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Aus: Ausgabe vom 24.05.2025, Seite 1 (Beilage) / Wochenendbeilage
Bauernkrieg

»Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird«

Das Reich ist mit Kot geflickt. Der Aufruhr dagegen wider oder in Gottes Sinne? Ein Streitgespräch mit Martin Luther und Thomas Müntzer
Interview: Daniel Bratanovic
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Käthe Kollwitz, »Losbruch«, Blatt 5 aus dem Zyklus »Bauernkrieg«, 1902/03

O tempora, o mores! Doktor Luther, ­Magister Thomas, in was für Zeiten leben wir nur? Welche Sitten herrschen?

Martin Luther: Die Not und Beschwerung, die alle Stände der Christenheit, zuvor die deutschen Lande, drückt, hat nicht allein mich, sondern jedermann bewegt, vielmals zu schreien und Hilfe zu begehren, hat mich auch jetzt gezwungen, zu schreien und rufen, ob Gott jemand den Geist geben wollte, seine Hand der elenden deutschen Nation zu reichen. Die Romanisten haben mit großer Behendigkeit drei Mauern um sich gezogen, womit sie sich bisher beschützt haben, so dass niemand sie hat reformieren können, wodurch die ganze Christenheit greulich gefallen ist. Zum ersten: Wenn man mit weltlicher Gewalt auf sie eingedrungen ist, haben sie festgesetzt und gesagt, weltliche Gewalt habe kein Recht über sie, sondern umgekehrt … die geistliche sei über die weltliche. Zum zweiten: Hat man sie mit der heiligen Schrift tadeln wollen, setzen sie dagegen, es gebühre niemand die Schrift auszulegen als dem Papst. Zum dritten: Droht man ihnen mit einem Konzil, so erdichten sie, es könne niemand ein Konzil berufen als der Papst. So haben sie uns die drei Ruten heimlich gestohlen, dass sie ungestraft sein können und sich in die sichere Befestigung dieser drei Mauern gesetzt, alle Büberei und Bosheit zu treiben, die wir denn jetzt sehen.

Thomas Müntzer: Ich finde, dass nach dem Tode der Apostelschüler die unbefleckte jungfräuliche Kirche durch den geistlichen Ehebruch zur Hure geworden ist, und zwar der Gelehrten halber, die immer oben sitzen wollen. Sie haben die Schafe Christi der rechten Stimme beraubt und den wahren gekreuzigten Christus zum lauteren phantastischen Götzen gemacht. Wie ist das zugegangen? Antwort: Sie haben die reine Kunst Gottes verworfen und an seine Statt einen hübschen, feinen, guldenen Herrgott gesetzt, vor dem die armen Bauern schmatzen. Also – sag ich – ist die angefangene Kirche baufällig geworden an allen Orten bis auf die Zeit der zertrennten Welt. Die Zeit ist jetzt gefährlich, und die Tage sind böse. Warum? Allein darum, dass die edle Kraft Gottes so gar jämmerlich geschändet und verunehrt wird, dass die armen groben Menschen also durch die heillosen Schriftgelehrten verführt werden mit großem Geplauder. Durch den nachsichtigen Willen Gottes ist das alles zugelassen worden, damit aller Menschen Werk hervorkommen könnte. Es soll aber – Gott sei gebenedeit – nicht noch länger so zugehen, dass die Pfaffen und Affen die christliche Kirche darstellen.

Wer ist der Christenmensch, den Rom so schändlich missachtet?

