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Aus: Ausgabe vom 27.05.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Quantenmechanik

Kleine Schritte, große Sprünge

Zur aktuellen Entwicklung der Quantenkryptographie
Von Erik Rhea
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Schrödingers Katze

Durch die Quantenmechanik, die seit nun über einhundert Jahren einen festen Bestandteil der Physik ausmacht, wurde ein neues Konzept installiert. Ein Konzept, das ein völlig neues Verständnis der physikalischen Welt einforderte: die Superposition von Quantenzuständen. Die Messergebnisse, mit anderen Worten, waren zweideutig, und die Forschung brachte nach längeren Deutungskämpfen heraus, dass das nicht an den Messungen liegt, sondern realiter am Zustand der Elementarteilchen.

Unter Superposition von Quantenzuständen versteht die Physik das Phänomen, dass ein Quantensystem zugleich in mehreren Zuständen existieren kann – solange, bis es gemessen wird. Um dieses dem Erfahrungsdenken widersprechende Verhältnis zu beschreiben, wird gern das paradoxe Gedankenexperiment der eingesperrten Katze zitiert, in dem die Superposition von Quantenzuständen auf ein makroskopisches, nicht quantenphysikalisches Objekt übertragen wird. Abhängig vom Zustand eines Quantenobjektes tötet die gedachte Versuchsanordnung entweder eine in eine Kiste gesperrte Katze oder lässt sie am Leben.

Solange man nicht tatsächlich in die Kiste schaut, soll die Katze in einem Zustand zwischen tot und lebendig verharren. Vorgebracht wurde das Gedankenexperiment von Erwin Schrödinger, mit der Absicht allerdings, die Absurdität des Superpositionsprinzips zu veranschaulichen.

Quantenzustand als Fakt

In der Realität lässt sich das Phänomen am Doppelspaltexperiment veranschaulichen: Fliegen Quantenteilchen, wie zum Beispiel Elektronen, durch einen Doppelspalt, werden sie statistisch gesehen so auf einen dahinter aufgestellten Schirm auftreffen, dass ein Interferenzmuster entsteht, als wäre die Menge der Elektronen insgesamt eine Welle. Bringt man an einem der Spalte jedoch einen Detektor an, der registrieren kann, ob ein Elek­tron durch den linken oder durch den rechten Spalt fliegt, verschwindet das Interferenzmuster sofort, und es entsteht wieder, sobald der Detektor ausgeschaltet wird. Die Überlagerungszustände (in dem Fall die Überlagerung des linken und des rechten Weges) werden durch die Messung zerstört. Hängt also die Realität von unserer Wahrnehmung der Welt ab?

Durchaus nicht. Die Beobachtungen zwingen uns vielmehr, einige intuitive Vorstellungen aufzugeben. Die positivistische Sichtweise wird Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik genannt. Entwickelt von Niels Bohr und Werner Heisenberg, gibt sie die Aussagekraft der Physik über die Realität auf. Genaue Kenntnis des Zustands eines Teilchens wird als prinzipiell nicht erlangbar gedacht, beziehungsweise die Vorstellung eines einzelnen Teilchens wird als sinnlos zurückgewiesen. Der Teilchenbegriff wird nur als Bestandteil eines statistischen Teilchenensembles akzeptiert, und die Physik als eine Metho­de, statistische Vorhersagen über das Verhalten dieses Ensembles bei verschiedenen Messungen zu machen. Entsprechend wird dadurch auch die Existenz eines absoluten und nicht weiter in seinen Ursachen untersuchbaren Zufalls behauptet. Alternativ kann man die Quantenmechanik aber auch kausal und ontologisch stärker denken, wie es etwa die ­De-Broglie-Bohm-Theorie tut, dann jedoch muss man das Prinzip der Lokalität aufgeben und unter bestimmten Umständen überlichtschnelle Wechselwirkungen annehmen.

