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Aus: Ausgabe vom 07.06.2025, Seite 5 / Inland
Verbraucher und Tierwohl

Auf die lange Schlachtbank

Koalition verschiebt Einführung eines staatlichen Tierwohllabels. Fleischlobby zufrieden
Von Ralf Wurzbacher
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Für sie kommt der Start des staatlichen Tierschutzlabels viel zu spät

Wenn’s in puncto Tierwohl mal wieder länger dauert: Eigentlich war die Markteinführung eines staatlichen Haltungslogos für Schweinefleisch für den 1. August geplant. Von da an sollten Kunden in deutschen Supermärkten Klarheit haben, unter welchen Bedingungen die Sau und der Eber gelebt haben, bevor sie zum Schnitzel wurden. Nun ist klar: Die Pflicht zur Kennzeichnung verschiebt sich auf den 1. März 2026 – mindestens. Am Freitag brachte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, der der Branche zur Umsetzung sieben Monate mehr Zeit einräumt. Verbraucherschützer beklagen die Verzögerung und fordern weitere Schritte zu mehr Transparenz beim Einkauf.

»Eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung muss vom ersten Tag an einwandfrei funktionieren«, äußerte sich Bundesagrarminister Alois Rainer (CSU) zur Rechtfertigung der Hängepartie. Das fragliche Gesetz – TierHaltKennzG wird es abgekürzt – hatte noch die Ampelkoalition beschlossen und ist schon seit 24. August 2023 in Kraft. Der lange Vorlauf von zwei Jahren soll der Umstellung von Produktionsprozessen dienen, was sich nun aber noch einmal in die Länge zieht. Zuletzt hatten die Bundesländer Aufschub erbeten, sie müssen künftig die Einhaltung der Vorgaben kontrollieren. Vorgesehen ist ein System mit fünf Kategorien der Stufen »Stall« über »Stall plus Platz«, »Frischluftstall«, »Auslauf/Weide« bis hin zu »Bio«. Das Etikett wird rechteckig und in Schwarzweiß gestaltet sein.

Erwartungsgemäß hat der Verband der Fleischwirtschaft (VDF) die Verschiebung in einer Medienmitteilung begrüßt. In seiner jetzigen Form erfülle das Gesetz seine Ziele »gerade nicht«, behauptete Hauptgeschäftsführer Steffen Reiter ohne Beleg. Und: »Wir wollen Tierwohl engagiert vorantreiben, wie wir es bereits seit zehn Jahren mit der ›Initiative Tierwohl‹ tun, und stehen für eine konstruktive Zusammenarbeit bereit.« Besagte Initiative ist ein Gemeinschaftsprojekt der Agrar- und Fleischindustrie und des Lebensmitteleinzelhandels. Dabei würden auf freiwilliger Basis »marginale Änderungen« vorgenommen und »Tierleid unter dem Deckmantel von angeblichem Tierschutz« verschleiert, moniert die Tierrechtsorganisation PETA. Das zugehörige Siegel existiert seit 2019 für Fleisch von Rindern, Schweinen und Geflügel, seit 2022 auch für Milchprodukte. Bei der höchstgelisteten »Haltungsform 4« zwängt sich ein 100-Kilo-Schwein auf eine Fläche von 1,5 Quadratmetern. »Hauptsache billig«, das ist weiterhin das oberste Gebot der Massenerzeuger.

Dabei hat sich das Bewusstsein der Kunden merklich gewandelt. Nach einer am Freitag von der Verbraucherorganisation Foodwatch vorgestellten Erhebung befürworten 36 Prozent der Befragten es »sehr«, wenn eine höhere Fleischsteuer dem Tierwohl zugute kommt, weitere 34 Prozent sprechen sich »eher« dafür aus. Lediglich sechs Prozent der Teilnehmer stuften eine tierwohlgerechte Haltung in landwirtschaftlichen Betrieben als »eher« oder »völlig unwichtig« ein. Die große Mehrheit von 94 Prozent heißt entsprechende Schritte gut. Der Forderung von Verbandsgeschäftsführer Chris Methmann nach gesetzgeberischen Schritten wird Minister Rainer wohl trotzdem nicht nachkommen. »Fleischpreise mache nicht er, sondern der Markt«, ließ er Anfang Mai via Bild verlauten.

Enttäuscht über den Spätstart des staatlichen Tierschutzlabels ist Jochen Geilenkirchen von der Verbraucherzentrale Bundesverband. Gegenüber dpa mahnte er eine Ausweitung des Regelwerks auf alle Produkte an, »egal, um welche Tierart es geht und ob man im Supermarkt, in der Kantine oder im Restaurant einkauft«. Auch dieses Anliegen dürfte der CSU-Ressortchef eher abblocken. Der Deutsche Tierschutzbund lehnt selbst das Gesetz in der Warteschleife ab. Es gehöre eingestampft und völlig neu konzipiert, bemerkte am Freitag Präsident Thomas Schröder per Pressestatement. Es stoße keine Verbesserungen an, sondern bilde nur den Status quo ab. »Aspekte wie das Schwänzekupieren bei Schweinen bleiben völlig unberücksichtigt. Dasselbe gilt für Zucht, Transport und Schlachtung der Tiere.«

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