Luther: Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. Man hat›s aber erfunden, dass Papst, Bischöfe, Priester und Klostervolk der geistliche Stand genannt wird, Fürsten, Herrn, Handwerks- und Ackerleute der weltliche Stand. Das ist eine sehr feine Erdichtung und Trug. Doch soll niemand deswegen schüchtern werden, und das aus dem Grund: Alle Christen sind wahrhaftig geistlichen Standes und ist unter ihnen kein Unterschied außer allein des Amts halber. Es ist auch zuviel, dass man im geistlichen Recht der Geistlichen Freiheit, Leib und Güter so hoch erhebt, gerade als wären die Laien nicht auch geistlich so gute Christen wie sie, oder als gehörten sie nicht zur Kirche. Warum ist dein Leib, Leben, Gut und Ehre so frei und nicht das meine, so wir doch gleiche Christen sind, gleiche Taufe, Glauben, Geist und alle Dinge haben? Wird ein Priester erschlagen, so liegt ein Land im Interdikt, warum nicht auch, wenn ein Bauer erschlagen wird? Wo kommt solch großes Unterscheiden unter den gleichen Christen her? Allein aus Menschengesetzen und -erdichten!

Müntzer: Sankt Paulus schreibt den Korinthern, dass die Herzen der Menschen das Papier oder Pergament sind, da hinein Gott mit seinem Finger, nicht mit Tinte, seinen unverrücklichen Willen und ewige Weisheit einschreibt. Dies ist eine Schrift, welche jeder Mensch lesen kann, wenn er eine aufgetane Vernunft hat. Nun hat die Welt infolge Verirrung vieler Sekten eine lange Zeit die Wahrheit unaussprechlich begehrt. Ein grobes, tölpisches und knuttelisches Volk, das auch das allergeringste Urteil Gottes nicht erschließen kann, ist das nicht ein Jammer, Sünde und Schande? Ich halte immer, dass die Tiere des Bauches und die Schweine den edlen Stein Jesus Christus ganz und gar mit Füßen zertreten haben, so gut sie es vermocht haben. Es sind die Herren, die nur fressen und saufen, trachten, wie sie sich ernähren und viel Lehen kriegen. Aber am Volk zweifel ich nicht. Ach du rechts, armes erbärmliches Häuflein, wie durstig bist du nach dem Worte Gottes. Die wollen gerne tun das Allerbeste und können doch das selbige nicht wissen. Es sind der gelddurstigen Buben viel dagewest, die dem armen, armen, armen Völklein die päpstlichen unerfahrenen Texte der Biblien vorgeworfen haben, wie man Hunden das Brot pflegt vorzuwerfen.

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Thomas Müntzer

Was ist dagegen zu tun?

Müntzer: Das Reich, das wir vor Augen haben, es ist mit Kot geflickt, nichts als Anschläge der Heuchelei, die sich auf dem ganzen Erdreich krümmt, windet und wimmelt. Man sieht jetzt gut, wie sich die Aale und die Schlangen miteinander auf einem Haufen begatten. Die Pfaffen und alle bösen Geistlichen sind Schlangen, und die weltlichen Herren und Regenten sind Aale. Da haben sich die Reiche des Teufels mit Ton beschmiert. Wenn wir aus diesem Unflat herauskommen und rechte Schüler Gottes werden wollen, die von Gott selbst gelehrt sind, so wird uns eine große, mächtige Stärke vonnöten sein, die uns von oben hernieder verliehen werde, solch unaussprechliche Bosheit zu strafen und zu schwächen. Denn der erbärmliche Schaden der heiligen Christenheit ist so groß geworden, dass ihn jetzt keine Zunge mehr auszudrücken vermag. Wie ER sagt: »Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert.« Das Schwert war das Mittel, wie uns essen und trinken ein Mittel ist zu leben. Also nötlich ist auch das Schwert, die Gottlosen zu vertilgen. Man muss das Unkraut ausraufen aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernte, dann wird der schöne rote Weizen beständige Wurzeln bekommen und recht aufgehen. Drum sage ich mit Christo und mit Paulo und mit Unterrichtetsein über das ganze göttliche Gesetz, dass man die gottlosen Regenten, besonders die Pfaffen und Mönche töten soll, die uns das heilige Evangelium eine Ketzerei schelten und gleichwohl die besten Christen sein wollen. Die Fürsten sind den Frommen nicht erschrecklich. Aber wenn sich das wird vorwenden, so wird das Schwert ihnen genommen werden und wird dem inbrünstigen Volke gegeben werden zum Untergang der Gottlosen. Der Heiland wird gnädiglich zerbrechen die Könige.

