Massenvertreibungen in Gaza
Von Jakob Reimann
Knapp 180.000 Menschen im Gazastreifen sind binnen zehn Tagen im Zuge der israelischen Militäroffensive vertrieben worden. Diese Zahl veröffentlichte die Internationale Organisation für Migration (IOM) in Genf am Dienstag. Seit Israel am 18. März mit einem Massaker, das über 400 Todesopfer forderte, das Waffenruheabkommen mit der Hamas torpedierte, wurden laut dem Global CCCM Cluster rund 616.000 Menschen im Gazastreifen in die Flucht getrieben. Rund 80 Prozent des umkämpften Küstengebietes seien Sperrgebiet oder von Räumungsanordnungen betroffen, hieß es, und damit de facto besetzt.
Das israelische Vorgehen in Gaza sei nicht durch das völkerrechtliche Prinzip der Selbstverteidigung gedeckt, sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, am Dienstag. Man müsse »Druck ausüben, dass es nicht zu diesen schweren Verletzungen des Völkerrechts kommt«, so der österreichische Topdiplomat im ORF-»Morgenjournal«. Grundsätzlich sei die Situation katastrophal. »Man kann eigentlich keine Worte mehr finden, um das zu beschreiben, was passiert.« Gerade die Freunde Israels müssten starken diplomatischen Druck auf das Land ausüben, forderte Türk. Israels Armee hat in ihrem Kampf gegen die Zivilbevölkerung in Gaza jüngst die Kriegszone ausgeweitet und will die Bewohner nahezu des gesamten südlichen Gazastreifens in ein kleines Gebiet in Al-Mawasi pferchen; Finanzminister Bezalel Smotrich sprach jüngst von »konzentrieren«.
Unterdessen hat die von humanitären Organisationen kritisierte private Stiftung Gaza Humanitarian Foundation laut einer Erklärung vom Montag abend mit der Verteilung von Lebensmitteln in Gaza begonnen. Die UNO wirft der Stiftung vor, ihr Vorgehen ziele auf die Zwangsumsiedlung von Palästinensern in den Süden des Gazastreifens – denn die einzigen vier Verteilzentren befinden sich in einem von der Armee abgeriegelten Gebiet dort. Am Sonntag war der Leiter der Stiftung, Jake Wood, zurückgetreten. Wood, ein ehemaliger US-Soldat, hatte das damit begründet, dass die Organisation die Grundsätze von Menschlichkeit und Neutralität nicht einhalten könne.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (28. Mai 2025 um 10:24 Uhr)Wer hätte je gedacht, dass ausgerechnet Israel – ein Staat, der aus den tiefen Wunden der Shoah entstanden ist und dessen Geschichte so eng mit dem Gedenken an den Holocaust verknüpft ist – im 21. Jahrhundert selbst militärische Feldzüge führt, die eine humanitäre Katastrophe nach sich ziehen? Glaubt die israelische Regierung wirklich, dass sie in einer Zeit, in der nahezu alles dokumentiert und öffentlich einsehbar ist, mit einem solchen Vorgehen dauerhaft bestehen kann – politisch, moralisch und völkerrechtlich? Besonders tragisch ist, dass die Region angesichts des Klimawandels ohnehin kaum mehr eine lebenswerte Zukunft bietet – insbesondere aufgrund akuter Wasserknappheit. Die massenhafte Vertreibung verschärft diese ohnehin dramatischen Bedingungen zusätzlich. Man kann nur hoffen, dass die internationale Gemeinschaft nicht länger schweigt und endlich wirksamen Druck auf alle Konfliktparteien ausübt – für den Schutz der Zivilbevölkerung, für die Einhaltung des Völkerrechts und für eine politische Lösung dieses endlosen Leids.
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