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Aus: Ausgabe vom 24.05.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Einheitssoße oder Tübke

Von Arnold Schölzel
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Unter der Überschrift »Wer wird in diesem Jahr Miss Thomas Müntzer?« veröffentlicht die FAZ am Donnerstag einen Artikel von Feuilletonkorrespondent Andreas Kilb. Dem krampfig-unverständlichen Titel folgen in der Papierausgabe die Unterzeilen: »Ein Volksaufstand im Spiegel der Zeiten: Zwei Ausstellungen in Mühlhausen und Bad Frankenhausen widmen sich dem Bauernkrieg.« In der mehr Platz bietenden elektronischen Fassung darf sich die verschnarchte Totalitarismusdoktrin breitmachen: »Ein Volksaufstand im Spiegel der Zeiten: Zwei Ausstellungen in Mühlhausen und Bad Frankenhausen erinnern an den Bauernkrieg und seine Deutungen durch Kommunisten und Nazis, die Bundesrepublik und die DDR.«

Ob Kilb selbst dem Flachsinn folgt, bleibt offen. Er schildert, was insbesondere in Mühlhausen zur »radikalsten Tatsache der deutschen Geschichte«, wie Marx 1844 noch schreiben konnte, zusammengetragen wurde. Kilb schreibt: »Der Bauernkrieg, im Zeitalter des Absolutismus als Unfall der deutschen Geschichte verschrien, bekam im Frühmärz im Licht nationaler Einheitsträume neue Konturen; in Wilhelm Zimmermanns dreibändigem Pionierwerk von 1843 erscheint er zum ersten Mal als Freiheitskampf. Im Kaiserreich setzt dann ein weiterer Deutungsschub ein, dem Gerhart Hauptmanns Drama ›Florian Geyer‹ die literarische Form gibt. Der Kopf der Bauernbünde ist jetzt ein zweiter Arminius, der die ewige deutsche Zwietracht beenden will und so die Reichseinigung vorwegnimmt.« Von dieser deutschnationalen Schrumpfgeschichte – die Arbeiterbewegung scheint nicht vorzukommen – schreiten die Mühlhäuser laut Kilb rasch voran: »Von Hauptmanns Theaterstück zweigen, wie die Ausstellung mit Plakaten, Fotos, Büchern und sogar Marionetten belegt, eine kommunistische und eine nationalsozialistische Interpretation ab. Beide bedienen sich eines Liedes der Bündischen Jugend, ›Wir sind des Geyers schwarzer Haufen‹, und passen nur seine ideologische Verkleidung ihren Bedürfnissen an. Bei den Nazis wird der Volksgenosse, bei den Kommunisten das Bauernproletariat zum Träger des Aufstands.« Eine Soße eben: »Die DDR beruft schließlich den von fast allen christlichen Kennzeichen gereinigten Thomas Müntzer als zweiten Säulenheiligen, dem Straßenfeste, kostümierte Umzüge und sogar Misswahlen gewidmet sind, während die Bundesrepublik die völkische Sichtweise in Gestalt des Historikers Günther Franz, genannt ›Bauern-Franz‹, in ihren Wissenschaftsbetrieb einbürgert.« Die großen DDR-Historiker der frühbürgerlichen Revolution, wie Max Steinmetz oder der im Januar verstorbene Günter Vogler – hat es sie überhaupt gegeben?

Kilb behagt das in Mühlhausen Gebotene nicht. Er kritisiert, man hätte aus der Korrespondenz des nach dem Sieg über die Bauern von Gewissensbissen geplagten Söldnerführers Asche von Cramm mit Martin Luther »eine Mentalitätsgeschichte der frühen Neuzeit entwickeln« können. Aber die Ausstellung halte sich »an die historische Hinterlassenschaft aus Metall, Holz und bedrucktem Papier. So sprechen zwar die Texttafeln, aber nicht die Geschichten hinter den Objekten.« Das Thema soziale Revolution? Das ist in der jüngsten Blut-und-Eisen-Zeitenwende zuviel verlangt.

Kilb flüchtet sich nach Bad Frankenhausen zum Panoramabild Werner Tübkes. Das stehe »nicht nur in ästhetischer Hinsicht turmhoch über allen weiteren Deutungen des Bauernkriegs«. Kilb sieht in ihm eine »zyklische Vision menschlicher Unheilsgeschichte, die den Turmbau zu Babel mühelos mit dem Gemetzel von Frankenhausen verbindet«. Mühelos? Zu mehr als allgemeinem Weltschmerz reicht es heute auch bei noch ansprechbaren liberalen Zeitgenossen nicht.

Zu mehr als allgemeinem Weltschmerz reicht es heute auch bei noch ansprechbaren liberalen Zeitgenossen nicht

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