Stimmen Doktor Luther dem Magister Thomas zu?

Luther: Ich kann diesen Geist ganz und gar nicht ertragen, der in Schafskleidern dahergehet und ist inwendig ein reißender Wolf, denn er hat nun an vielen Orten wohl beweiset, was er für ein Baum ist, weil er kein ander Frucht trägt denn Mord und Aufruhr und Blutvergießen anzurichten. Der Satan warf falsche Propheten und irrige Geister auf, und macht die Welt voll Ketzer und Sekten, dass sie gedächten, weltliche Obrigkeit zu stürmen und selber Herren der Welt zu sein. Man lasse die Geister aufeinanderplatzen und treffen. Werden etliche indes verführt, wohlan, so geht‹s nach rechtem Kriegeslauf. Wo ein Streit und Schlacht ist, da müssen etlich fallen und wund werden. Wer aber redlich ficht, wird gekrönt werden. Wo sie aber wollen mehr tun denn mit Worten fechten, wollen auch brechen und schlagen mit der Faust, da sollen Euer Fürstlich Gnaden zugreifen, es seien wir oder sie, und stracks das Land verboten und gesagt: »Wir wollen gerne leiden und zusehen, dass ihr mit Worten fechtet, dass die rechte Lehre bewährt werde. Aber die Faust haltet stille, denn das ist unser Amt, oder hebt euch zum Lande hinaus.«

Magister Thomas sind ein reißender Wolf?

Müntzer: Der Gevatter Leisetritt, ach, der kirre Geselle sagt, ich wolle Aufruhr machen. Eines sagt er, und das Allerbescheidenste verschweigt er, wie ich sagte, dass die Fürsten keine Herren, sondern Diener des Schwertes seien. Sie sollen›s nicht machen, wie es ihnen gefällt, sie sollen recht tun. Es ist der allergrößte Greuel auf Erden, dass niemand der dürftigen Not sich will annehmen; die Großen machen‹s wie sie wollen. Sieh zu, die Grundsuppe des Wuchers, der Dieberei und Räuberei sind unsere Herren und Fürsten; sie nehmen alle Kreatur zum Eigentum, die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden, alles muss ihrer sein. Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten, du sollst nicht stehlen! Für sich selber aber halten sie dieses Gebot nicht dienlich. Daher sie nun alle Menschen beschweren, den armen Ackersmann, Handwerksmann und alles, was da lebt, schinden und schaben. So er sich dann vergreift am Allergeringsten, muss er hängen; da sagt der Doktor Lügner Amen. Die Herren machen das selber, dass ihnen der arme Mann feind wird. Die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun, wie kann es auf die Länge gut werden? So ich das sage, werde ich aufrührisch sein, wohl hin.

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Martin Luther, Illustration aus »Ridpath’s History of the World«, Volume III, New York 1897

Also Aufruhr! Was sagt Ihr den Getreuen, dem Ackersmann, dem Handwerksmann?

Müntzer: Seid nicht verzagt, nachlässig, schmeichelt nicht länger den verkehrten Phantasten, den gottlosen Bösewichtern, fangt an und streitet den Streit des Herrn! Es ist hohe Zeit, haltet Eure Brüder alle dazu an, dass sie das göttliche Zeugnis nicht verspotten, sonst müssen sie alle verderben. Das ganze deutsche, französische und welsche Land ist wach, der Meister will ein Spiel machen, die Bösewichter müssen dran. Wenn Eurer nur drei sind, die in Gott gelassen allein seinen Namen und seine Ehre suchen, werdet Ihr hunderttausend nicht fürchten. Nun dran, dran, dran, es ist Zeit, die Bösewichter sind verzagt wie die Hunde. Regt an in Dörfern und Städten und sonderlich die Berggesellen mit anderen guten Burschen, welche gut dazu sein werden. Wir müssen nicht länger schlafen! Dran, dran, dieweil das Feuer heiß ist. Lasst Euer Schwert nicht kalt werden, lasst es nicht lahm werden! Schmiedet Pinkepank auf den Ambossen Nimrods, werft ihnen den Turm zu Boden! Es ist nicht möglich, dieweil sie leben, dass Ihr der Menschen Furcht solltet leer werden. Dran, dran, dieweil Ihr den Tag habt, Gott geht Euch voran, folgt, folgt!