Für die Praxis sind solche Fragen der Interpretation nicht ganz so wichtig. Die Superposition von Quantenzuständen ist ein Phänomen, und mit Phänomenen muss man einen Umgang finden. Man kann die Superposition nicht nur handhaben, man kann sie sogar nutzen. Von Quantencomputern beispielsweise erhofft man eine solche technische Nutzung, die Zwischenzustände der Quantensysteme könnten Informationen auf neue Weise speichern und verarbeiten und so bestimmte Berechnungen wesentlich schneller durchführen, als bislang denkbar. Sie könnten auch genutzt werden, bislang sichere Verschlüsselungen zu knacken. Da Quantencomputer eines Tages womöglich herkömmliche Verschlüsselungsverfahren obsolet machen könnten, arbeitet man schon jetzt an einer neuen Art von Verschlüsselung: Quantenverschlüsselung. Führend sind dabei unter anderem deutsche Teams, wie der Lehrstuhl für optische Quantentechnologien der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) in enger Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, dem Deutschen Zentrum für Luft-und-Raumfahrt (DLR) sowie dem Zentrum für Telematik (ZFT). Forscher dieser Einrichtungen betreiben zur Zeit das vielversprechende Satellitenprojekt QUBE.

Unzureichende Theorie

Die Idee der Quantenverschlüsselung besteht darin, dass man sich die Eigenart quantenmechanischer Messungen zunutze macht, um ein eventuelles Abfangen einer Nachricht definitiv zu bemerken und so ein heimliches Abfangen der Übermittlungen beispielsweise eines Schlüssels zu verunmöglichen. Dabei verwendet man polarisiertes Licht.

Ein Lichtsignal kann auf vier Arten polarisiert sein: horizontal, vertikal, linksdiagonal und rechtsdiagonal. Empfängt man das polarisierte Licht, lässt sich zuvor ein Polarisationsfilter zwischenschalten. Ein horizontal ausgerichteter Filter lässt horizontal polarisiertes Licht hindurch und blockt vertikal polarisiertes Licht. Diagonal polarisiertes Licht wird in 50 Prozent der Fälle durch einen Filter hindurchgelassen und in 50 Prozent der Fälle nicht. Dreht man einen Filter um 45 Grad, wird das entsprechend diagonal polarisierte Licht unverändert hindurchgelassen, während das horizontal und vertikal polarisierte Licht in einen Überlagerungszustand aus senkrecht und horizontal polarisiert gebracht wird. Ein Empfänger einer Sequenz von unterschiedlich polarisierten Lichtsignalen, der abwechselnd verschiedene Filtereinstellungen dazwischenschaltet, erhält eine teilweise verfälschte Version der ursprünglichen Sequenz. Sender und Empfänger können einen gemeinsamen Schlüssel herstellen, indem sie sich darüber verständigen, in welchen Fällen sie eine diagonale oder eine nicht diagonale (horizontale bzw. vertikale) Filtereinstellung beim Senden oder Empfangen verwendet haben. Dadurch wird ein Teil der übermittelten Sequenz öffentlich rekonstruierbar, aber nicht die gesamte Sequenz. Wird die Nachricht zwischendurch abgefangen, wird auch der Spion das Signal mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit manipulieren. Wählt er seinen Filter diagonal zum gesendeten Signal, wird die Information in 50 Prozent der Fälle verfälscht durch das Zerstören beziehungsweise Erzeugen der Zwischenzustände, was spätestens beim Rekon­struieren des gemeinsamen Schlüssels auffallen würde. Der fertige Schlüssel, der natürlich viel kürzer ist als die ursprünglich versendete Sequenz, kann anschließend mit mathematischen Privacy-amplification-Verfahren noch einmal sicherer gemacht werden.

Das QUBE-Projekt testet diese Technik aktuell mit dem Forschungssatelliten QUBE und demnächst auch mit einem zweiten Satelliten namens QUBE II, der sich aktuell im Bau befindet. Die praktische Umsetzung dieses Verfahrens enthält jedoch noch große Herausforderungen. Zum einen ist die Signalübertragung selbst ein Problem: Die Quantenverschlüsselung funktioniert nur entweder durch das Versenden einzelner Lichtquanten oder durch die Verwendung von Laserstrahlen mit extrem schwacher Intensität. Beide Signalarten sind nur schwer zu empfangen. Zudem zeigen die Experimente die Schwächen der theoretischen Modelle, die den Verschlüsselungsverfahren zugrunde liegen. Da die Signale nicht ideal übertragen werden, sondern diversen Umwelteinflüssen ausgesetzt sind, die sie verfälschen können, müssen die statistischen Modelle angepasst werden. Die Modelle gingen bisher zusätzlich von unendlich langen Signalsequenzen aus, die es so natürlich nicht geben kann. Es muss also nicht nur die Hardware, sondern auch die Theorie weiterentwickelt werden, um die Quantenkryptographie serienreif werden zu lassen.

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