Juni 2025 um 08:06 Uhr)
    Trumps Haudraufpolitik hat das Zeug dazu, nicht nur den Welthandel zu ruinieren, sondern auch die USA selbst auseinanderzureißen. Was sich in Los Angeles gegenwärtig entlädt, dürfte nicht nur die Wut über das ruchlose Agieren von Beamten der Einwanderungsbehörde sein. Der Mann, der versprach, die USA wieder groß zu machen, hat erst einmal mit seinen willkürlich verordneten Zöllen geschafft, die Inlandspreise für die zu zwei Dritteln aus aller Welt importierten Konsumgüter in die Höhe schießen zu lassen. Weiten Teilen der US-Bevölkerung stand ohnehin schon lange das Wasser Oberkante Unterlippe. Dass sich da Wut ausbreitet, ist verständlich. Man darf bezweifeln, dass der Einsatz von Nationalgarde und regulärer Armee in einem Land mit der größten Verbreitungsdichte von Schusswaffen in Privatbesitz eine kluge und deeskalierende Maßnahme ist. Eine ähnliche Reaktion von Gorbatschow auf die Pogrome von Baku im Jahre 1988 hatte jedenfalls letztendlich völlig verheerende Wirkungen auf die UdSSR. Nur drei Jahre später verschwand das Land damals von den Landkarten der Welt. Ob Trump das mit den USA auch vorhat?

Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:

Ähnliche:

  • US-Präsident Donald Trump (hier am 18. Februar in Florida) lässt...
    07.08.2019

    Caracas im Würgegriff

    US-Präsident Donald Trump verschärft Blockade gegen Venezuela. Sogar Nordamerikanern droht Enteignung. Cyberangriffe gegen Streitkräfte
  • Trump überwachte persönlich die Unterzeichnung des Abkommens zwi...
    29.07.2019

    Weißes Haus diktiert

    Donald Trump bekommt mehr Geld für Mauerbau. USA und Guatemala unterzeichnen Migrationsabkommen
  • Stimmen des Widerstands: Die 20jährige June Kuoch und der 18jähr...
    07.09.2017

    Aus der Traum

    US-Präsident Donald Trump hat das Schutzprogramm für Kinder illegaler Einwanderer gekippt

Regio:

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!