Doktor Luther sehen das vermutlich anders.

Luther: Eitel Teufels Werk treiben sie, und in Sonderheit ist›s der Erzteufel Müntzer, der zu Mühlhausen regiert und nichts denn Raub, Mord, Blutvergießen anrichtet. Dreierlei greuliche Sünden wider Gott und Menschen laden diese Bauern auf sich, um deretwillen sie an Leib und Seele vielfach den Tod verdient haben. Zum ersten haben sie ihrer Obrigkeit Treue und Huld geschworen, untertänig gehorsam zu sein. Da sie aber diesen Gehorsam mutwillig brechen und gewaltsam brechen und sich dazu wider ihre Herren stellen, haben sie dadurch Leib und Seele verwirkt. Zum andern. Sie machen Aufruhr, berauben und plündern unter Gewalttaten Klöster und Schlösser, die ihnen nicht gehören, womit sie schon allein als öffentliche Straßenräuber und Mörder wohl zwiefachen Tod an Leib und Seele verdient haben. Auch ist ein aufrührerischer Mensch, den man dessen überführen kann, in Gottes und kaiserlicher Acht, so dass, wer ihn am schnellsten erwürgen kann und mag, recht und wohl daran tut. Denn Aufruhr ist nicht ein gewöhnlicher Mord, sondern wie ein großes Feuer, das ein Land anzündet und verwüstet. Darum soll hier zuschlagen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer nur kann, und daran denken, dass es nichts Giftigeres, Schändlicheres und Teuflischeres geben kann als einen aufständischen Menschen. Zum dritten decken sie diese schreckliche, greuliche Sünde mit dem Evangelium, nennen sich christliche Brüder, wodurch sie die allergrößten Gotteslästerer und Schänder seines heiligen Namens werden; und so ehren und dienen sie dem Teufel unter dem Schein des Evangeliums, wofür sie wohl zehnmal den Tod an Leib und Seele verdient haben. Es hilft den Bauern auch nichts, dass sie behaupten, alle Dinge seien frei und gemein geschaffen. Denn im Neuen Testament steht Meister Christus und unterwirft uns mit Leib und Gut dem Kaiser und dem weltlichen Recht, indem er spricht: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.« Ein Fürst und Herr muss hierbei bedenken, dass er Gottes Amtsmann und seines Zornes Diener ist. Darum darf man hier nicht schlafen. Es gilt hier auch nicht Geduld oder Barmherzigkeit. Es ist die Zeit des Schwertes und des Zorns da und nicht die Zeit der Gnade. Solch wunderliche Zeiten sind jetzt, dass sich ein Fürst den Himmel mit Blutvergießen verdienen kann, besser als andere mit Beten. Drum liebe Herren, erlöst hier, rettet hier, helft hier! Erbarmt euch der armen Leute! Hier steche, schlage würge, wer da kann.

Gesiegt hat die Obrigkeit, die Doktor Luther angerufen hat. Was aber bleibt?

Müntzer: Haben es auf diese Weise richten wollen: Omnia sunt communia, alles ist gemeinsam, und sollte einem jeden nach seiner Notdurft ausgeteilt werden, nach Gelegenheit.

Martin Luther, geboren am 10. November 1483 in Eisleben, gestorben am 18. Februar 1546 ebenda, war Augustinereremit und Theologieprofessor und betrieb erfolgreich eine Kirchenreformation von oben.

Thomas Müntzer, geboren um 1489 in Stolberg, enthauptet am 27. Mai 1525 bei Mühlhausen/Thüringen, war Theologe und Revolutionär und erstrebte eine Reformation von unten.

Fingiertes Streitgespräch kompiliert aus Schriftstücken Luthers und Müntzers: Daniel Bratanovic

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